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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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auf eine größere Einigung, auf ein Zusammenhalten und Zusammen-
streben der dramatischen Dichter mit hinwirken; denn nicht durch An¬
feinden und Herabsetzen der Competenten werden die Dichter sich he¬
ben, sondern durch gegenseitige Anerkennung, durch Förderung ihrer
Zwecke werden sie eine höhere Achtung und Theilnahme, werden sie
festeren Boden und weiteres Terrain gewinnen. Vor Kurzem sind
Mosen's Gedichte in zweiter Auflage erschienen; in diesen zeigt sich
sein Genius am deutlichsten mit seinen ursprünglichen Gaben; viele
davon sind bereits in das Volk übergegangen, ohne daß man viel¬
leicht den Namen des Verfassers kennt, so "die letzten Zehn vom
vierten Regiment." -- Die Dresdener Bühne hat uns am ersten
Tag des neuen Jahres einen Glückwunsch dargebracht, der bedeu¬
tungsvoll, folgenreich sich erweisen wird. Gutzkow'S "Zopf und
Schwert" wurde gegeben und seitdem noch einmal bei stets überfüll'
tem Hause wiederholt. Die Theilnahme des Publicums hat für das
Stück eher zu- als abgenommen; auch von Frankfurt, Hamburg und
Nürnberg hören wir ahnliche Resultate. Die Franzosen, namentlich
Scribe, haben das historische Lustspiel mit vielem Talent in ihrer ei¬
genthümlichen Weise cultivirt; die deutschen Dichter wagten es wegen
unserer politisch-socialen Verhältnisse kaum, auf diesen glatten und
schwankenden Boden zu treten. Gutzkow hat die Kühnheit gehabt,
voranzuschreiten. Er gibt ein Charakterbild Friedrich Wilhelm's I.
von Preußen und seiner Zeit und führt den Hof jenes Königs in
seiner militärisch-strengen Eigenthümlichkeit vor. Der Erbprinz von
Baireuth, Freund des sich in Rheinsberg aufhaltenden Kronprinzen
Friedrich, gewinnt die Neigung der liebenswürdigen und geistreichen
Prinzessin Wilhelmine, die nachmals als Markgräfin von Baireuth
durch ihre Memoiren sich ein bleibendes Gedächtniß gestiftet, und er¬
ringt sie sich, durch glückliche Umstände und die eigenthümliche Ge¬
müthsstimmung des Königs begünstigt, als Braut, trotz der Mitbe¬
werbung des englischen und des österreichischen Gesandten für den Prin¬
zen von Wales und den Erzherzog Leopold. Die Charaktere treten
in scharfer, lebendiger Zeichnung auf, die Handlung ist bewegt und
immer fortschreitend, die Situationen originell, spannend, pikant, er-
götzlich und das Alles von glücklichem Witz und reichem Humor ge¬
würzt und erheitert. Zu den ergötzlichsten Scenen gehört die, als
Eckhoff der Prinzessin Wilhelmine auf des Königs Befehl den Ziu-


auf eine größere Einigung, auf ein Zusammenhalten und Zusammen-
streben der dramatischen Dichter mit hinwirken; denn nicht durch An¬
feinden und Herabsetzen der Competenten werden die Dichter sich he¬
ben, sondern durch gegenseitige Anerkennung, durch Förderung ihrer
Zwecke werden sie eine höhere Achtung und Theilnahme, werden sie
festeren Boden und weiteres Terrain gewinnen. Vor Kurzem sind
Mosen's Gedichte in zweiter Auflage erschienen; in diesen zeigt sich
sein Genius am deutlichsten mit seinen ursprünglichen Gaben; viele
davon sind bereits in das Volk übergegangen, ohne daß man viel¬
leicht den Namen des Verfassers kennt, so „die letzten Zehn vom
vierten Regiment." — Die Dresdener Bühne hat uns am ersten
Tag des neuen Jahres einen Glückwunsch dargebracht, der bedeu¬
tungsvoll, folgenreich sich erweisen wird. Gutzkow'S „Zopf und
Schwert" wurde gegeben und seitdem noch einmal bei stets überfüll'
tem Hause wiederholt. Die Theilnahme des Publicums hat für das
Stück eher zu- als abgenommen; auch von Frankfurt, Hamburg und
Nürnberg hören wir ahnliche Resultate. Die Franzosen, namentlich
Scribe, haben das historische Lustspiel mit vielem Talent in ihrer ei¬
genthümlichen Weise cultivirt; die deutschen Dichter wagten es wegen
unserer politisch-socialen Verhältnisse kaum, auf diesen glatten und
schwankenden Boden zu treten. Gutzkow hat die Kühnheit gehabt,
voranzuschreiten. Er gibt ein Charakterbild Friedrich Wilhelm's I.
