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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Personen liegt Merkwürdig ist dabei folgender Umstand. In dein
ursprünglichen Entwürfe Halm's blieb Sampicro (der Geschichte gemäß)
am Leben. Aber die Censur machte im Interesse der Tugend Einwen¬
dungen und verlangte vom Dichter Bestrafung des Mörders. Der
Dichter gab nach und strafte. Aber nun machte d-is Publicum Ein¬
wendungen und lachte ob des plötzlichen Gemetzels. Der Dichter be¬
schwor die Censur und diesmal gab diese nach und erlaubte, im In¬
teresse des theatralischen Effects, daß der Mörder am Leben bleibe.
Er blieb am Leben. Nun aber kommt die Kritik und macht Einwen¬
dungen im Interesse der dramatischen Gerechtigkeit und daS Publicum
macht Einwendungen im Interesse seines sittlichen Gefühls und die
Censur ruft: Haben wir'S nicht vorausgesagt? Der arme Dichter sieht
sich von allen Seiten verlassen. --

Ein kleiner Geisterspuk macht in den hiesigen Salons viel Re¬
dens. Beim Grafen Traun ist eine fröhliche Gesellschaft versammelt.
Man spricht von Ahnungen, Gespenstern :c. -- Wenn ich an Ahnun¬
gen glauben sollte -- sagte ein hier sehr bekannter Cavalier, dessen
Gattin seit einiger Zeit verreist ist -- so müßte ich denken, meiner
Frau sei ein Unglück widerfahren, da ich in voriger Nacht unwillkür¬
lich erwachte und meine Frau vor mir stehen sah. Glücklicherweise
glaube ich an Nichts. -- Am andern Tage kam die Nachricht, die er¬
wähnte Dame sei gestorben. - Die Oeffentlichkeit, mit der der erwähnte
Cavalier seine Bision vorauscrzählte, hat die Geschichte in Aller Mund
gebracht.

Die Nachricht von den Verhaftungen in Posen hat aus nahe
liegenden Gründen hier große Aufmerksamkeit erregt. Indessen sind
gleichzeitig aus Lemberg Versicherungen eingelaufen, daß dort auch nicht
eine Spur aufzufinden sei, die auf irgend ein EinVerständniß oder eine
Gcsammtbcwcgung der Polen schließen ließe. Man hält in diplomati¬
schen Kreisen den ganzen Lärm für eine, von Zeit zu Zeit in Gal-
lizien, eben so gut wie in Posen sich erneuernde List russischer Agenten,
die durch solche ManönvrcS Regierung und Negierte im Mißverständ¬
nisse zu Hetzen suchen, indem sie erstere zu strengen Maßregeln zwingen
wollen, damit die Polen unter deutscher Herrschaft sich nicht glücklicher
fühlen sollen als unter russischer; andererseits aber, indem durch solche
Maßregeln den Slaven das russische Prstectorat als eine willkommene
Sache erscheinen möge. Bei uns hat man dies Spiel längst durch¬
schaut; ob mau auch in Preußen offene Augen dafür haben wird, soll
die nächste Zukunft lehren.

Der Artikel in der Vicdcrmannischcn Monatsschrift über Kübeck
und die österreichischen Finanzen macht hier ein ungewöhnliches Auf¬
sehen. Es sind auf dem Ncvisionsamt allein über hundert Exemplare
des fraglichen Heftes ausgeliefert worden.

In seiner Noth um neue Stücke kramt Herr von Holbein die


Personen liegt Merkwürdig ist dabei folgender Umstand. In dein
ursprünglichen Entwürfe Halm's blieb Sampicro (der Geschichte gemäß)
am Leben. Aber die Censur machte im Interesse der Tugend Einwen¬
dungen und verlangte vom Dichter Bestrafung des Mörders. Der
Dichter gab nach und strafte. Aber nun machte d-is Publicum Ein¬
wendungen und lachte ob des plötzlichen Gemetzels. Der Dichter be¬
schwor die Censur und diesmal gab diese nach und erlaubte, im In¬
teresse des theatralischen Effects, daß der Mörder am Leben bleibe.
Er blieb am Leben. Nun aber kommt die Kritik und macht Einwen¬
dungen im Interesse der dramatischen Gerechtigkeit und daS Publicum
macht Einwendungen im Interesse seines sittlichen Gefühls und die
Censur ruft: Haben wir'S nicht vorausgesagt? Der arme Dichter sieht
sich von allen Seiten verlassen. —

Ein kleiner Geisterspuk macht in den hiesigen Salons viel Re¬
dens. Beim Grafen Traun ist eine fröhliche Gesellschaft versammelt.
Man spricht von Ahnungen, Gespenstern :c. — Wenn ich an Ahnun¬
gen glauben sollte — sagte ein hier sehr bekannter Cavalier, dessen
Gattin seit einiger Zeit verreist ist — so müßte ich denken, meiner
Frau sei ein Unglück widerfahren, da ich in voriger Nacht unwillkür¬
lich erwachte und meine Frau vor mir stehen sah. Glücklicherweise
glaube ich an Nichts. — Am andern Tage kam die Nachricht, die er¬
wähnte Dame sei gestorben. - Die Oeffentlichkeit, mit der der erwähnte
Cavalier seine Bision vorauscrzählte, hat die Geschichte in Aller Mund
gebracht.

Die Nachricht von den Verhaftungen in Posen hat aus nahe
liegenden Gründen hier große Aufmerksamkeit erregt. Indessen sind
gleichzeitig aus Lemberg Versicherungen eingelaufen, daß dort auch nicht
eine Spur aufzufinden sei, die auf irgend ein EinVerständniß oder eine
Gcsammtbcwcgung der Polen schließen ließe. Man hält in diplomati¬
schen Kreisen den ganzen Lärm für eine, von Zeit zu Zeit in Gal-
lizien, eben so gut wie in Posen sich erneuernde List russischer Agenten,
die durch solche ManönvrcS Regierung und Negierte im Mißverständ¬
nisse zu Hetzen suchen, indem sie erstere zu strengen Maßregeln zwingen
wollen, damit die Polen unter deutscher Herrschaft sich nicht glücklicher
fühlen sollen als unter russischer; andererseits aber, indem durch solche
Maßregeln den Slaven das russische Prstectorat als eine willkommene
Sache erscheinen möge. Bei uns hat man dies Spiel längst durch¬
schaut; ob mau auch in Preußen offene Augen dafür haben wird, soll
die nächste Zukunft lehren.

Der Artikel in der Vicdcrmannischcn Monatsschrift über Kübeck
und die österreichischen Finanzen macht hier ein ungewöhnliches Auf¬
sehen. Es sind auf dem Ncvisionsamt allein über hundert Exemplare
des fraglichen Heftes ausgeliefert worden.

In seiner Noth um neue Stücke kramt Herr von Holbein die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/265>, abgerufen am 26.06.2024.