Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

die kleine, bisher so mild und bescheiden einwirkende Frau war ernst,
grundernst geworden; ihr Blick -- noch sanft und beinahe der ge<
wohnliche -- hatte etwas eigenthümlich Festes, ihre Züge sprachen
Entscheidung und Entschlossenheit, ein fast herrscherlicher Trotz bezeugte
den tiefsten Glauben an das, was sie sagte.

-- Sie glauben also nicht, daß Orleans regieren wird? fragte
nach einer Weile Gans mit erhöhtem Eifer. -- Regieren? --
versetzte Frau von Barnhagen -- warum nicht? Wer kann alle
Zwischenscenen berechnen! Aber die großen Ereignisse von auf-
haltender geschichtlicher Gestalt gehen darüber hinweg und
machen daraus den Staub ihres Weges.

Das letztere Bild hatte etwas schauerlich Großes und war ganz
in der Eigenthümlichkeit der Sprecherin. Auch erregte ihr Ausspruch
eine besondere Spannung; aber die Prophezeihung klang doch etwas
abenteuerlich und wir glaubten ihr keineswegs. Noch saßen die
Bourbons in aller Macht auf dem Thron, noch war Orleans nur
der demüthige Agent, und hier wurde nicht nur der Fall von jenen,
sondern auch schon von diesem, der noch erst erhöht werden mußte,
frischweg verkündigt. Jedoch wenige Monate später war der erste
Theil der fabelhaften Weissagung bereits erfüllt, und in den seitheri¬
gen Ereignissen ist Nichts, was der Möglichkeit widerspräche, daß
auch der zweite Theil in Erfüllung gehen könnte! --

Der Gang deö Gesprächs und unserer Betrachtungen wurde
unterbrochen durch die Anmeldung, der Fürst von Pückler komme.
Die späte Zeit -- es war nah an Mitternacht -- war für ihn
eitle gewöhnliche und es schien nichts Auffallendes, daß er zu solcher
Stunde käme; wohl aber wunderte sich Frau >on Varnhagen, daß
der Fürst in Berlin sei, da er eben erst aus Muskau geschrieben
habe. Als wir mit einiger Spannung seinem Eintritt entgegensahen,
öffnete sich die Thüre nur ein wenig und ein artiger Kopf bog sich
durch die Spalte schalkhaft hervor, gleichsam das Terrain prüfend;
es war Bettina von A..., der sogleich Frau von Varnhagen mit
lebhaftem Willkommen entgegenstürzte und die halb Widerstrebende
an der Hand hereinführte. -- Gelt, ich hab' Euch erschreckt? sagte
Frau von A..., aber ich wollte nur sehen, was Ihr für Gesichter
macht, wenn Ihr denkt, der Fürst Pückler kommt; und ich glaube
doch fast, er wäre Euch lieber gewesen, als ich. Alle Einrede ab-


Gl'cnzbottn >. 28

die kleine, bisher so mild und bescheiden einwirkende Frau war ernst,
grundernst geworden; ihr Blick — noch sanft und beinahe der ge<
wohnliche — hatte etwas eigenthümlich Festes, ihre Züge sprachen
Entscheidung und Entschlossenheit, ein fast herrscherlicher Trotz bezeugte
den tiefsten Glauben an das, was sie sagte.

— Sie glauben also nicht, daß Orleans regieren wird? fragte
nach einer Weile Gans mit erhöhtem Eifer. — Regieren? —
versetzte Frau von Barnhagen — warum nicht? Wer kann alle
Zwischenscenen berechnen! Aber die großen Ereignisse von auf-
haltender geschichtlicher Gestalt gehen darüber hinweg und
machen daraus den Staub ihres Weges.

