trüben Lichte verräth. Ingres hat eine Ansicht von der Kunst, die von der gewöhnlichen weit abweicht. -- Ich kann nur malen, was ich nicht gelernt habe, sagte er eines "Tages zu einem Freunde. Sein ganzer künstlerischer Charakter zeigt sich in diesem Ausspruch; hieraus läßt sich die oft schroffe Ve^achtur/g gegen die materiellen Mittel der Kunst erklären, jener Despotismus Keö Gedankens in der Anordnung der Komposition, jene Nachlässigkeiten "oder Uebertreibungen in der Anatomie, wohl auch Verletzungen Aer Gesetze der Perspektive, wie im Se. Symphorian, wo die Mutter d<s Märtyrers so steht, daß der Sohn sie unmöglich sehen kann. Doch ^können so leichte Flecken einen so gerechten Ruhm nicht verdunkeln. Hat doch jedes Genie die seinigen!
Eine andere, jetzt seltene Eigenschaft Ingres' ist seine Uneigen- nützigkeit und sein edler Künstlerstolz. Der Maler der Apotheose Homers ist arm; er hätte reich sein können, sehr reich, aber er wollte es nicht. Vergebens sieht er rings um sich die Kunst zum Hand¬ werk werden, vergebens hat die Spekulation an seine Thür geklopft und ihm Gold geboten: er hat der Versuchung widerstanden, seinen Pinsel zu entheiligen und aus seinem Ruhme Gewinn zu ziehen. Inmitten dieser Menge, deren Treiben kein anderes Ziel kennt, als den klingenden Beifall des Haufens, ist Ingres seiner Kunst treu geblieben und hat ihr heiliges Feuer in seinem Herzen wie in einem Allerheiligsten verschlossen. Jedes seiner Werke ist reif überdacht und gewissenhaft ausgeführt; oft hat er die Fabel der Penelope selbst ge¬ spielt; oft selbst hat man dem Künstler ein schon längst vollendetes Gemälde entreißen müssen, daS er mit immer neuer Sorgfalt retou- chirte und das er sich nicht entschließen konnte, aus den Händen zu geben.'
Was den allgemeinen Charakter Ingres als Künstler betrifft, so ist er durchaus nicht ein so fanatischer Verehrer Raphael's, wie man ihm nachsagt. Er liebt die antike, namentlich die griechische Kunst, aber zwischen ihm und der David'schen Schule findet 'der große Unterschied statt, daß David in der Antike das Schöne suchte, während Ingres in der Natur die Antike und das Schöne sucht. Ihm ist nicht das Ideale eine Schöpfung außerhalb der Natur; es ist ihm das zu seinem reinsten Ausdruck gebrachte Schöne in dom Wahren, und das ist es, was Ingres an Raphael bewundert.
trüben Lichte verräth. Ingres hat eine Ansicht von der Kunst, die von der gewöhnlichen weit abweicht. — Ich kann nur malen, was ich nicht gelernt habe, sagte er eines »Tages zu einem Freunde. Sein ganzer künstlerischer Charakter zeigt sich in diesem Ausspruch; hieraus läßt sich die oft schroffe Ve^achtur/g gegen die materiellen Mittel der Kunst erklären, jener Despotismus Keö Gedankens in der Anordnung der Komposition, jene Nachlässigkeiten «oder Uebertreibungen in der Anatomie, wohl auch Verletzungen Aer Gesetze der Perspektive, wie im Se. Symphorian, wo die Mutter d<s Märtyrers so steht, daß der Sohn sie unmöglich sehen kann. Doch ^können so leichte Flecken einen so gerechten Ruhm nicht verdunkeln. Hat doch jedes Genie die seinigen!