von Preußen und seiner Zeit und führt den Hof jenes Königs in
seiner militärisch-strengen Eigenthümlichkeit vor. Der Erbprinz von
Baireuth, Freund des sich in Rheinsberg aufhaltenden Kronprinzen
Friedrich, gewinnt die Neigung der liebenswürdigen und geistreichen
Prinzessin Wilhelmine, die nachmals als Markgräfin von Baireuth
durch ihre Memoiren sich ein bleibendes Gedächtniß gestiftet, und er¬
ringt sie sich, durch glückliche Umstände und die eigenthümliche Ge¬
müthsstimmung des Königs begünstigt, als Braut, trotz der Mitbe¬
werbung des englischen und des österreichischen Gesandten für den Prin¬
zen von Wales und den Erzherzog Leopold. Die Charaktere treten
in scharfer, lebendiger Zeichnung auf, die Handlung ist bewegt und
immer fortschreitend, die Situationen originell, spannend, pikant, er-
götzlich und das Alles von glücklichem Witz und reichem Humor ge¬
würzt und erheitert. Zu den ergötzlichsten Scenen gehört die, als
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[0192] auf eine größere Einigung, auf ein Zusammenhalten und Zusammen- streben der dramatischen Dichter mit hinwirken; denn nicht durch An¬ feinden und Herabsetzen der Competenten werden die Dichter sich he¬ ben, sondern durch gegenseitige Anerkennung, durch Förderung ihrer Zwecke werden sie eine höhere Achtung und Theilnahme, werden sie festeren Boden und weiteres Terrain gewinnen. Vor Kurzem sind Mosen's Gedichte in zweiter Auflage erschienen; in diesen zeigt sich sein Genius am deutlichsten mit seinen ursprünglichen Gaben; viele davon sind bereits in das Volk übergegangen, ohne daß man viel¬ leicht den Namen des Verfassers kennt, so „die letzten Zehn vom vierten Regiment." — Die Dresdener Bühne hat uns am ersten Tag des neuen Jahres einen Glückwunsch dargebracht, der bedeu¬ tungsvoll, folgenreich sich erweisen wird. Gutzkow'S „Zopf und Schwert" wurde gegeben und seitdem noch einmal bei stets überfüll' tem Hause wiederholt. Die Theilnahme des Publicums hat für das Stück eher zu- als abgenommen; auch von Frankfurt, Hamburg und Nürnberg hören wir ahnliche Resultate. Die Franzosen, namentlich Scribe, haben das historische Lustspiel mit vielem Talent in ihrer ei¬ genthümlichen Weise cultivirt; die deutschen Dichter wagten es wegen unserer politisch-socialen Verhältnisse kaum, auf diesen glatten und schwankenden Boden zu treten. Gutzkow hat die Kühnheit gehabt, voranzuschreiten. Er gibt ein Charakterbild Friedrich Wilhelm's I. von Preußen und seiner Zeit und führt den Hof jenes Königs in seiner militärisch-strengen Eigenthümlichkeit vor. Der Erbprinz von Baireuth, Freund des sich in Rheinsberg aufhaltenden Kronprinzen Friedrich, gewinnt die Neigung der liebenswürdigen und geistreichen Prinzessin Wilhelmine, die nachmals als Markgräfin von Baireuth durch ihre Memoiren sich ein bleibendes Gedächtniß gestiftet, und er¬ ringt sie sich, durch glückliche Umstände und die eigenthümliche Ge¬ müthsstimmung des Königs begünstigt, als Braut, trotz der Mitbe¬ werbung des englischen und des österreichischen Gesandten für den Prin¬ zen von Wales und den Erzherzog Leopold. Die Charaktere treten in scharfer, lebendiger Zeichnung auf, die Handlung ist bewegt und immer fortschreitend, die Situationen originell, spannend, pikant, er- götzlich und das Alles von glücklichem Witz und reichem Humor ge¬ würzt und erheitert. Zu den ergötzlichsten Scenen gehört die, als Eckhoff der Prinzessin Wilhelmine auf des Königs Befehl den Ziu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/192>, abgerufen am 29.06.2024.