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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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der Noth des Lebens und der Verhältnisse? Fällt es Dir gar nicht
ein, wie zahllose Geheimnisse verborgen liegen müssen unter dieser
wahnsinnigen Fröhlichkeit, unter allen diesen Masken, diesem Fiedler
und Putz? Mitten also in Deinem Vergnügen, in Deinen Freuden
umgeben und umschwärmen sie Dich, die Dir noch unbekannten, von
Dir unbeachteten Geheimnisse von Berlin; Du magst Dich drehen
und wenden, wohin Du willst, thue nur die Augen auf, Du wirst
sie finden. Meinst Du etwa vor ihnen in Deine vornehmen, ele¬
ganten Zirkel fliehen zu können? Hier erst Hausen sie in ihrer
schrecklichsten Gestalt, hier siehst Du, statt des augenfälligen, offen-
baren, das verdeckte, das glänzende Elend, die gleißende Sünde, das
geschminkte Laster, die ganze Noth und Angst gedrückter, verkümme"
ter, verzweifelter Verhältnisse unter dem Schimmer des sogenannten
guten Tones verborgen. Man lacht hier mit dem Dolch im Herzen,
singt und tanzt mit der Thräne im Auge, der Verzweiflung in der
Brust, umgibt die häusliche Tragödie mit der Mästender Heiterkeit,
der Geselligkeit und des Scherzes; nicht etwa aus freiem Entschluß,
weil man, wie der rohe Haufe da, sich betäuben, vergessen will, son¬
dern weil man muß, weil der Ton es so gebietet. Sieh Dir doch
nur diese verschiedenen Gestalten und Gesichter genau an, beobachte,
studire sie, ihre Züge, ihre Bewegungen, ihre Blicke, ihr Benehmen
und Wesen, forsche, frage, erkundige Dich dann, Du wirst oft ge¬
nug Mühe haben, Dein Erstaunen zu mäßigen. Hier ist der Ort,
wo Du Dich am allerwenigsten von dem ersten Eindruck, von der
Außenseite blenden lassen darfst; da siehst Du freilich Nichts als Glanz
und -Pracht, Freude, Jubel und Wohlleben, lauter glückliche, reine
Verhältnisse, Alles in Liebenswürdigkeit und Glätte aufgelöst; aber
versuche es nur, den schönen Schleier ein wenig zu lüften, darunter
erst lauert die Gemeinheit, das Elend, der Jammer, das trostlose
Unglück in seinen verschiedensten Gestalten als ein stummes, ein nie an
das Licht des Tages tretendes Geheimniß. Gern möchte ich Dir
sogleich, da Du mich so ungläubig ansiehst, mit einigen saubern Ben
spielen aufwarten, doch habe ich die Absicht, Dich erst später specie
in diese Kreise zu führen. Du lebst und ochse in ihnen und kenn
sie noch nicht von ihrer wahren Seite, wie Du überhaupt in Berli
lebst, von und über Berlin sprichst und weder sein Leben, noch sein
Verhältnisse kennst und berienat. Du will von Allem nur de


