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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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So überläßt sich nun jede der verschiedenen Gesellschaftsclassen
ihren speciellen Hoffnungen. Der Erzherzog kam mit dem neuen Jcchre
an, zur fruchtbarsten Zeit goldener Zukunftsträume. Die Beamten
sehen sich schon im Geiste mit neuen Würden und Ordensbändern be¬
deckt; der Adel träumt von großen Festivitäten; die Industriellen er¬
hoffen neue Schutzzölle; die Krämer erwarten reichen Absatz für das
Hoflager; die Buchhändler und Schriftsteller -- denn es gibt auch
Schriftsteller in Prag -- sehen Ccnsnrcrlcichtcrungcn entgegen; kurz
jeder spiegelt sich das ihm zunächst Liegende auf das freundlichste vor.

Um von allen diesen Hoffnungen eine näher zu beleuchten, wol¬
len wir die hervorheben, die uns wenigstens am nächsten liegt, nämlich
die der Presse. -- Wenn irgendwo im Bereiche geistiger Bestrebung
Abhilfe nöthig ist, so sind es sicherlich rie Nöthen der österreichischen
Provinzialpresse. Man hat viel von der Wiener Censur gesprochen
und geschrieben, und doch verhält sich die Wiener Censur zu der in
den Provinzen, d. h. in den deutschen Provinzen, und für deutsche
Publication, ungefähr wie unser Adel zu den bürgerlichen Ständen
sich verhält. Die Wiener Journale stehen doch wenigstens in der
Nähe der ersten entscheidende" Instanz. Der oberste Chef des Censur¬
wesens ist in derselben Stadt, und in dringenden Fällen ist eine Apel-
lation möglich. Nicht so in den Provinzialstädten, wo die Censur
von untergeordneten Beamten geübt werden muß, die natürlicherweise
in ihrer Aengstlichkeit noch einen Schritt über das Mögliche hinaus¬
gehen. Zudem hat die Wiener Staatskanzlei und die Polizei-Obcr-
hofstelle schon von vorn herein den Kreis der Provinzialjournale be¬
gränzt. Sollte man es glaube", daß z.B. die Präger politische Zeitung
das ganze wichtige Ereigniß der Ankunft des neuen erzherzoglichen
Gouverneurs, mit allen damit verbundenen Feierlichkeiten und Prc-
sentirungen der Behörden, Stände :c. nur in wenigen kurzen Worten
anzeigen durfte!? -- Die Censurvorschrift verbietet nämlich jeder Pro-
vinzialzeitung jede politische Origiualmitthcilung, die nicht früher in
dem österreichischen Beobachter, oder in der Wiener Hofzeitung erschie¬
nen ist und somit ihre Sanction in Wien erhalte" hat. -- Wenn
z. B. der Fürst Metternich das Schloß KönigSwarth besucht, darf die
Präger Zeitung nicht melden: Seine Durchlaucht der Fürst Staats--
kanzlcr sind gestern auf ihrem Schlosse wohlbehalten und gesund an¬
gekommen in., sondern sie muß diese Nachricht den Weg über Wien machen
lassen und warten, bis die dortigen Blätter es publicirt haben. --
Der Grund dieser Norm liegt offenbar in dem Mangel an Vertrauen
zu der politischen Einsicht der Provinzialccnsorcn. Wir haben daS
Nächstliegende geringfügige Beispiel hervorgehoben; man möge davon
auf andere wichtigere schließen. Die bescheidensten Anforderungen wer¬
den gestehen müssen, daß ein solcher Zustand der Presse nicht länger
mehr haltbar ist, um so weniger, als diese Fesseln gerade ti" deutsche


So überläßt sich nun jede der verschiedenen Gesellschaftsclassen
ihren speciellen Hoffnungen. Der Erzherzog kam mit dem neuen Jcchre
an, zur fruchtbarsten Zeit goldener Zukunftsträume. Die Beamten
sehen sich schon im Geiste mit neuen Würden und Ordensbändern be¬
deckt; der Adel träumt von großen Festivitäten; die Industriellen er¬
hoffen neue Schutzzölle; die Krämer erwarten reichen Absatz für das
Hoflager; die Buchhändler und Schriftsteller — denn es gibt auch
Schriftsteller in Prag — sehen Ccnsnrcrlcichtcrungcn entgegen; kurz
jeder spiegelt sich das ihm zunächst Liegende auf das freundlichste vor.

