Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.Lesern, welche Webers Freischütz noch nicht vergessen haben, denen kann Ganz verschieden von diesen beiden erwähnten Dichterschulen, Nimmt man die Balladen aus,, in welchen Schiller allerdings 82
Lesern, welche Webers Freischütz noch nicht vergessen haben, denen kann Ganz verschieden von diesen beiden erwähnten Dichterschulen, Nimmt man die Balladen aus,, in welchen Schiller allerdings 82
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Lesern, welche Webers Freischütz noch nicht vergessen haben, denen kann
ich kein besseres Bild der Götheschen Gedichte geben, , als indem ich
sie an jenen berühmten Chor der Landleute erinnere, der sich allmäh-
lig Hinter der Scene verliert, und gar nicht durch einen Schlußac-
rord abgeschlossen wird. So sind die meisten Lieder von Göthe, sie
haben keinen Schlußaccord im Buche, sondern tönen Hinter der Scene
immer leiser und leiser verfallend fort. Zu den glücklichsten Nach¬
folgern dieser Richtung Göthes zählt man August Wilhelm Schlegel, Wil¬
helm Müller, Graf Platen und in neuester Zeit besonders Nicolaus
Lenau. , > '
Ganz verschieden von diesen beiden erwähnten Dichterschulen,
welche die Religion und die, Kunst repräsentiren, und in Klopstock
und Göthe ihre Führer-haben, ist die dritte. Schule, welche mit dem
Namen der Philosophischen Lyrik zu bezeichnen ist, und an deren Spitze
Schiller steht.
Nimmt man die Balladen aus,, in welchen Schiller allerdings
mit Göthe Aehnli,es,keit-,,hat,, da sie meist auf Göthes Veranlassung
entstanden sind; nimmt man die Balladen aus, so wird auch dem
ungeübtesten «Leser alsogleich der Unterschied in die Augen springen,
der zwischen den Gedichten unserer beiden Hauptdichter besteht. Die
Götheschen Gedichte en'trieseln der Empfindung, die Schillerschen ent-
riefeln dem Gedanken,- Um- mit Göthe zu fühlen, muß' man zu der Quelle
seiner Gedichte hinabsteigen; man muß in eine gewisse Stimmung sich
versetzen, um die Empfindung des Dichters theilen zu können. Schil¬
ler , aber erfaßt rasch mit dem glänzenden Strom seiner Gedanken, er
bedarf nicht , erst die Stimmung abzuwarten, das'Glockengetöne seiner
glänzenden Worte stürzet in eine süße Betäubung, und wir schlürfen
seine Gedankey ein,'ohne, uns zu bewegen, unbewußt und unwillkür¬
lich. Es wäre überflüssig, auch nur ein einziges Wort, zur Erklä¬
rung dieser Gedichte,zu sagen/ die das große, prachtvolle Thor bil¬
den, durch welches die Jugend wie der Fremde/in die, Hallen der deut-
schen Poesie zuerst einschreitet. Für die Fremden jedoch , welche die
deutsche Literatur zu ihren: Studium machen, kömmt viel darauf an,
von welcher Seite sie in die Schillerschen Gedichte hineintreten. Die meisten
solcher Leser gehen den gewöhnlichen Weg von vorne hinein, beginnen mit
Hektors Abschieds und stolpern über die Gedichte der ersten Periode
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