ist ein Mann, der sein Vaterland befreien will, ist aber von seinen Ideen so berauscht, so wahnsinnig, müssen wir sagen, daß er Alles thut, nur nicht das, was zu seinen Zwecken nothwendig, ja daß er einen zwecklosen Mord begeht. -- Man verabscheut also den Hel¬ den der Tragödie; wie soll sie bestehen? 2) Die unmotivirte Kata¬ strophe. 3) Stoffmangel verursacht Langeweile. Kann ein Bühnen¬ dichter eine größere Sünde begehn? 4) Die historische Tragödie zeigt uns, mit Ausnahme des vortrefflich gearbeiteten ersten Actes keine Geschichte.
Außer dem Erwähnten stört noch so vieles Andere. -- Der zweite Act ermangelt alles Interesses. -- Häufige Reminiscenzen kommen vor, theils an fremde Stücke, theils an Stücke des Verfassers. -- Der oft wiederholte Ausruf Sampiero's "der Brief, der Brief!" er¬ innert an Othello; das plötzliche Auftreten unter den Verschworenen an die Streichen und andere Stücke; das Benehmen und der Ton Sampiero's gegen seine Gattin an Percival und Griseldis. -- Zu tadeln ist die Grausamkeit, die im vierten Acte die Ermordung auf¬ schiebt und sich den, ganzen fünften Act hindurch damit beschäftigt. Ja man erkennt noch den Dichter der Griseldis. Ich habe im Par¬ terre Leute gesehen, die die Tortur der Armen nicht länger mit an¬ sehen konnten. -- Zu bedauern endlich ist, daß Vanina, die einzige Person, die man lieben möchte, diese Liebe auf eine ungeschickte Weise verscherzt. Sie kann dem Bauernsöhne gegenüber ihre aristo¬ kratische Abstammung nicht vergessen, was doch lächerlich ist, da sie Sampiero für einen großen Mann hält. -- Störend endlich ist noch die Sprache dieses Dramas. Es ist gewiß auch ein Fortschritt, wenn Halm den Vers verläßt, aber es gelingt ihm noch nicht, in reiner, natürlicher Prosa zu sprechen. Die Sprache ist Nichts, als aufgelöster oder zerstückelter Vers. Ost, sehr oft kommt ein ganz stattlicher Jambus mit seinem ganzen Sonntagsstaate und feierlichen Schritte" angestiegen und man stage sich verwundert: Das soll Prosa sein? Es geht Halm mit seiner Prosa, wie jenem Immermann'schen Minister in Münchhausen, der sich populär machen will.
M. H. v. Geldern.
ist ein Mann, der sein Vaterland befreien will, ist aber von seinen Ideen so berauscht, so wahnsinnig, müssen wir sagen, daß er Alles thut, nur nicht das, was zu seinen Zwecken nothwendig, ja daß er einen zwecklosen Mord begeht. — Man verabscheut also den Hel¬ den der Tragödie; wie soll sie bestehen? 2) Die unmotivirte Kata¬ strophe. 3) Stoffmangel verursacht Langeweile. Kann ein Bühnen¬ dichter eine größere Sünde begehn? 4) Die historische Tragödie zeigt uns, mit Ausnahme des vortrefflich gearbeiteten ersten Actes keine Geschichte.