Das letztere Bild hatte etwas schauerlich Großes und war ganz
in der Eigenthümlichkeit der Sprecherin. Auch erregte ihr Ausspruch
eine besondere Spannung; aber die Prophezeihung klang doch etwas
abenteuerlich und wir glaubten ihr keineswegs. Noch saßen die
Bourbons in aller Macht auf dem Thron, noch war Orleans nur
der demüthige Agent, und hier wurde nicht nur der Fall von jenen,
sondern auch schon von diesem, der noch erst erhöht werden mußte,
frischweg verkündigt. Jedoch wenige Monate später war der erste
Theil der fabelhaften Weissagung bereits erfüllt, und in den seitheri¬
gen Ereignissen ist Nichts, was der Möglichkeit widerspräche, daß
auch der zweite Theil in Erfüllung gehen könnte! —

Der Gang deö Gesprächs und unserer Betrachtungen wurde
unterbrochen durch die Anmeldung, der Fürst von Pückler komme.
Die späte Zeit — es war nah an Mitternacht — war für ihn
eitle gewöhnliche und es schien nichts Auffallendes, daß er zu solcher
Stunde käme; wohl aber wunderte sich Frau >on Varnhagen, daß
der Fürst in Berlin sei, da er eben erst aus Muskau geschrieben
habe. Als wir mit einiger Spannung seinem Eintritt entgegensahen,
öffnete sich die Thüre nur ein wenig und ein artiger Kopf bog sich
durch die Spalte schalkhaft hervor, gleichsam das Terrain prüfend;
es war Bettina von A..., der sogleich Frau von Varnhagen mit
lebhaftem Willkommen entgegenstürzte und die halb Widerstrebende
an der Hand hereinführte. — Gelt, ich hab' Euch erschreckt? sagte
Frau von A..., aber ich wollte nur sehen, was Ihr für Gesichter
macht, wenn Ihr denkt, der Fürst Pückler kommt; und ich glaube
doch fast, er wäre Euch lieber gewesen, als ich. Alle Einrede ab-