Eine andere, jetzt seltene Eigenschaft Ingres' ist seine Uneigen- nützigkeit und sein edler Künstlerstolz. Der Maler der Apotheose Homers ist arm; er hätte reich sein können, sehr reich, aber er wollte es nicht. Vergebens sieht er rings um sich die Kunst zum Hand¬ werk werden, vergebens hat die Spekulation an seine Thür geklopft und ihm Gold geboten: er hat der Versuchung widerstanden, seinen Pinsel zu entheiligen und aus seinem Ruhme Gewinn zu ziehen. Inmitten dieser Menge, deren Treiben kein anderes Ziel kennt, als den klingenden Beifall des Haufens, ist Ingres seiner Kunst treu geblieben und hat ihr heiliges Feuer in seinem Herzen wie in einem Allerheiligsten verschlossen. Jedes seiner Werke ist reif überdacht und gewissenhaft ausgeführt; oft hat er die Fabel der Penelope selbst ge¬ spielt; oft selbst hat man dem Künstler ein schon längst vollendetes Gemälde entreißen müssen, daS er mit immer neuer Sorgfalt retou- chirte und das er sich nicht entschließen konnte, aus den Händen zu geben.'
Was den allgemeinen Charakter Ingres als Künstler betrifft, so ist er durchaus nicht ein so fanatischer Verehrer Raphael's, wie man ihm nachsagt. Er liebt die antike, namentlich die griechische Kunst, aber zwischen ihm und der David'schen Schule findet 'der große Unterschied statt, daß David in der Antike das Schöne suchte, während Ingres in der Natur die Antike und das Schöne sucht. Ihm ist nicht das Ideale eine Schöpfung außerhalb der Natur; es ist ihm das zu seinem reinsten Ausdruck gebrachte Schöne in dom Wahren, und das ist es, was Ingres an Raphael bewundert.
<TEI><text><body><div><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0262"corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179975"/><pxml:id="ID_670"prev="#ID_669"> trüben Lichte verräth. Ingres hat eine Ansicht von der Kunst, die<lb/>
von der gewöhnlichen weit abweicht. — Ich kann nur malen, was<lb/>
ich nicht gelernt habe, sagte er eines »Tages zu einem Freunde. Sein<lb/>
ganzer künstlerischer Charakter zeigt sich in diesem Ausspruch; hieraus<lb/>
läßt sich die oft schroffe Ve^achtur/g gegen die materiellen Mittel der<lb/>
Kunst erklären, jener Despotismus Keö Gedankens in der Anordnung<lb/>
der Komposition, jene Nachlässigkeiten «oder Uebertreibungen in der<lb/>
Anatomie, wohl auch Verletzungen Aer Gesetze der Perspektive, wie<lb/>
im Se. Symphorian, wo die Mutter d<s Märtyrers so steht, daß<lb/>
der Sohn sie unmöglich sehen kann. Doch ^können so leichte Flecken<lb/>
einen so gerechten Ruhm nicht verdunkeln. Hat doch jedes Genie<lb/>
die seinigen!</p><lb/><pxml:id="ID_671"> Eine andere, jetzt seltene Eigenschaft Ingres' ist seine Uneigen-<lb/>
nützigkeit und sein edler Künstlerstolz. Der Maler der Apotheose<lb/>
Homers ist arm; er hätte reich sein können, sehr reich, aber er wollte<lb/>
es nicht. Vergebens sieht er rings um sich die Kunst zum Hand¬<lb/>
werk werden, vergebens hat die Spekulation an seine Thür geklopft<lb/>
und ihm Gold geboten: er hat der Versuchung widerstanden, seinen<lb/>
Pinsel zu entheiligen und aus seinem Ruhme Gewinn zu ziehen.<lb/>
Inmitten dieser Menge, deren Treiben kein anderes Ziel kennt, als<lb/>
den klingenden Beifall des Haufens, ist Ingres seiner Kunst treu<lb/>
geblieben und hat ihr heiliges Feuer in seinem Herzen wie in einem<lb/>
Allerheiligsten verschlossen. Jedes seiner Werke ist reif überdacht und<lb/>
gewissenhaft ausgeführt; oft hat er die Fabel der Penelope selbst ge¬<lb/>
spielt; oft selbst hat man dem Künstler ein schon längst vollendetes<lb/>
