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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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aus den ComitatSsälen in die öffentlichen Blätter, und aus diesen
wieder zurück wandernde Politik gleich einem bodenlosen Abgrunde
jede andere Wissenschaft absorbirt und tödtet.

Viele halten diese Wanderung der Erscheinungen des öffentli¬
chen Lebens nicht blos für schädlich und nachtheilig, weil dadurch der
Zustand unserer Wissenschaft immer mehr verwaist wird, sondern auch
weil sie befürchten, daß diese immer lebhaftere Wanderung nach und
nach jede Ordnung, jede Institution in ihren Grundfesten erschüttern,
die Bande der sociellen Verhältnisse lockern und uns endlich in den
Abgrund der Anarchie hinabziehen wird____ Aber diese Frommen
stammen noch aus jenen alten Zeiten her, wo sich drei bis vier prak¬
tische Assessoren mit dem Vicegespan versammelten und unter der Auf¬
schrift "vos solus el. o7-"ii"l>"" im Namen deS ganzen ComitatS
Beschlüsse faßten und anücabiliter die öffentlichen Angelegenheiten
manipulirten und dies größtentheils -- im Dunkeln! Indessen wird
sich die Zahl dieser Frommen von Tag zu Tag in dem Grade ver¬
ringern, in welchem die Liebe zur Oeffentlichkeit und zur Aufklärung
bei den Einzelnen der Nation erwachen und zunehmen wird. Die
nächste Generation wird kaum mehr solche Catilinarien gegen die Poli¬
tik hören, die in der Furcht vor einem rührigeren Leben, vor der Zer¬
streuung der Finsterniß, ihr Hauptmotiv haben. Diese Furcht, so na¬
türlich sie übrigens auch scheint, beurkundet nicht unsere scythische Ab¬
stammung. Eben von diesem Verkehre zwischen dem Leben und der
Presse, wovon diese Leute aus den guten alten Zeiten so Vieles
fürchten, eben Von diesem ist, wenn er klug geleitet wird, eine all¬
gemeine Abhilfe für unsere vielen Mängel zu erwarten.

Die Verbreitung der Politik auf dem Wege der Presse ist bei
uns nicht alt, ist selbst bei jenen Völkern nicht alt, bei denen die
Journalistik einen Hauptrang einnimmt. DaS verflossene Jahrhun¬
dert begann ihre Entwicklung, und der Ruhm, sie entwickelt zu ha-
ben, gehört dem Jahrhundert, in welchem wir leben.. Es ist zwar,
bei uns in dieser Hinsicht seit den letzten Jahren das Meiste gesche¬
hen, doch bei Weitem nicht fo viel, daß nicht noch ein weiterer Fort¬
schritt zu wünschci, wäre. Doch wird dieser Fortschritt bei uns viel
langsamer geschehen, als z. B. in Frankreich und England. Die
Ursache hiervon ist -- außer unserem isolirten Zustand -- die be¬
schränkte Presse, und überdies noch die Municipalverfassung un-


aus den ComitatSsälen in die öffentlichen Blätter, und aus diesen
wieder zurück wandernde Politik gleich einem bodenlosen Abgrunde
jede andere Wissenschaft absorbirt und tödtet.

Viele halten diese Wanderung der Erscheinungen des öffentli¬
chen Lebens nicht blos für schädlich und nachtheilig, weil dadurch der
Zustand unserer Wissenschaft immer mehr verwaist wird, sondern auch
weil sie befürchten, daß diese immer lebhaftere Wanderung nach und
nach jede Ordnung, jede Institution in ihren Grundfesten erschüttern,
die Bande der sociellen Verhältnisse lockern und uns endlich in den
Abgrund der Anarchie hinabziehen wird____ Aber diese Frommen
stammen noch aus jenen alten Zeiten her, wo sich drei bis vier prak¬
tische Assessoren mit dem Vicegespan versammelten und unter der Auf¬
schrift „vos solus el. o7-«ii»l>»" im Namen deS ganzen ComitatS
Beschlüsse faßten und anücabiliter die öffentlichen Angelegenheiten
manipulirten und dies größtentheils — im Dunkeln! Indessen wird
sich die Zahl dieser Frommen von Tag zu Tag in dem Grade ver¬
ringern, in welchem die Liebe zur Oeffentlichkeit und zur Aufklärung
bei den Einzelnen der Nation erwachen und zunehmen wird. Die
nächste Generation wird kaum mehr solche Catilinarien gegen die Poli¬
tik hören, die in der Furcht vor einem rührigeren Leben, vor der Zer¬
streuung der Finsterniß, ihr Hauptmotiv haben. Diese Furcht, so na¬
türlich sie übrigens auch scheint, beurkundet nicht unsere scythische Ab¬
stammung. Eben von diesem Verkehre zwischen dem Leben und der
Presse, wovon diese Leute aus den guten alten Zeiten so Vieles
fürchten, eben Von diesem ist, wenn er klug geleitet wird, eine all¬
gemeine Abhilfe für unsere vielen Mängel zu erwarten.