Gl'cnzbottn >. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179930"/>
            <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> die kleine, bisher so mild und bescheiden einwirkende Frau war ernst,<lb/>
grundernst geworden; ihr Blick &#x2014; noch sanft und beinahe der ge&lt;<lb/>
wohnliche &#x2014; hatte etwas eigenthümlich Festes, ihre Züge sprachen<lb/>
Entscheidung und Entschlossenheit, ein fast herrscherlicher Trotz bezeugte<lb/>
den tiefsten Glauben an das, was sie sagte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_560"> &#x2014; Sie glauben also nicht, daß Orleans regieren wird? fragte<lb/>
nach einer Weile Gans mit erhöhtem Eifer. &#x2014; Regieren? &#x2014;<lb/>
versetzte Frau von Barnhagen &#x2014; warum nicht? Wer kann alle<lb/>
Zwischenscenen berechnen! Aber die großen Ereignisse von auf-<lb/>
haltender geschichtlicher Gestalt gehen darüber hinweg und<lb/>
machen daraus den Staub ihres Weges.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_561"> Das letztere Bild hatte etwas schauerlich Großes und war ganz<lb/>
in der Eigenthümlichkeit der Sprecherin. Auch erregte ihr Ausspruch<lb/>
eine besondere Spannung; aber die Prophezeihung klang doch etwas<lb/>
abenteuerlich und wir glaubten ihr keineswegs. Noch saßen die<lb/>
Bourbons in aller Macht auf dem Thron, noch war Orleans nur<lb/>
der demüthige Agent, und hier wurde nicht nur der Fall von jenen,<lb/>
sondern auch schon von diesem, der noch erst erhöht werden mußte,<lb/>
frischweg verkündigt. Jedoch wenige Monate später war der erste<lb/>
Theil der fabelhaften Weissagung bereits erfüllt, und in den seitheri¬<lb/>
gen Ereignissen ist Nichts, was der Möglichkeit widerspräche, daß<lb/>
auch der zweite Theil in Erfüllung gehen könnte! &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_562" next="#ID_563"> Der Gang deö Gesprächs und unserer Betrachtungen wurde<lb/>
unterbrochen durch die Anmeldung, der Fürst von Pückler komme.<lb/>
Die späte Zeit &#x2014; es war nah an Mitternacht &#x2014; war für ihn<lb/>
eitle gewöhnliche und es schien nichts Auffallendes, daß er zu solcher<lb/>
Stunde käme; wohl aber wunderte sich Frau &gt;on Varnhagen, daß<lb/>
der Fürst in Berlin sei, da er eben erst aus Muskau geschrieben<lb/>
habe. Als wir mit einiger Spannung seinem Eintritt entgegensahen,<lb/>
öffnete sich die Thüre nur ein wenig und ein artiger Kopf bog sich<lb/>
durch die Spalte schalkhaft hervor, gleichsam das Terrain prüfend;<lb/>
es war Bettina von A..., der sogleich Frau von Varnhagen mit<lb/>
lebhaftem Willkommen entgegenstürzte und die halb Widerstrebende<lb/>
an der Hand hereinführte. &#x2014; Gelt, ich hab' Euch erschreckt? sagte<lb/>
Frau von A..., aber ich wollte nur sehen, was Ihr für Gesichter<lb/>
macht, wenn Ihr denkt, der Fürst Pückler kommt; und ich glaube<lb/>
doch fast, er wäre Euch lieber gewesen, als ich. Alle Einrede ab-</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"> Gl'cnzbottn &gt;. 28</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] die kleine, bisher so mild und bescheiden einwirkende Frau war ernst, grundernst geworden; ihr Blick — noch sanft und beinahe der ge< wohnliche — hatte etwas eigenthümlich Festes, ihre Züge sprachen Entscheidung und Entschlossenheit, ein fast herrscherlicher Trotz bezeugte den tiefsten Glauben an das, was sie sagte. — Sie glauben also nicht, daß Orleans regieren wird? fragte nach einer Weile Gans mit erhöhtem Eifer. — Regieren? — versetzte Frau von Barnhagen — warum nicht? Wer kann alle Zwischenscenen berechnen! Aber die großen Ereignisse von auf- haltender geschichtlicher Gestalt gehen darüber hinweg und machen daraus den Staub ihres Weges. Das letztere Bild hatte etwas schauerlich Großes und war ganz in der Eigenthümlichkeit der Sprecherin. Auch erregte ihr Ausspruch eine besondere Spannung; aber die Prophezeihung klang doch etwas abenteuerlich und wir glaubten ihr keineswegs. Noch saßen die Bourbons in aller Macht auf dem Thron, noch war Orleans nur der demüthige Agent, und hier wurde nicht nur der Fall von jenen, sondern auch schon von diesem, der noch erst erhöht werden mußte, frischweg verkündigt. Jedoch wenige Monate später war der erste Theil der fabelhaften Weissagung bereits erfüllt, und in den seitheri¬ gen Ereignissen ist Nichts, was der Möglichkeit widerspräche, daß auch der zweite Theil in Erfüllung gehen könnte! — Der Gang deö Gesprächs und unserer Betrachtungen wurde unterbrochen durch die Anmeldung, der Fürst von Pückler komme. Die späte Zeit — es war nah an Mitternacht — war für ihn eitle gewöhnliche und es schien nichts Auffallendes, daß er zu solcher Stunde käme; wohl aber wunderte sich Frau >on Varnhagen, daß der Fürst in Berlin sei, da er eben erst aus Muskau geschrieben habe. Als wir mit einiger Spannung seinem Eintritt entgegensahen, öffnete sich die Thüre nur ein wenig und ein artiger Kopf bog sich durch die Spalte schalkhaft hervor, gleichsam das Terrain prüfend; es war Bettina von A..., der sogleich Frau von Varnhagen mit lebhaftem Willkommen entgegenstürzte und die halb Widerstrebende an der Hand hereinführte. — Gelt, ich hab' Euch erschreckt? sagte Frau von A..., aber ich wollte nur sehen, was Ihr für Gesichter macht, wenn Ihr denkt, der Fürst Pückler kommt; und ich glaube doch fast, er wäre Euch lieber gewesen, als ich. Alle Einrede ab- Gl'cnzbottn >. 28

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/217>, abgerufen am 23.12.2024.