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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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und zwei Jahre später besiegte das Hauptwerk des Künstlers, die
Apotheose Homers (im Louvre), in dem sich die plastische Schönheit
der Griechen mit der idealen Schönheit der Neuern vereinigt, auch
die hartnäckigsten Widersacher. Ingres trat fast mit einem Schritt
aus der Dunkelheit in den glänzendsten Ruhm und wurde in das
Institut aufgenommen.

Die Bewunderung hatte noch zurückwirkende Kraft, und man
fand jetzt auch die Schönheiten der frühern, wenig beachteten Ge¬
mälde Ingres'; man erkannte an, daß Ingres als Porträtmaler eine
wahre Revolution hervorgebracht habe; und da er später bei dem
Porträt des ältern Berlin bewies, das; man mit einem einfachen
Ueberrock, einem schlechten Sessel, und einer hübschen Gestalt ein
Meisterwerk malen könne, ohne seine Zuflucht zu Sammt und Spitzen
zu nehmen, rief man einstimmig, daß Niemand besser als Ingres
die wahre menschliche Schönheit, die Schönheit der Seele, begriffen
und auf der Leinwand festgehalten habe.

Jedoch glaubten die Coloristen noch nicht an ihre Niederlage;
nicht zufrieden, Ingres' Fehler -- sein oft graues Licht, ein hartes
und kaltes Colorit a.-zugreifen, beschuldigten sie ihn auch, Nichts als
ein sklavischer Nachahmer Raphael'S zu sein.

An das Märtyrerthum des heiligen Svmphoricm (ausgestellt
1834) knüpfte sich ein lebhafter Kampf der Kunstkritiker über Ingres'
Künstlerweg; das Bilo wurde vom Neid auf das brutalste begeifert,
und von dem Publicum nicht verstanden. Die Menge stieß sich an
den zwei Lictoren im Vordergrund des Gemäldes; sie lachte über
diese überkräftige Muskulatur, diese ungeheuern Köpfe und über¬
menschlichen Beine; die Kritik fiel ebenfalls mit Leidenschaft über
diese beiden Lictoren her, und das Ensemble des Bildes blieb fast
unberücksichtigt. Vielleicht hat die französische Schule kein kühner
ausgeführtes Gemälde aufzuweisen. Es scheint fast, als habe Ingres
zeigen wollen, daß ihm Energie und Leidenschaft nicht fremder seien,
alö Schönheit und Grazie.

Die, welche diese verwickelte Composition nicht verstanden, IM
ten es offen sagen sollen; sie fanden es aber angemessener, den
Künstler mit Schmähungen zu überhäufen. Ingres ist gegen die
Kritik sehr empfindlich; er ist ein wahrer Typus des leichtvcrletzlichen
und entzündlichen Künstlergeschlechts. Ein Gelehrter, dessen Namen


und zwei Jahre später besiegte das Hauptwerk des Künstlers, die
Apotheose Homers (im Louvre), in dem sich die plastische Schönheit
der Griechen mit der idealen Schönheit der Neuern vereinigt, auch
die hartnäckigsten Widersacher. Ingres trat fast mit einem Schritt
aus der Dunkelheit in den glänzendsten Ruhm und wurde in das
Institut aufgenommen.

Die Bewunderung hatte noch zurückwirkende Kraft, und man
fand jetzt auch die Schönheiten der frühern, wenig beachteten Ge¬
mälde Ingres'; man erkannte an, daß Ingres als Porträtmaler eine
wahre Revolution hervorgebracht habe; und da er später bei dem
Porträt des ältern Berlin bewies, das; man mit einem einfachen
Ueberrock, einem schlechten Sessel, und einer hübschen Gestalt ein
Meisterwerk malen könne, ohne seine Zuflucht zu Sammt und Spitzen
zu nehmen, rief man einstimmig, daß Niemand besser als Ingres
die wahre menschliche Schönheit, die Schönheit der Seele, begriffen
und auf der Leinwand festgehalten habe.

Jedoch glaubten die Coloristen noch nicht an ihre Niederlage;
nicht zufrieden, Ingres' Fehler — sein oft graues Licht, ein hartes
und kaltes Colorit a.-zugreifen, beschuldigten sie ihn auch, Nichts als
ein sklavischer Nachahmer Raphael'S zu sein.

An das Märtyrerthum des heiligen Svmphoricm (ausgestellt
1834) knüpfte sich ein lebhafter Kampf der Kunstkritiker über Ingres'
Künstlerweg; das Bilo wurde vom Neid auf das brutalste begeifert,
und von dem Publicum nicht verstanden. Die Menge stieß sich an
den zwei Lictoren im Vordergrund des Gemäldes; sie lachte über
diese überkräftige Muskulatur, diese ungeheuern Köpfe und über¬
menschlichen Beine; die Kritik fiel ebenfalls mit Leidenschaft über
diese beiden Lictoren her, und das Ensemble des Bildes blieb fast
unberücksichtigt. Vielleicht hat die französische Schule kein kühner
ausgeführtes Gemälde aufzuweisen. Es scheint fast, als habe Ingres
zeigen wollen, daß ihm Energie und Leidenschaft nicht fremder seien,
alö Schönheit und Grazie.

Die, welche diese verwickelte Composition nicht verstanden, IM
ten es offen sagen sollen; sie fanden es aber angemessener, den
Künstler mit Schmähungen zu überhäufen. Ingres ist gegen die
Kritik sehr empfindlich; er ist ein wahrer Typus des leichtvcrletzlichen
und entzündlichen Künstlergeschlechts. Ein Gelehrter, dessen Namen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/260>, abgerufen am 26.06.2024.