jemacht-haben die Stellwagey,all" diese Menschen wieder nach ihrem'ge"t"nLan¬ de zurückgeführt, und wollte Jemand die Bevölkerung Wiens! bei'Nacht zählen, se würde er gewiß 30,000 Menschen weniger finden, als bei Tage, wollte er' aber diese Zählung an einem Sonntage unternehmen, so dürfte er gewiß um 120,000 Menschen weniger finden, als an einem der Wochentage; denn wer nur Beine hat, zu gehen, oder auch nur ein Gestell zum Sitzen, der bleibt Sonntags nicht in der Stadt. Männer und Weiber> Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Bediente und Mägde/ Leicrkastenmänner und Bettler, Alles geht auf'S Land. Wie eine große Völkerwanderung strömt Alles vor die Linien hinaus!' Vierspännige Equipagen, lustige Fiaker folgen im Fluge hintereinander her; ein Stellwagen jagt den andern, und in keinem derselben sind weniger als zwölf Personen eingepökelt. Der Stell- wagen ist eine der Hauptfedern, welche in das Getriebe des Wiener Lebens ein¬ greifen; ohne den Stellwagen könnte der Wiener nicht die Hälfte jener Vergnü¬ gungen genießen, die bei ihm zu den nothwendigsten Bedürfnissen gezahlt werden. Mehrere hundert Wagen der Art find in allen Straßen vertheilt; jeder trägt den Namen seines Bestimmungsortes mit großen Lettern ander Seite ausgeschrieben: Gesellschaftswägen in den Prater, Gesellschaftswägen nach Hitzing in. Mit dem Glockenschlage einer jeden Stunde fährt ein solcher Wagen immer ab und ein an¬ derer nimmt seine Stelle ein, der wieder mit dem nächsten Glockenschlage wieder abfährt. Der Gesellschaftswägen ist eben so bequem, wie der eleganteste Fiaker; und da er gewöhnlich zwölf Personen faßt, fo pflegt man hier, wie ausdem Post¬ wagen, oft die gemischteste Reisegesellschaft zu finden. Ein Hofrath sitzt neben ei¬ nem Schneider, ein Gelehrter neben einem Kaufmann, reizende Damen aus jeder Classe beleben die Unterhaltung, und man trennt sich oft, wenn man an Ort und Stelle angelangt ist, ungern von einander. Gar manche Ehe beginnt ihren Ro¬ man auf dein Stcllwngcn, und mancher Supplicant hat auf einer kurzen Fahrt einen einflußreichen Gönner sich erworben. Eine Abart vom Stellwagen ist der "Zcisclwagen," Der "ZciSler," wie er in der Volkssprache heißt, hat nicht das Recht, innerhalb der Stadt zu halten, sondern sein Standpunkt ist außerhalb der Linie. Hier hält er nun mit seinem Fahrzeug, welches nichts mehr ist als ein klei¬ ner, unbedeckter Baucrnwagen, mit einem magern Gaul bespannt, und bietet nun alle möglichen Redensarten und Spaße auf, um einen zu bewegen, Platz auf sei¬ nem Sonnenwagen zu nehmen; aber nicht weniger als nenn Personen müssen sein Fahrzeug füllen, und erst, wenn diese Zahl voll ist, setzt er seinen blinden Gaul in Trab. Komisch ist die Art, wie er seine Passagiere sich zu verschaffen sucht. Gesetzt, man ist unglücklich oder unklug genug gewesen, in der Stadt keinen, Wa¬ gen zu finden, man tourne ermattet vor die Linie und sieht da einen Zcisclwagen, der vollgestopft mit Menschen ist. "Steigen Euer Gnaden nur auf," ruft der
