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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Strenge der Formen und der Bedeutsamkeit der Idee, welche sie er¬
fordert, wenig für daS Talent deS Künstlers geeignet.

Wir sind jetzt am Ziele der Bahn, welche Vernet bis jetzt mit
so vielem Glück durchlaufen hat; wenn ich hier alle die tausend und
abertausend Compositionen, welche die Fruchtbarkeit unsers Künstlers
hervorgebracht hat, hätte aufzählen sollen, würde ein Band nicht ge¬
nügenden Raum geboten haben; ich habe mich daher auf die haupt¬
sächlichsten beschränkt. Indem ich jetzt einige persönliche Einzelnheiten
erwähnen will, muß ich noch ein Wort über eine Eigenschaft sagen,
welche Vernet in einer seltenen Ausbildung besitzt. Ich meine das
Gedächtniß des Auges, welches die Wahrheit seiner Gemälde erklärt.
Auf den ersten Blick erfaßt Nernct die kleinsten Details einer Hand¬
lung, einer Stellung, eines Costüms, und der einmal empfangene
Eindruck verlöscht sich nie wieder. Ein Soldat geht an Vernet vor¬
über. Wenn ihn der Künstler genau ansieht, und man verlangt nach
sechs Monaten eine Skizze des Soldaten von ihm, so schreibt er ihn
Wort für Wort auf das Papier oder die Leinwand ab, seinen Gang,
sein Gesicht und seine Tracht bis auf die Nummer des Tzschakvs und
den letzten Kamaschenknopf. Sein Auge ist ein wahres Daguerreo-
type; auch entwirft Vernet nur selten Skizzen. Er trägt eine Studie
eben so sicher in seinem Auge, wie Andere in der Mappe.
'

Soll ich noch einmal die Persönlichkeit Vernets schildern? Er
ist immer noch derselbe, wie ich ihn zu Anfange dieser Skizze gezeich¬
net habe, der echte Typus des französischen Offiziers in Gestalt und
Manieren, obgleich er nicht allein mit seinem Pinsel die Epauletten
eines Hauptmannes im Generalstabe der Pariser Nationalgarde ge¬
wonnen hat. Uebrigens wer sollte auch nicht Vernet in irgend einem
Theil der bekannten Welt gesehen haben? Der geistreiche Künstler
hat seine Sporen, seinen Schnurrbart und seine kosmopolitische Pa¬
lette überall sehen lassen. Er ist der Freund aller Soldaten und
aller Potentaten Europas. Lieblingsmaler des Königs der Franzo¬
sen, hat er den Segen des heiligen Vaters erhalten, eine Narguileh
mit dem Pascha von Aegypten geraucht und der Kaiser von Rußland
rief ihn zu sich.

Obgleich sehr jung verheirathet, hat Vernet doch nur eine Toch¬
ter. Ohne directe Erben seines Ruhms und seines Namens, hat er
sich entschlossen, diesen Namen wenigstens mit dem eines gleichbc-
rühmten Künstlers zu vereinigen, und seine Tochter, ein sehr schönes
Mädchen, mit Paul Delaroche verheirathet. Der dieser Ehe entspros¬
sene Sohn soll Vernet-Delaroche heißen. Er wird eine doppelt schwere
Erbschaft auf seinen Schultern zu tragen haben.




Strenge der Formen und der Bedeutsamkeit der Idee, welche sie er¬
fordert, wenig für daS Talent deS Künstlers geeignet.

Wir sind jetzt am Ziele der Bahn, welche Vernet bis jetzt mit
so vielem Glück durchlaufen hat; wenn ich hier alle die tausend und
abertausend Compositionen, welche die Fruchtbarkeit unsers Künstlers
hervorgebracht hat, hätte aufzählen sollen, würde ein Band nicht ge¬
nügenden Raum geboten haben; ich habe mich daher auf die haupt¬
sächlichsten beschränkt. Indem ich jetzt einige persönliche Einzelnheiten
erwähnen will, muß ich noch ein Wort über eine Eigenschaft sagen,
welche Vernet in einer seltenen Ausbildung besitzt. Ich meine das
Gedächtniß des Auges, welches die Wahrheit seiner Gemälde erklärt.
Auf den ersten Blick erfaßt Nernct die kleinsten Details einer Hand¬
lung, einer Stellung, eines Costüms, und der einmal empfangene
Eindruck verlöscht sich nie wieder. Ein Soldat geht an Vernet vor¬
über. Wenn ihn der Künstler genau ansieht, und man verlangt nach
sechs Monaten eine Skizze des Soldaten von ihm, so schreibt er ihn
Wort für Wort auf das Papier oder die Leinwand ab, seinen Gang,
sein Gesicht und seine Tracht bis auf die Nummer des Tzschakvs und
den letzten Kamaschenknopf. Sein Auge ist ein wahres Daguerreo-
type; auch entwirft Vernet nur selten Skizzen. Er trägt eine Studie
eben so sicher in seinem Auge, wie Andere in der Mappe.
'

