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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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dabei erinnere man sich noch des schmelzenden Portamento bei Gesangstcllen, 'und
der bisher unerhörten Bravour, die sich in offen Arten der Doppelgriffe und Ar-
peggien offenbart, und wie die Chromatik in größter Schnelligkeit alle Regionen
des Tonumfanges mit unbegreiflicher Abgleichung des Tones durchfliegt, und man
wird überzeugt, daß Gervais es versteht, aus allen die>en brillanten Vorzügen sei¬
ner Virtuosität einen Fötus der höchsten Vollkommenheit zu bilden, um so desto si¬
cherer das ästhetische Leben der Zuhörer mit seinem schwelgenden Genius in immer¬
währendem Rapport zu erhalten. Dies bewies die Aufmerksamkeit aller Anwesen"
den, wie auch nicht minder die feierliche Stille und der Mhusiastische Applaus, der
nach unzähligen Hervorrufunen des Virtuoen endete.

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Viele, die den Kern über der Schale vergessen, wollen sich damit nicht be¬
freunden, daß ServaiS seine Darstellungen mit gesenktem Blicke vollbringt, indeß
andere Künstler während der Produktion ihre Augen auf die Weide schicken, wie
eS einst Romberg immer gethan. Wenn dieser unvergeßliche Künstler dadurch der
Welt zeigen wollte, daß ihm das Schwerste leicht sei, so that er damit ein Ueber-
flüssiges, indem das Auge bei musikalischen Produktionen, besonders wenn sie
aus dem Gedächtnisse, folglich mehr als Improvisationen dargeboten werden, gar
nichts zu thun hat; auch halte ich es für weit verdienstlicher, wenn man es den
Gaben eines Virtuosen anhört, wie leicht sie seiner Seele cntquillcn. Gervais
gleicht während seiner Produktion einem Somnambulen, der den" Zuhörer Wun¬
derbares aus dem Tonreiche berichtet, und ihn an den goldenen Fäden der Kunst
dahin zieht, wo er ihn haben will. Uebrigens konnte Jeder, dem des Künstler"
gesenkter Blick anstößig ist, dem vermeintlichen Uebelstand entgehen, wenn er, wie
Manche während der Musik thun, seine Augen ebenfalls niedersenkte.

Seine oft straffen Bewegungen mit dem Bogen und selbst mit der Hand sind
nichts anderes, als rhpihmische Marken für daS begleitende Orchester, um es mit der
Hauptmelodie in stetem Einklange zu erhalten, was bei so häufigen Gcneralpausen
und dem mannigfachen Wechsel des Tempo kaum auf andere Art zu erzielen mög¬
li wäre.

ServniS trug drei Piecen von eigener Komposition vor, und zwar: ein Kon¬
zertstück, dann eine Phantasie mit Polonaise, und zuletzt Bravour-Variationen über
den bekannten Traucrwalzcr von Schubert. Seine Kompositionen -sind rhapsodisch
und bloß auf Effekt berechnet; denn sie bieten dem Künstler die Gelegenheit dar, die
Virtuosität auf dem Violoncell in höchster Vollkommenheit zu zeigen, auch geben sie
das Zeugniß, daß ServaiS dem Zeitgeschmack zwar nicht abhold, aber auch nicht
abgöttisch ergeben sei; dies beweist schon die Umgehung der in unserer Zeit fast
von allen Violinspielcrn mißbrauchten Spielerei mit den FlagcoleM'ngcn, die der
Italiener ans der alten Zeit zum Unheil des BiolinspielS einschmnggelie.




dabei erinnere man sich noch des schmelzenden Portamento bei Gesangstcllen, 'und
der bisher unerhörten Bravour, die sich in offen Arten der Doppelgriffe und Ar-
peggien offenbart, und wie die Chromatik in größter Schnelligkeit alle Regionen
des Tonumfanges mit unbegreiflicher Abgleichung des Tones durchfliegt, und man
wird überzeugt, daß Gervais es versteht, aus allen die>en brillanten Vorzügen sei¬
ner Virtuosität einen Fötus der höchsten Vollkommenheit zu bilden, um so desto si¬
cherer das ästhetische Leben der Zuhörer mit seinem schwelgenden Genius in immer¬
währendem Rapport zu erhalten. Dies bewies die Aufmerksamkeit aller Anwesen»
den, wie auch nicht minder die feierliche Stille und der Mhusiastische Applaus, der
nach unzähligen Hervorrufunen des Virtuoen endete.

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Viele, die den Kern über der Schale vergessen, wollen sich damit nicht be¬
freunden, daß ServaiS seine Darstellungen mit gesenktem Blicke vollbringt, indeß
andere Künstler während der Produktion ihre Augen auf die Weide schicken, wie
eS einst Romberg immer gethan. Wenn dieser unvergeßliche Künstler dadurch der
Welt zeigen wollte, daß ihm das Schwerste leicht sei, so that er damit ein Ueber-
flüssiges, indem das Auge bei musikalischen Produktionen, besonders wenn sie
aus dem Gedächtnisse, folglich mehr als Improvisationen dargeboten werden, gar
nichts zu thun hat; auch halte ich es für weit verdienstlicher, wenn man es den
Gaben eines Virtuosen anhört, wie leicht sie seiner Seele cntquillcn. Gervais
gleicht während seiner Produktion einem Somnambulen, der den» Zuhörer Wun¬
derbares aus dem Tonreiche berichtet, und ihn an den goldenen Fäden der Kunst
dahin zieht, wo er ihn haben will. Uebrigens konnte Jeder, dem des Künstler»
gesenkter Blick anstößig ist, dem vermeintlichen Uebelstand entgehen, wenn er, wie
Manche während der Musik thun, seine Augen ebenfalls niedersenkte.

