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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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-- Von dem Erzherzog Stephan erzählt man in Wien folgende
Anekdote. Bekanntlich ist das Buch "Oesterreich und seine Zukunft"
auf eine fast räthselhafte Weise trotz aller Wachsamkeit der Censur
nach Oesterreich gedrungen. Das Buch, dessen Grundzug die Verthei¬
digung der aristokratischen Interessen bildet, fand unter dem Adel be¬
sonders viele Leser und Verbreiter. An einem Morgen fand man das
Buch auch auf dem Schreibtische des Erzherzogs Ludwig liegen, ohne
daß man wußte, wer es dahin gelegt habe. Dieses Räthsel machte
Aufsehen und brachte den Hofstaat des Erzherzogs in Verwirrung, bis
endlich der Erzherzog Stephan an seinen erlauchten Onkel die Frage
richtete, was er über daS Buch, welches er auf seinen Tisch gelegt
habe, urtheile? Durch diese Frage war allerdings das Räthsel gelöst.

-- Die "illustrirte Zeitung", welche erst seit einem Jahre be¬
steht, hat vielleicht den größten Succeß, den je> ein Blatt in Deutsch¬
land noch gehabt. Bei ihrem Erscheinen hielt Jedermann das Unter¬
nehmen für gewagt, ja für kopflos. Der Verleger selbst bekannte, daß
er drei tausend Exemplare absetzen müsse, um auf seine Kosten zu
kommen, und am Ende des ersten Jahres schon belief sich der Absatz
auf 5(X)0 Exemplare! Seit dem Neujahr soll er um noch zwei tau¬
send gewachsen sein! Und doch bringt dieses Blatt, mit Ausnahme
etwa der politischen Uebersichten von I. L. fL eh manu in Berlins)
selten einen Artikel von größerer Bedeutung. Die Holzschnitte müs¬
sen den ganzen Absatz motiviren. Und doch haben auch diese selten
das Verdienst, 5 jironas zu kommen. Vielmehr langen sie gewöhn¬
lich als hinkende Boten, als mulet-u-d" ->^i<>8 dinvr an. Wenn die
Pariser Neugier nach den "Mufti'ittions " greift, um die Landung in
Trcport und den Besuch Victoria'S in En abgebildet zu scheu, so ist
diese Neugier ganz natürlich, denn dieser Besuch fand so eben Statt,
alle Blätter sprechen noch davon. Die Aufmerksamkeit ist "och ganz
erregt. Wenn aber der Holzschnitt, nachdem er in Paris gehörig seine
Dienste gethan, nun mit dem Güterwagen die lange Reise nach Leip¬
zig antritt, um hier, nachdem mehrere Wochen hinter jenem Ereignisse
liegen, xost teslmn die Neugier des deutschen Publicums zu befriedi¬
ge", das nicht ein Mal wie die Franzosen, ein nationales directes
Interesse an diesem Ereignisse hat, dann kommt u n s dieser Nachzüg¬
ler mehr komisch als interessant vor. Uns, d. h. den Schriftstellern
und dem kleinen Kreis von Lesern, welche dem Gange der öffentlichen
Ereignisse mit Ernst folgen. Aber für uns gibt Herr Weber anch
seine illustrirte Zeitung nicht heraus, sondern für das große deutsche
Publicum und daß er sich in diesem nicht irrt, das beweisen seine
siebentausend Abonnenten. Das deutsche Publicum hat auch nach



*) Redacteur des Magazins für Literatur des Auslandes.
Greiizbotcn l"4i> >- 22

— Von dem Erzherzog Stephan erzählt man in Wien folgende
Anekdote. Bekanntlich ist das Buch „Oesterreich und seine Zukunft"
auf eine fast räthselhafte Weise trotz aller Wachsamkeit der Censur
nach Oesterreich gedrungen. Das Buch, dessen Grundzug die Verthei¬
digung der aristokratischen Interessen bildet, fand unter dem Adel be¬
sonders viele Leser und Verbreiter. An einem Morgen fand man das
Buch auch auf dem Schreibtische des Erzherzogs Ludwig liegen, ohne
daß man wußte, wer es dahin gelegt habe. Dieses Räthsel machte
Aufsehen und brachte den Hofstaat des Erzherzogs in Verwirrung, bis
endlich der Erzherzog Stephan an seinen erlauchten Onkel die Frage
richtete, was er über daS Buch, welches er auf seinen Tisch gelegt
habe, urtheile? Durch diese Frage war allerdings das Räthsel gelöst.