Außer dem Erwähnten stört noch so vieles Andere. — Der zweite Act ermangelt alles Interesses. — Häufige Reminiscenzen kommen vor, theils an fremde Stücke, theils an Stücke des Verfassers. — Der oft wiederholte Ausruf Sampiero's „der Brief, der Brief!" er¬ innert an Othello; das plötzliche Auftreten unter den Verschworenen an die Streichen und andere Stücke; das Benehmen und der Ton Sampiero's gegen seine Gattin an Percival und Griseldis. — Zu tadeln ist die Grausamkeit, die im vierten Acte die Ermordung auf¬ schiebt und sich den, ganzen fünften Act hindurch damit beschäftigt. Ja man erkennt noch den Dichter der Griseldis. Ich habe im Par¬ terre Leute gesehen, die die Tortur der Armen nicht länger mit an¬ sehen konnten. — Zu bedauern endlich ist, daß Vanina, die einzige Person, die man lieben möchte, diese Liebe auf eine ungeschickte Weise verscherzt. Sie kann dem Bauernsöhne gegenüber ihre aristo¬ kratische Abstammung nicht vergessen, was doch lächerlich ist, da sie Sampiero für einen großen Mann hält. — Störend endlich ist noch die Sprache dieses Dramas. Es ist gewiß auch ein Fortschritt, wenn Halm den Vers verläßt, aber es gelingt ihm noch nicht, in reiner, natürlicher Prosa zu sprechen. Die Sprache ist Nichts, als aufgelöster oder zerstückelter Vers. Ost, sehr oft kommt ein ganz stattlicher Jambus mit seinem ganzen Sonntagsstaate und feierlichen Schritte» angestiegen und man stage sich verwundert: Das soll Prosa sein? Es geht Halm mit seiner Prosa, wie jenem Immermann'schen Minister in Münchhausen, der sich populär machen will.
M. H. v. Geldern.
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ist ein Mann, der sein Vaterland befreien will, ist aber von seinen
Ideen so berauscht, so wahnsinnig, müssen wir sagen, daß er Alles
thut, nur nicht das, was zu seinen Zwecken nothwendig, ja daß er
einen zwecklosen Mord begeht. — Man verabscheut also den Hel¬
den der Tragödie; wie soll sie bestehen? 2) Die unmotivirte Kata¬
strophe. 3) Stoffmangel verursacht Langeweile. Kann ein Bühnen¬
dichter eine größere Sünde begehn? 4) Die historische Tragödie
zeigt uns, mit Ausnahme des vortrefflich gearbeiteten ersten Actes
keine Geschichte.
Außer dem Erwähnten stört noch so vieles Andere. — Der zweite
Act ermangelt alles Interesses. — Häufige Reminiscenzen kommen
vor, theils an fremde Stücke, theils an Stücke des Verfassers. —
Der oft wiederholte Ausruf Sampiero's „der Brief, der Brief!" er¬
innert an Othello; das plötzliche Auftreten unter den Verschworenen
an die Streichen und andere Stücke; das Benehmen und der Ton
Sampiero's gegen seine Gattin an Percival und Griseldis. — Zu
tadeln ist die Grausamkeit, die im vierten Acte die Ermordung auf¬
schiebt und sich den, ganzen fünften Act hindurch damit beschäftigt.
Ja man erkennt noch den Dichter der Griseldis. Ich habe im Par¬
terre Leute gesehen, die die Tortur der Armen nicht länger mit an¬
sehen konnten. — Zu bedauern endlich ist, daß Vanina, die einzige
Person, die man lieben möchte, diese Liebe auf eine ungeschickte
Weise verscherzt. Sie kann dem Bauernsöhne gegenüber ihre aristo¬
kratische Abstammung nicht vergessen, was doch lächerlich ist, da sie
Sampiero für einen großen Mann hält. — Störend endlich ist noch
die Sprache dieses Dramas. Es ist gewiß auch ein Fortschritt,
wenn Halm den Vers verläßt, aber es gelingt ihm noch nicht, in
reiner, natürlicher Prosa zu sprechen. Die Sprache ist Nichts, als
aufgelöster oder zerstückelter Vers. Ost, sehr oft kommt ein ganz
stattlicher Jambus mit seinem ganzen Sonntagsstaate und feierlichen
Schritte» angestiegen und man stage sich verwundert: Das soll Prosa
sein? Es geht Halm mit seiner Prosa, wie jenem Immermann'schen
Minister in Münchhausen, der sich populär machen will.
M. H. v. Geldern.
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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/202>, abgerufen am 22.12.2024.
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