Seine oft straffen Bewegungen mit dem Bogen und selbst mit der Hand sind
nichts anderes, als rhpihmische Marken für daS begleitende Orchester, um es mit der
Hauptmelodie in stetem Einklange zu erhalten, was bei so häufigen Gcneralpausen
und dem mannigfachen Wechsel des Tempo kaum auf andere Art zu erzielen mög¬
li wäre.

ServniS trug drei Piecen von eigener Komposition vor, und zwar: ein Kon¬
zertstück, dann eine Phantasie mit Polonaise, und zuletzt Bravour-Variationen über
den bekannten Traucrwalzcr von Schubert. Seine Kompositionen -sind rhapsodisch
und bloß auf Effekt berechnet; denn sie bieten dem Künstler die Gelegenheit dar, die
Virtuosität auf dem Violoncell in höchster Vollkommenheit zu zeigen, auch geben sie
das Zeugniß, daß ServaiS dem Zeitgeschmack zwar nicht abhold, aber auch nicht
abgöttisch ergeben sei; dies beweist schon die Umgehung der in unserer Zeit fast
von allen Violinspielcrn mißbrauchten Spielerei mit den FlagcoleM'ngcn, die der
Italiener ans der alten Zeit zum Unheil des BiolinspielS einschmnggelie.




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[0608] dabei erinnere man sich noch des schmelzenden Portamento bei Gesangstcllen, 'und der bisher unerhörten Bravour, die sich in offen Arten der Doppelgriffe und Ar- peggien offenbart, und wie die Chromatik in größter Schnelligkeit alle Regionen des Tonumfanges mit unbegreiflicher Abgleichung des Tones durchfliegt, und man wird überzeugt, daß Gervais es versteht, aus allen die>en brillanten Vorzügen sei¬ ner Virtuosität einen Fötus der höchsten Vollkommenheit zu bilden, um so desto si¬ cherer das ästhetische Leben der Zuhörer mit seinem schwelgenden Genius in immer¬ währendem Rapport zu erhalten. Dies bewies die Aufmerksamkeit aller Anwesen» den, wie auch nicht minder die feierliche Stille und der Mhusiastische Applaus, der nach unzähligen Hervorrufunen des Virtuoen endete. g Viele, die den Kern über der Schale vergessen, wollen sich damit nicht be¬ freunden, daß ServaiS seine Darstellungen mit gesenktem Blicke vollbringt, indeß andere Künstler während der Produktion ihre Augen auf die Weide schicken, wie eS einst Romberg immer gethan. Wenn dieser unvergeßliche Künstler dadurch der Welt zeigen wollte, daß ihm das Schwerste leicht sei, so that er damit ein Ueber- flüssiges, indem das Auge bei musikalischen Produktionen, besonders wenn sie aus dem Gedächtnisse, folglich mehr als Improvisationen dargeboten werden, gar nichts zu thun hat; auch halte ich es für weit verdienstlicher, wenn man es den Gaben eines Virtuosen anhört, wie leicht sie seiner Seele cntquillcn. Gervais gleicht während seiner Produktion einem Somnambulen, der den» Zuhörer Wun¬ derbares aus dem Tonreiche berichtet, und ihn an den goldenen Fäden der Kunst dahin zieht, wo er ihn haben will. Uebrigens konnte Jeder, dem des Künstler» gesenkter Blick anstößig ist, dem vermeintlichen Uebelstand entgehen, wenn er, wie Manche während der Musik thun, seine Augen ebenfalls niedersenkte. Seine oft straffen Bewegungen mit dem Bogen und selbst mit der Hand sind nichts anderes, als rhpihmische Marken für daS begleitende Orchester, um es mit der Hauptmelodie in stetem Einklange zu erhalten, was bei so häufigen Gcneralpausen und dem mannigfachen Wechsel des Tempo kaum auf andere Art zu erzielen mög¬ li wäre. ServniS trug drei Piecen von eigener Komposition vor, und zwar: ein Kon¬ zertstück, dann eine Phantasie mit Polonaise, und zuletzt Bravour-Variationen über den bekannten Traucrwalzcr von Schubert. Seine Kompositionen -sind rhapsodisch und bloß auf Effekt berechnet; denn sie bieten dem Künstler die Gelegenheit dar, die Virtuosität auf dem Violoncell in höchster Vollkommenheit zu zeigen, auch geben sie das Zeugniß, daß ServaiS dem Zeitgeschmack zwar nicht abhold, aber auch nicht abgöttisch ergeben sei; dies beweist schon die Umgehung der in unserer Zeit fast von allen Violinspielcrn mißbrauchten Spielerei mit den FlagcoleM'ngcn, die der Italiener ans der alten Zeit zum Unheil des BiolinspielS einschmnggelie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/608>, abgerufen am 02.07.2024.