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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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seiner literarischen Thätigkeit bewegte, wußte er, was und wo eS
fehlte. Dieser Spürsinn hat nicht gehindert, daß er oft genug weit
abirrte, in geschmacklose Seltsamkeiten gerieth; aber sein Talent, ob
es gleich um Vieles schwächer ist als sein scharfsinniges Wissen, wird
seiner Einsicht nacheilen, sein Ziel erreichen. Und was der poetischen
Begabung in ihm unmöglich bleiben wird, das wird schließlich die
Routine möglich machen.

"Also Gutzkow weiß, warum es sich bei der Wiederbelebung
des deutschen Dramas handelt? Und das müßte Geheimniß bleiben?
Ein Cabinetsgcheimniß der Schreibenden?"

Gutzkow spricht nicht über das, waB ihn leitet. Er baut Stück
auf Stück und will die Sache praktisch erledigen. Er haut nieder,
was ihn hindert, drückt die Augen zu und ist nur um seinen Special-
fall bekümmert. Er wird so viel erreichen, als die vereinzelte Energie
vermag, so viel oder so wenig, als der Streifzug eines Einzelnen
möglich macht. Lassen wir noch Geheimniß sein, was er in seiner
dramatischen Arbeitsamkeit als Geheimniß behandelt. Wenn er dau¬
ernde Wirkungen hinter sich sieht, wird er schon selbst sagen: Seht,
so muß ein modernes Drama beschaffen sein, so ist sein Styl, seine
Structur! Nicht die Charaktere machen es, nicht die Gewalt der
Wahrheiten, die im Stücke zum Ausspruch kommen, nicht der Tief¬
sinn der Seelenkunde, nicht die feine Auömeißelung der Gestalten,
selbst nicht die Neuheit der Erfindung, sondern -- sondern --. Im
Nothfall wird er uns die Birch-Pfeiffersche Praktik wenigstens in
spekulativer Form vortragen. -- Lassen Sie uns jedoch erst bei An¬
dern anfragen, ob wir an ihren Fehlern die Tendenz ihrer Dichtun¬
gen uns erklärlich machen können.

Laube verhandelt seine Tendenzen, seine Plane, seine Theorien
von der Nothwendigkeit einer besonderen Stylart sehr naiv und offen.
Seine Harmlosigkeit ist sogar blank genug, zu sagen, aus der Wie¬
derbelebung des deutschen Theaters könne Nichts werden, wenn die
dramatischen Autoren nicht mehr Geld verdienten. Diese schmerzliche
Offenbarung macht er mit ganz ruhigem Blute. Furchtbar, zerschmet¬
ternd ist diese Wahrheit, wenn sie eine ist. Aber wird diese Wahr¬
heit leitendes Princip, so könnte sie zu dem Entschluß der Verzweif¬
lung führen, vor der Hand eine Zeit lang zu birchpfeiffern, um nur
erst Fuß zu fassen, Raum zu gewinnen, und später -- später -- sehr


seiner literarischen Thätigkeit bewegte, wußte er, was und wo eS
fehlte. Dieser Spürsinn hat nicht gehindert, daß er oft genug weit
abirrte, in geschmacklose Seltsamkeiten gerieth; aber sein Talent, ob
es gleich um Vieles schwächer ist als sein scharfsinniges Wissen, wird
seiner Einsicht nacheilen, sein Ziel erreichen. Und was der poetischen
Begabung in ihm unmöglich bleiben wird, das wird schließlich die
Routine möglich machen.

„Also Gutzkow weiß, warum es sich bei der Wiederbelebung
des deutschen Dramas handelt? Und das müßte Geheimniß bleiben?
Ein Cabinetsgcheimniß der Schreibenden?"

Gutzkow spricht nicht über das, waB ihn leitet. Er baut Stück
auf Stück und will die Sache praktisch erledigen. Er haut nieder,
was ihn hindert, drückt die Augen zu und ist nur um seinen Special-
fall bekümmert. Er wird so viel erreichen, als die vereinzelte Energie
vermag, so viel oder so wenig, als der Streifzug eines Einzelnen
möglich macht. Lassen wir noch Geheimniß sein, was er in seiner
dramatischen Arbeitsamkeit als Geheimniß behandelt. Wenn er dau¬
ernde Wirkungen hinter sich sieht, wird er schon selbst sagen: Seht,
so muß ein modernes Drama beschaffen sein, so ist sein Styl, seine
Structur! Nicht die Charaktere machen es, nicht die Gewalt der
Wahrheiten, die im Stücke zum Ausspruch kommen, nicht der Tief¬
sinn der Seelenkunde, nicht die feine Auömeißelung der Gestalten,
selbst nicht die Neuheit der Erfindung, sondern — sondern —. Im
Nothfall wird er uns die Birch-Pfeiffersche Praktik wenigstens in
spekulativer Form vortragen. — Lassen Sie uns jedoch erst bei An¬
dern anfragen, ob wir an ihren Fehlern die Tendenz ihrer Dichtun¬
gen uns erklärlich machen können.

Laube verhandelt seine Tendenzen, seine Plane, seine Theorien
von der Nothwendigkeit einer besonderen Stylart sehr naiv und offen.
Seine Harmlosigkeit ist sogar blank genug, zu sagen, aus der Wie¬
derbelebung des deutschen Theaters könne Nichts werden, wenn die
dramatischen Autoren nicht mehr Geld verdienten. Diese schmerzliche
Offenbarung macht er mit ganz ruhigem Blute. Furchtbar, zerschmet¬
ternd ist diese Wahrheit, wenn sie eine ist. Aber wird diese Wahr¬
heit leitendes Princip, so könnte sie zu dem Entschluß der Verzweif¬
lung führen, vor der Hand eine Zeit lang zu birchpfeiffern, um nur
erst Fuß zu fassen, Raum zu gewinnen, und später — später — sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/118>, abgerufen am 29.06.2024.