— Die „illustrirte Zeitung", welche erst seit einem Jahre be¬
steht, hat vielleicht den größten Succeß, den je> ein Blatt in Deutsch¬
land noch gehabt. Bei ihrem Erscheinen hielt Jedermann das Unter¬
nehmen für gewagt, ja für kopflos. Der Verleger selbst bekannte, daß
er drei tausend Exemplare absetzen müsse, um auf seine Kosten zu
kommen, und am Ende des ersten Jahres schon belief sich der Absatz
auf 5(X)0 Exemplare! Seit dem Neujahr soll er um noch zwei tau¬
send gewachsen sein! Und doch bringt dieses Blatt, mit Ausnahme
etwa der politischen Uebersichten von I. L. fL eh manu in Berlins)
selten einen Artikel von größerer Bedeutung. Die Holzschnitte müs¬
sen den ganzen Absatz motiviren. Und doch haben auch diese selten
das Verdienst, 5 jironas zu kommen. Vielmehr langen sie gewöhn¬
lich als hinkende Boten, als mulet-u-d« ->^i<>8 dinvr an. Wenn die
Pariser Neugier nach den „Mufti'ittions " greift, um die Landung in
Trcport und den Besuch Victoria'S in En abgebildet zu scheu, so ist
diese Neugier ganz natürlich, denn dieser Besuch fand so eben Statt,
alle Blätter sprechen noch davon. Die Aufmerksamkeit ist »och ganz
erregt. Wenn aber der Holzschnitt, nachdem er in Paris gehörig seine
Dienste gethan, nun mit dem Güterwagen die lange Reise nach Leip¬
zig antritt, um hier, nachdem mehrere Wochen hinter jenem Ereignisse
liegen, xost teslmn die Neugier des deutschen Publicums zu befriedi¬
ge», das nicht ein Mal wie die Franzosen, ein nationales directes
Interesse an diesem Ereignisse hat, dann kommt u n s dieser Nachzüg¬
ler mehr komisch als interessant vor. Uns, d. h. den Schriftstellern
und dem kleinen Kreis von Lesern, welche dem Gange der öffentlichen
Ereignisse mit Ernst folgen. Aber für uns gibt Herr Weber anch
seine illustrirte Zeitung nicht heraus, sondern für das große deutsche
Publicum und daß er sich in diesem nicht irrt, das beweisen seine
siebentausend Abonnenten. Das deutsche Publicum hat auch nach



*) Redacteur des Magazins für Literatur des Auslandes.
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[0173] — Von dem Erzherzog Stephan erzählt man in Wien folgende Anekdote. Bekanntlich ist das Buch „Oesterreich und seine Zukunft" auf eine fast räthselhafte Weise trotz aller Wachsamkeit der Censur nach Oesterreich gedrungen. Das Buch, dessen Grundzug die Verthei¬ digung der aristokratischen Interessen bildet, fand unter dem Adel be¬ sonders viele Leser und Verbreiter. An einem Morgen fand man das Buch auch auf dem Schreibtische des Erzherzogs Ludwig liegen, ohne daß man wußte, wer es dahin gelegt habe. Dieses Räthsel machte Aufsehen und brachte den Hofstaat des Erzherzogs in Verwirrung, bis endlich der Erzherzog Stephan an seinen erlauchten Onkel die Frage richtete, was er über daS Buch, welches er auf seinen Tisch gelegt habe, urtheile? Durch diese Frage war allerdings das Räthsel gelöst. — Die „illustrirte Zeitung", welche erst seit einem Jahre be¬ steht, hat vielleicht den größten Succeß, den je> ein Blatt in Deutsch¬ land noch gehabt. Bei ihrem Erscheinen hielt Jedermann das Unter¬ nehmen für gewagt, ja für kopflos. Der Verleger selbst bekannte, daß er drei tausend Exemplare absetzen müsse, um auf seine Kosten zu kommen, und am Ende des ersten Jahres schon belief sich der Absatz auf 5(X)0 Exemplare! Seit dem Neujahr soll er um noch zwei tau¬ send gewachsen sein! Und doch bringt dieses Blatt, mit Ausnahme etwa der politischen Uebersichten von I. L. fL eh manu in Berlins) selten einen Artikel von größerer Bedeutung. Die Holzschnitte müs¬ sen den ganzen Absatz motiviren. Und doch haben auch diese selten das Verdienst, 5 jironas zu kommen. Vielmehr langen sie gewöhn¬ lich als hinkende Boten, als mulet-u-d« ->^i<>8 dinvr an. Wenn die Pariser Neugier nach den „Mufti'ittions " greift, um die Landung in Trcport und den Besuch Victoria'S in En abgebildet zu scheu, so ist diese Neugier ganz natürlich, denn dieser Besuch fand so eben Statt, alle Blätter sprechen noch davon. Die Aufmerksamkeit ist »och ganz erregt. Wenn aber der Holzschnitt, nachdem er in Paris gehörig seine Dienste gethan, nun mit dem Güterwagen die lange Reise nach Leip¬ zig antritt, um hier, nachdem mehrere Wochen hinter jenem Ereignisse liegen, xost teslmn die Neugier des deutschen Publicums zu befriedi¬ ge», das nicht ein Mal wie die Franzosen, ein nationales directes Interesse an diesem Ereignisse hat, dann kommt u n s dieser Nachzüg¬ ler mehr komisch als interessant vor. Uns, d. h. den Schriftstellern und dem kleinen Kreis von Lesern, welche dem Gange der öffentlichen Ereignisse mit Ernst folgen. Aber für uns gibt Herr Weber anch seine illustrirte Zeitung nicht heraus, sondern für das große deutsche Publicum und daß er sich in diesem nicht irrt, das beweisen seine siebentausend Abonnenten. Das deutsche Publicum hat auch nach *) Redacteur des Magazins für Literatur des Auslandes. Greiizbotcn l»4i> >- 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/173>, abgerufen am 29.06.2024.