gffhsst
Grenzboten I. Z

der Noth des Lebens und der Verhältnisse? Fällt es Dir gar nicht
ein, wie zahllose Geheimnisse verborgen liegen müssen unter dieser
wahnsinnigen Fröhlichkeit, unter allen diesen Masken, diesem Fiedler
und Putz? Mitten also in Deinem Vergnügen, in Deinen Freuden
umgeben und umschwärmen sie Dich, die Dir noch unbekannten, von
Dir unbeachteten Geheimnisse von Berlin; Du magst Dich drehen
und wenden, wohin Du willst, thue nur die Augen auf, Du wirst
sie finden. Meinst Du etwa vor ihnen in Deine vornehmen, ele¬
ganten Zirkel fliehen zu können? Hier erst Hausen sie in ihrer
schrecklichsten Gestalt, hier siehst Du, statt des augenfälligen, offen-
baren, das verdeckte, das glänzende Elend, die gleißende Sünde, das
geschminkte Laster, die ganze Noth und Angst gedrückter, verkümme»
ter, verzweifelter Verhältnisse unter dem Schimmer des sogenannten
guten Tones verborgen. Man lacht hier mit dem Dolch im Herzen,
singt und tanzt mit der Thräne im Auge, der Verzweiflung in der
Brust, umgibt die häusliche Tragödie mit der Mästender Heiterkeit,
der Geselligkeit und des Scherzes; nicht etwa aus freiem Entschluß,
weil man, wie der rohe Haufe da, sich betäuben, vergessen will, son¬
dern weil man muß, weil der Ton es so gebietet. Sieh Dir doch
nur diese verschiedenen Gestalten und Gesichter genau an, beobachte,
studire sie, ihre Züge, ihre Bewegungen, ihre Blicke, ihr Benehmen
und Wesen, forsche, frage, erkundige Dich dann, Du wirst oft ge¬
nug Mühe haben, Dein Erstaunen zu mäßigen. Hier ist der Ort,
wo Du Dich am allerwenigsten von dem ersten Eindruck, von der
Außenseite blenden lassen darfst; da siehst Du freilich Nichts als Glanz
und -Pracht, Freude, Jubel und Wohlleben, lauter glückliche, reine
Verhältnisse, Alles in Liebenswürdigkeit und Glätte aufgelöst; aber
versuche es nur, den schönen Schleier ein wenig zu lüften, darunter
erst lauert die Gemeinheit, das Elend, der Jammer, das trostlose
Unglück in seinen verschiedensten Gestalten als ein stummes, ein nie an
das Licht des Tages tretendes Geheimniß. Gern möchte ich Dir
sogleich, da Du mich so ungläubig ansiehst, mit einigen saubern Ben
spielen aufwarten, doch habe ich die Absicht, Dich erst später specie
in diese Kreise zu führen. Du lebst und ochse in ihnen und kenn
sie noch nicht von ihrer wahren Seite, wie Du überhaupt in Berli
lebst, von und über Berlin sprichst und weder sein Leben, noch sein
Verhältnisse kennst und berienat. Du will von Allem nur de


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Grenzboten I. Z
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[0025] der Noth des Lebens und der Verhältnisse? Fällt es Dir gar nicht ein, wie zahllose Geheimnisse verborgen liegen müssen unter dieser wahnsinnigen Fröhlichkeit, unter allen diesen Masken, diesem Fiedler und Putz? Mitten also in Deinem Vergnügen, in Deinen Freuden umgeben und umschwärmen sie Dich, die Dir noch unbekannten, von Dir unbeachteten Geheimnisse von Berlin; Du magst Dich drehen und wenden, wohin Du willst, thue nur die Augen auf, Du wirst sie finden. Meinst Du etwa vor ihnen in Deine vornehmen, ele¬ ganten Zirkel fliehen zu können? Hier erst Hausen sie in ihrer schrecklichsten Gestalt, hier siehst Du, statt des augenfälligen, offen- baren, das verdeckte, das glänzende Elend, die gleißende Sünde, das geschminkte Laster, die ganze Noth und Angst gedrückter, verkümme» ter, verzweifelter Verhältnisse unter dem Schimmer des sogenannten guten Tones verborgen. Man lacht hier mit dem Dolch im Herzen, singt und tanzt mit der Thräne im Auge, der Verzweiflung in der Brust, umgibt die häusliche Tragödie mit der Mästender Heiterkeit, der Geselligkeit und des Scherzes; nicht etwa aus freiem Entschluß, weil man, wie der rohe Haufe da, sich betäuben, vergessen will, son¬ dern weil man muß, weil der Ton es so gebietet. Sieh Dir doch nur diese verschiedenen Gestalten und Gesichter genau an, beobachte, studire sie, ihre Züge, ihre Bewegungen, ihre Blicke, ihr Benehmen und Wesen, forsche, frage, erkundige Dich dann, Du wirst oft ge¬ nug Mühe haben, Dein Erstaunen zu mäßigen. Hier ist der Ort, wo Du Dich am allerwenigsten von dem ersten Eindruck, von der Außenseite blenden lassen darfst; da siehst Du freilich Nichts als Glanz und -Pracht, Freude, Jubel und Wohlleben, lauter glückliche, reine Verhältnisse, Alles in Liebenswürdigkeit und Glätte aufgelöst; aber versuche es nur, den schönen Schleier ein wenig zu lüften, darunter erst lauert die Gemeinheit, das Elend, der Jammer, das trostlose Unglück in seinen verschiedensten Gestalten als ein stummes, ein nie an das Licht des Tages tretendes Geheimniß. Gern möchte ich Dir sogleich, da Du mich so ungläubig ansiehst, mit einigen saubern Ben spielen aufwarten, doch habe ich die Absicht, Dich erst später specie in diese Kreise zu führen. Du lebst und ochse in ihnen und kenn sie noch nicht von ihrer wahren Seite, wie Du überhaupt in Berli lebst, von und über Berlin sprichst und weder sein Leben, noch sein Verhältnisse kennst und berienat. Du will von Allem nur de gffhsst Grenzboten I. Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/25>, abgerufen am 26.06.2024.