Gemälde entreißen müssen, daS er mit immer neuer Sorgfalt retou-<lb/>
chirte und das er sich nicht entschließen konnte, aus den Händen<lb/>
zu geben.'</p><lb/><pxml:id="ID_672"> Was den allgemeinen Charakter Ingres als Künstler betrifft,<lb/>
so ist er durchaus nicht ein so fanatischer Verehrer Raphael's, wie<lb/>
man ihm nachsagt. Er liebt die antike, namentlich die griechische<lb/>
Kunst, aber zwischen ihm und der David'schen Schule findet 'der<lb/>
große Unterschied statt, daß David in der Antike das Schöne suchte,<lb/>
während Ingres in der Natur die Antike und das Schöne sucht.<lb/>
Ihm ist nicht das Ideale eine Schöpfung außerhalb der Natur; es<lb/>
ist ihm das zu seinem reinsten Ausdruck gebrachte Schöne in dom<lb/>
Wahren, und das ist es, was Ingres an Raphael bewundert.</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[0262]
trüben Lichte verräth. Ingres hat eine Ansicht von der Kunst, die
von der gewöhnlichen weit abweicht. — Ich kann nur malen, was
ich nicht gelernt habe, sagte er eines »Tages zu einem Freunde. Sein
ganzer künstlerischer Charakter zeigt sich in diesem Ausspruch; hieraus
läßt sich die oft schroffe Ve^achtur/g gegen die materiellen Mittel der
Kunst erklären, jener Despotismus Keö Gedankens in der Anordnung
der Komposition, jene Nachlässigkeiten «oder Uebertreibungen in der
Anatomie, wohl auch Verletzungen Aer Gesetze der Perspektive, wie
im Se. Symphorian, wo die Mutter d<s Märtyrers so steht, daß
der Sohn sie unmöglich sehen kann. Doch ^können so leichte Flecken
einen so gerechten Ruhm nicht verdunkeln. Hat doch jedes Genie
die seinigen!
Eine andere, jetzt seltene Eigenschaft Ingres' ist seine Uneigen-
nützigkeit und sein edler Künstlerstolz. Der Maler der Apotheose
Homers ist arm; er hätte reich sein können, sehr reich, aber er wollte
es nicht. Vergebens sieht er rings um sich die Kunst zum Hand¬
werk werden, vergebens hat die Spekulation an seine Thür geklopft
und ihm Gold geboten: er hat der Versuchung widerstanden, seinen
Pinsel zu entheiligen und aus seinem Ruhme Gewinn zu ziehen.
Inmitten dieser Menge, deren Treiben kein anderes Ziel kennt, als
den klingenden Beifall des Haufens, ist Ingres seiner Kunst treu
geblieben und hat ihr heiliges Feuer in seinem Herzen wie in einem
Allerheiligsten verschlossen. Jedes seiner Werke ist reif überdacht und
gewissenhaft ausgeführt; oft hat er die Fabel der Penelope selbst ge¬
spielt; oft selbst hat man dem Künstler ein schon längst vollendetes
Gemälde entreißen müssen, daS er mit immer neuer Sorgfalt retou-
chirte und das er sich nicht entschließen konnte, aus den Händen
zu geben.'
Was den allgemeinen Charakter Ingres als Künstler betrifft,
so ist er durchaus nicht ein so fanatischer Verehrer Raphael's, wie
man ihm nachsagt. Er liebt die antike, namentlich die griechische
Kunst, aber zwischen ihm und der David'schen Schule findet 'der
große Unterschied statt, daß David in der Antike das Schöne suchte,
während Ingres in der Natur die Antike und das Schöne sucht.
Ihm ist nicht das Ideale eine Schöpfung außerhalb der Natur; es
ist ihm das zu seinem reinsten Ausdruck gebrachte Schöne in dom
Wahren, und das ist es, was Ingres an Raphael bewundert.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:
Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.
Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;
Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/262>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.