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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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kann. Der burschicose Geist verliert sich immer mehr. Wie die bur-
schenschaftlichen Ideen überhaupt, seit sie vom Staat selbst, ihrem Kerne
nach, anerkannt oder bekannt werden, sich in gesetzliche und loyale ver¬
wandelt haben, so ist auch der burschicose Studentengeist ein mehr
bürgcrthümlicher geworden. Die Jugend beginnt, die ihr natürliche
Stellung als Jünger und Novize des politischen Lebens einzunehmen,
statt übermüthig opponiren und von ihrem Standpunkt aus umwälzen
zu wollen. Und je mehr der Philister wieder zum Bürger wird, desto
mehr wird sich die Jugend ihm anschließen, desto besonnener und in
ihren Ansichten praktischer wird sie selbst werden. Und das sollte so
gefährlich sein?! --

-- Herr von Haber befindet sich, nach neuern Nachrichten, nicht
in Paris, sondern an der holländischen Grenze, wo er Gölcr's Bruder
zum Duett erwartet; vorher, sagt man, will er sich vor die Assisen
von Alzey stellen, um über den blutigen Zweikampf, in welchem er
Sarachaga erschoß, Rechenschaft abzulegen. Gölcr's Bruder war schon
vor Sarachaga mit ihm engagirt; vielleicht sind es Andere auch noch.
Herr von Haber scheint übrigens am Ducllircn Geschmack bekommen
zu haben. Und warum nicht? Das Pistolenschießen ist auch eine
Kunst; und wenn man es zur Virtuosität darin bringt, wie manche
Cavaliere, sogar eine ehrenvolle, schöne und nützliche Kunst. Manche
behaupten, nur die Verzweiflung habe dem Heron von Haber Muti,
zum Zweikampf mit Sarachaga gegeben. Eben so gut könnte man
sagen, nur die Einbildung, einen furchtsamen, ungeschickten, in jeder
Hinsicht ""ebenbürtigen Gegner vor sich zu haben, flößte Sarachaga
den Uebermuth ein, den er vor und bei dem Duell zeigte. Mit dem
Duellmuth, als Prüfstein der Ehre, ist es überhaupt eine eigene Sache.
Aus kaltem Pflichtgefühl schießt man sich selten auf Leben und Tod,
sondern meist aus verzweifeltem Haß, aus stumpfer Gleichgiltigkeit ge¬
gen das Lebe", oder, wie manche Kavaliere, ans Vertrauen auf die
Ungeschicklichkeit des Gegners. Nun kann aber auch ein von Haber
im Schießen Virtuose werden und durch Gewohnheit Muth bekommen.
Ja, es wäre sogar möglich, daß am Ende der jüdische Bankier, ohne
es zu wollen, ein ducllwüthigcr, rauflustiger, echter Kavalier würde.
Das wäre für das badische Offiziercorps und für die badische Vollblut-
aristokratie ein neuer Aerger. Vielleicht würde das Ducllircn dann
nicht mehr für nobel, sondern für gemein und schmuzig angesehen. Auf
solche oder ähnliche Weise könnte es geschehen, daß einmal der Zwei¬
kampf aus der Mode käme.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

kann. Der burschicose Geist verliert sich immer mehr. Wie die bur-
schenschaftlichen Ideen überhaupt, seit sie vom Staat selbst, ihrem Kerne
nach, anerkannt oder bekannt werden, sich in gesetzliche und loyale ver¬
wandelt haben, so ist auch der burschicose Studentengeist ein mehr
bürgcrthümlicher geworden. Die Jugend beginnt, die ihr natürliche
Stellung als Jünger und Novize des politischen Lebens einzunehmen,
statt übermüthig opponiren und von ihrem Standpunkt aus umwälzen
zu wollen. Und je mehr der Philister wieder zum Bürger wird, desto
mehr wird sich die Jugend ihm anschließen, desto besonnener und in
ihren Ansichten praktischer wird sie selbst werden. Und das sollte so
gefährlich sein?! —

— Herr von Haber befindet sich, nach neuern Nachrichten, nicht
in Paris, sondern an der holländischen Grenze, wo er Gölcr's Bruder
zum Duett erwartet; vorher, sagt man, will er sich vor die Assisen
von Alzey stellen, um über den blutigen Zweikampf, in welchem er
Sarachaga erschoß, Rechenschaft abzulegen. Gölcr's Bruder war schon
vor Sarachaga mit ihm engagirt; vielleicht sind es Andere auch noch.
Herr von Haber scheint übrigens am Ducllircn Geschmack bekommen
zu haben. Und warum nicht? Das Pistolenschießen ist auch eine
Kunst; und wenn man es zur Virtuosität darin bringt, wie manche
Cavaliere, sogar eine ehrenvolle, schöne und nützliche Kunst. Manche
behaupten, nur die Verzweiflung habe dem Heron von Haber Muti,
zum Zweikampf mit Sarachaga gegeben. Eben so gut könnte man
sagen, nur die Einbildung, einen furchtsamen, ungeschickten, in jeder
Hinsicht »»ebenbürtigen Gegner vor sich zu haben, flößte Sarachaga
den Uebermuth ein, den er vor und bei dem Duell zeigte. Mit dem
Duellmuth, als Prüfstein der Ehre, ist es überhaupt eine eigene Sache.
Aus kaltem Pflichtgefühl schießt man sich selten auf Leben und Tod,
sondern meist aus verzweifeltem Haß, aus stumpfer Gleichgiltigkeit ge¬
gen das Lebe», oder, wie manche Kavaliere, ans Vertrauen auf die
Ungeschicklichkeit des Gegners. Nun kann aber auch ein von Haber
im Schießen Virtuose werden und durch Gewohnheit Muth bekommen.
Ja, es wäre sogar möglich, daß am Ende der jüdische Bankier, ohne
es zu wollen, ein ducllwüthigcr, rauflustiger, echter Kavalier würde.
Das wäre für das badische Offiziercorps und für die badische Vollblut-
aristokratie ein neuer Aerger. Vielleicht würde das Ducllircn dann
nicht mehr für nobel, sondern für gemein und schmuzig angesehen. Auf
solche oder ähnliche Weise könnte es geschehen, daß einmal der Zwei¬
kampf aus der Mode käme.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/148>, abgerufen am 28.09.2024.