Soll ich noch einmal die Persönlichkeit Vernets schildern? Er
ist immer noch derselbe, wie ich ihn zu Anfange dieser Skizze gezeich¬
net habe, der echte Typus des französischen Offiziers in Gestalt und
Manieren, obgleich er nicht allein mit seinem Pinsel die Epauletten
eines Hauptmannes im Generalstabe der Pariser Nationalgarde ge¬
wonnen hat. Uebrigens wer sollte auch nicht Vernet in irgend einem
Theil der bekannten Welt gesehen haben? Der geistreiche Künstler
hat seine Sporen, seinen Schnurrbart und seine kosmopolitische Pa¬
lette überall sehen lassen. Er ist der Freund aller Soldaten und
aller Potentaten Europas. Lieblingsmaler des Königs der Franzo¬
sen, hat er den Segen des heiligen Vaters erhalten, eine Narguileh
mit dem Pascha von Aegypten geraucht und der Kaiser von Rußland
rief ihn zu sich.

Obgleich sehr jung verheirathet, hat Vernet doch nur eine Toch¬
ter. Ohne directe Erben seines Ruhms und seines Namens, hat er
sich entschlossen, diesen Namen wenigstens mit dem eines gleichbc-
rühmten Künstlers zu vereinigen, und seine Tochter, ein sehr schönes
Mädchen, mit Paul Delaroche verheirathet. Der dieser Ehe entspros¬
sene Sohn soll Vernet-Delaroche heißen. Er wird eine doppelt schwere
Erbschaft auf seinen Schultern zu tragen haben.




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[0146] Strenge der Formen und der Bedeutsamkeit der Idee, welche sie er¬ fordert, wenig für daS Talent deS Künstlers geeignet. Wir sind jetzt am Ziele der Bahn, welche Vernet bis jetzt mit so vielem Glück durchlaufen hat; wenn ich hier alle die tausend und abertausend Compositionen, welche die Fruchtbarkeit unsers Künstlers hervorgebracht hat, hätte aufzählen sollen, würde ein Band nicht ge¬ nügenden Raum geboten haben; ich habe mich daher auf die haupt¬ sächlichsten beschränkt. Indem ich jetzt einige persönliche Einzelnheiten erwähnen will, muß ich noch ein Wort über eine Eigenschaft sagen, welche Vernet in einer seltenen Ausbildung besitzt. Ich meine das Gedächtniß des Auges, welches die Wahrheit seiner Gemälde erklärt. Auf den ersten Blick erfaßt Nernct die kleinsten Details einer Hand¬ lung, einer Stellung, eines Costüms, und der einmal empfangene Eindruck verlöscht sich nie wieder. Ein Soldat geht an Vernet vor¬ über. Wenn ihn der Künstler genau ansieht, und man verlangt nach sechs Monaten eine Skizze des Soldaten von ihm, so schreibt er ihn Wort für Wort auf das Papier oder die Leinwand ab, seinen Gang, sein Gesicht und seine Tracht bis auf die Nummer des Tzschakvs und den letzten Kamaschenknopf. Sein Auge ist ein wahres Daguerreo- type; auch entwirft Vernet nur selten Skizzen. Er trägt eine Studie eben so sicher in seinem Auge, wie Andere in der Mappe. ' Soll ich noch einmal die Persönlichkeit Vernets schildern? Er ist immer noch derselbe, wie ich ihn zu Anfange dieser Skizze gezeich¬ net habe, der echte Typus des französischen Offiziers in Gestalt und Manieren, obgleich er nicht allein mit seinem Pinsel die Epauletten eines Hauptmannes im Generalstabe der Pariser Nationalgarde ge¬ wonnen hat. Uebrigens wer sollte auch nicht Vernet in irgend einem Theil der bekannten Welt gesehen haben? Der geistreiche Künstler hat seine Sporen, seinen Schnurrbart und seine kosmopolitische Pa¬ lette überall sehen lassen. Er ist der Freund aller Soldaten und aller Potentaten Europas. Lieblingsmaler des Königs der Franzo¬ sen, hat er den Segen des heiligen Vaters erhalten, eine Narguileh mit dem Pascha von Aegypten geraucht und der Kaiser von Rußland rief ihn zu sich. Obgleich sehr jung verheirathet, hat Vernet doch nur eine Toch¬ ter. Ohne directe Erben seines Ruhms und seines Namens, hat er sich entschlossen, diesen Namen wenigstens mit dem eines gleichbc- rühmten Künstlers zu vereinigen, und seine Tochter, ein sehr schönes Mädchen, mit Paul Delaroche verheirathet. Der dieser Ehe entspros¬ sene Sohn soll Vernet-Delaroche heißen. Er wird eine doppelt schwere Erbschaft auf seinen Schultern zu tragen haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/146>, abgerufen am 29.06.2024.