Um von allen diesen Hoffnungen eine näher zu beleuchten, wol¬
len wir die hervorheben, die uns wenigstens am nächsten liegt, nämlich
die der Presse. — Wenn irgendwo im Bereiche geistiger Bestrebung
Abhilfe nöthig ist, so sind es sicherlich rie Nöthen der österreichischen
Provinzialpresse. Man hat viel von der Wiener Censur gesprochen
und geschrieben, und doch verhält sich die Wiener Censur zu der in
den Provinzen, d. h. in den deutschen Provinzen, und für deutsche
Publication, ungefähr wie unser Adel zu den bürgerlichen Ständen
sich verhält. Die Wiener Journale stehen doch wenigstens in der
Nähe der ersten entscheidende« Instanz. Der oberste Chef des Censur¬
wesens ist in derselben Stadt, und in dringenden Fällen ist eine Apel-
lation möglich. Nicht so in den Provinzialstädten, wo die Censur
von untergeordneten Beamten geübt werden muß, die natürlicherweise
in ihrer Aengstlichkeit noch einen Schritt über das Mögliche hinaus¬
gehen. Zudem hat die Wiener Staatskanzlei und die Polizei-Obcr-
hofstelle schon von vorn herein den Kreis der Provinzialjournale be¬
gränzt. Sollte man es glaube», daß z.B. die Präger politische Zeitung
das ganze wichtige Ereigniß der Ankunft des neuen erzherzoglichen
Gouverneurs, mit allen damit verbundenen Feierlichkeiten und Prc-
sentirungen der Behörden, Stände :c. nur in wenigen kurzen Worten
anzeigen durfte!? — Die Censurvorschrift verbietet nämlich jeder Pro-
vinzialzeitung jede politische Origiualmitthcilung, die nicht früher in
dem österreichischen Beobachter, oder in der Wiener Hofzeitung erschie¬
nen ist und somit ihre Sanction in Wien erhalte» hat. — Wenn
z. B. der Fürst Metternich das Schloß KönigSwarth besucht, darf die
Präger Zeitung nicht melden: Seine Durchlaucht der Fürst Staats--
kanzlcr sind gestern auf ihrem Schlosse wohlbehalten und gesund an¬
gekommen in., sondern sie muß diese Nachricht den Weg über Wien machen
lassen und warten, bis die dortigen Blätter es publicirt haben. —
Der Grund dieser Norm liegt offenbar in dem Mangel an Vertrauen
zu der politischen Einsicht der Provinzialccnsorcn. Wir haben daS
Nächstliegende geringfügige Beispiel hervorgehoben; man möge davon
auf andere wichtigere schließen. Die bescheidensten Anforderungen wer¬
den gestehen müssen, daß ein solcher Zustand der Presse nicht länger
mehr haltbar ist, um so weniger, als diese Fesseln gerade ti« deutsche


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[0169] So überläßt sich nun jede der verschiedenen Gesellschaftsclassen ihren speciellen Hoffnungen. Der Erzherzog kam mit dem neuen Jcchre an, zur fruchtbarsten Zeit goldener Zukunftsträume. Die Beamten sehen sich schon im Geiste mit neuen Würden und Ordensbändern be¬ deckt; der Adel träumt von großen Festivitäten; die Industriellen er¬ hoffen neue Schutzzölle; die Krämer erwarten reichen Absatz für das Hoflager; die Buchhändler und Schriftsteller — denn es gibt auch Schriftsteller in Prag — sehen Ccnsnrcrlcichtcrungcn entgegen; kurz jeder spiegelt sich das ihm zunächst Liegende auf das freundlichste vor. Um von allen diesen Hoffnungen eine näher zu beleuchten, wol¬ len wir die hervorheben, die uns wenigstens am nächsten liegt, nämlich die der Presse. — Wenn irgendwo im Bereiche geistiger Bestrebung Abhilfe nöthig ist, so sind es sicherlich rie Nöthen der österreichischen Provinzialpresse. Man hat viel von der Wiener Censur gesprochen und geschrieben, und doch verhält sich die Wiener Censur zu der in den Provinzen, d. h. in den deutschen Provinzen, und für deutsche Publication, ungefähr wie unser Adel zu den bürgerlichen Ständen sich verhält. Die Wiener Journale stehen doch wenigstens in der Nähe der ersten entscheidende« Instanz. Der oberste Chef des Censur¬ wesens ist in derselben Stadt, und in dringenden Fällen ist eine Apel- lation möglich. Nicht so in den Provinzialstädten, wo die Censur von untergeordneten Beamten geübt werden muß, die natürlicherweise in ihrer Aengstlichkeit noch einen Schritt über das Mögliche hinaus¬ gehen. Zudem hat die Wiener Staatskanzlei und die Polizei-Obcr- hofstelle schon von vorn herein den Kreis der Provinzialjournale be¬ gränzt. Sollte man es glaube», daß z.B. die Präger politische Zeitung das ganze wichtige Ereigniß der Ankunft des neuen erzherzoglichen Gouverneurs, mit allen damit verbundenen Feierlichkeiten und Prc- sentirungen der Behörden, Stände :c. nur in wenigen kurzen Worten anzeigen durfte!? — Die Censurvorschrift verbietet nämlich jeder Pro- vinzialzeitung jede politische Origiualmitthcilung, die nicht früher in dem österreichischen Beobachter, oder in der Wiener Hofzeitung erschie¬ nen ist und somit ihre Sanction in Wien erhalte» hat. — Wenn z. B. der Fürst Metternich das Schloß KönigSwarth besucht, darf die Präger Zeitung nicht melden: Seine Durchlaucht der Fürst Staats-- kanzlcr sind gestern auf ihrem Schlosse wohlbehalten und gesund an¬ gekommen in., sondern sie muß diese Nachricht den Weg über Wien machen lassen und warten, bis die dortigen Blätter es publicirt haben. — Der Grund dieser Norm liegt offenbar in dem Mangel an Vertrauen zu der politischen Einsicht der Provinzialccnsorcn. Wir haben daS Nächstliegende geringfügige Beispiel hervorgehoben; man möge davon auf andere wichtigere schließen. Die bescheidensten Anforderungen wer¬ den gestehen müssen, daß ein solcher Zustand der Presse nicht länger mehr haltbar ist, um so weniger, als diese Fesseln gerade ti« deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/169>, abgerufen am 29.06.2024.