Die Verbreitung der Politik auf dem Wege der Presse ist bei
uns nicht alt, ist selbst bei jenen Völkern nicht alt, bei denen die
Journalistik einen Hauptrang einnimmt. DaS verflossene Jahrhun¬
dert begann ihre Entwicklung, und der Ruhm, sie entwickelt zu ha-
ben, gehört dem Jahrhundert, in welchem wir leben.. Es ist zwar,
bei uns in dieser Hinsicht seit den letzten Jahren das Meiste gesche¬
hen, doch bei Weitem nicht fo viel, daß nicht noch ein weiterer Fort¬
schritt zu wünschci, wäre. Doch wird dieser Fortschritt bei uns viel
langsamer geschehen, als z. B. in Frankreich und England. Die
Ursache hiervon ist — außer unserem isolirten Zustand — die be¬
schränkte Presse, und überdies noch die Municipalverfassung un-


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[0272] aus den ComitatSsälen in die öffentlichen Blätter, und aus diesen wieder zurück wandernde Politik gleich einem bodenlosen Abgrunde jede andere Wissenschaft absorbirt und tödtet. Viele halten diese Wanderung der Erscheinungen des öffentli¬ chen Lebens nicht blos für schädlich und nachtheilig, weil dadurch der Zustand unserer Wissenschaft immer mehr verwaist wird, sondern auch weil sie befürchten, daß diese immer lebhaftere Wanderung nach und nach jede Ordnung, jede Institution in ihren Grundfesten erschüttern, die Bande der sociellen Verhältnisse lockern und uns endlich in den Abgrund der Anarchie hinabziehen wird____ Aber diese Frommen stammen noch aus jenen alten Zeiten her, wo sich drei bis vier prak¬ tische Assessoren mit dem Vicegespan versammelten und unter der Auf¬ schrift „vos solus el. o7-«ii»l>»" im Namen deS ganzen ComitatS Beschlüsse faßten und anücabiliter die öffentlichen Angelegenheiten manipulirten und dies größtentheils — im Dunkeln! Indessen wird sich die Zahl dieser Frommen von Tag zu Tag in dem Grade ver¬ ringern, in welchem die Liebe zur Oeffentlichkeit und zur Aufklärung bei den Einzelnen der Nation erwachen und zunehmen wird. Die nächste Generation wird kaum mehr solche Catilinarien gegen die Poli¬ tik hören, die in der Furcht vor einem rührigeren Leben, vor der Zer¬ streuung der Finsterniß, ihr Hauptmotiv haben. Diese Furcht, so na¬ türlich sie übrigens auch scheint, beurkundet nicht unsere scythische Ab¬ stammung. Eben von diesem Verkehre zwischen dem Leben und der Presse, wovon diese Leute aus den guten alten Zeiten so Vieles fürchten, eben Von diesem ist, wenn er klug geleitet wird, eine all¬ gemeine Abhilfe für unsere vielen Mängel zu erwarten. Die Verbreitung der Politik auf dem Wege der Presse ist bei uns nicht alt, ist selbst bei jenen Völkern nicht alt, bei denen die Journalistik einen Hauptrang einnimmt. DaS verflossene Jahrhun¬ dert begann ihre Entwicklung, und der Ruhm, sie entwickelt zu ha- ben, gehört dem Jahrhundert, in welchem wir leben.. Es ist zwar, bei uns in dieser Hinsicht seit den letzten Jahren das Meiste gesche¬ hen, doch bei Weitem nicht fo viel, daß nicht noch ein weiterer Fort¬ schritt zu wünschci, wäre. Doch wird dieser Fortschritt bei uns viel langsamer geschehen, als z. B. in Frankreich und England. Die Ursache hiervon ist — außer unserem isolirten Zustand — die be¬ schränkte Presse, und überdies noch die Municipalverfassung un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/272>, abgerufen am 26.06.2024.