jemacht-haben die Stellwagey,all« diese Menschen wieder nach ihrem'ge«t«nLan¬ de zurückgeführt, und wollte Jemand die Bevölkerung Wiens! bei'Nacht zählen, se würde er gewiß 30,000 Menschen weniger finden, als bei Tage, wollte er' aber diese Zählung an einem Sonntage unternehmen, so dürfte er gewiß um 120,000 Menschen weniger finden, als an einem der Wochentage; denn wer nur Beine hat, zu gehen, oder auch nur ein Gestell zum Sitzen, der bleibt Sonntags nicht in der Stadt. Männer und Weiber> Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Bediente und Mägde/ Leicrkastenmänner und Bettler, Alles geht auf'S Land. Wie eine große Völkerwanderung strömt Alles vor die Linien hinaus!' Vierspännige Equipagen, lustige Fiaker folgen im Fluge hintereinander her; ein Stellwagen jagt den andern, und in keinem derselben sind weniger als zwölf Personen eingepökelt. Der Stell- wagen ist eine der Hauptfedern, welche in das Getriebe des Wiener Lebens ein¬ greifen; ohne den Stellwagen könnte der Wiener nicht die Hälfte jener Vergnü¬ gungen genießen, die bei ihm zu den nothwendigsten Bedürfnissen gezahlt werden. Mehrere hundert Wagen der Art find in allen Straßen vertheilt; jeder trägt den Namen seines Bestimmungsortes mit großen Lettern ander Seite ausgeschrieben: Gesellschaftswägen in den Prater, Gesellschaftswägen nach Hitzing in. Mit dem Glockenschlage einer jeden Stunde fährt ein solcher Wagen immer ab und ein an¬ derer nimmt seine Stelle ein, der wieder mit dem nächsten Glockenschlage wieder abfährt. Der Gesellschaftswägen ist eben so bequem, wie der eleganteste Fiaker; und da er gewöhnlich zwölf Personen faßt, fo pflegt man hier, wie ausdem Post¬ wagen, oft die gemischteste Reisegesellschaft zu finden. Ein Hofrath sitzt neben ei¬ nem Schneider, ein Gelehrter neben einem Kaufmann, reizende Damen aus jeder Classe beleben die Unterhaltung, und man trennt sich oft, wenn man an Ort und Stelle angelangt ist, ungern von einander. Gar manche Ehe beginnt ihren Ro¬ man auf dein Stcllwngcn, und mancher Supplicant hat auf einer kurzen Fahrt einen einflußreichen Gönner sich erworben. Eine Abart vom Stellwagen ist der "Zcisclwagen,» Der »ZciSler," wie er in der Volkssprache heißt, hat nicht das Recht, innerhalb der Stadt zu halten, sondern sein Standpunkt ist außerhalb der Linie. Hier hält er nun mit seinem Fahrzeug, welches nichts mehr ist als ein klei¬ ner, unbedeckter Baucrnwagen, mit einem magern Gaul bespannt, und bietet nun alle möglichen Redensarten und Spaße auf, um einen zu bewegen, Platz auf sei¬ nem Sonnenwagen zu nehmen; aber nicht weniger als nenn Personen müssen sein Fahrzeug füllen, und erst, wenn diese Zahl voll ist, setzt er seinen blinden Gaul in Trab. Komisch ist die Art, wie er seine Passagiere sich zu verschaffen sucht. Gesetzt, man ist unglücklich oder unklug genug gewesen, in der Stadt keinen, Wa¬ gen zu finden, man tourne ermattet vor die Linie und sieht da einen Zcisclwagen, der vollgestopft mit Menschen ist. „Steigen Euer Gnaden nur auf," ruft der
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würde er gewiß 30,000 Menschen weniger finden, als bei Tage, wollte er' aber
diese Zählung an einem Sonntage unternehmen, so dürfte er gewiß um 120,000
Menschen weniger finden, als an einem der Wochentage; denn wer nur Beine hat,
zu gehen, oder auch nur ein Gestell zum Sitzen, der bleibt Sonntags nicht in der
Stadt. Männer und Weiber> Jung und Alt, Vornehme und Geringe, Bediente
und Mägde/ Leicrkastenmänner und Bettler, Alles geht auf'S Land. Wie eine große
Völkerwanderung strömt Alles vor die Linien hinaus!' Vierspännige Equipagen,
lustige Fiaker folgen im Fluge hintereinander her; ein Stellwagen jagt den andern,
und in keinem derselben sind weniger als zwölf Personen eingepökelt. Der Stell-
wagen ist eine der Hauptfedern, welche in das Getriebe des Wiener Lebens ein¬
greifen; ohne den Stellwagen könnte der Wiener nicht die Hälfte jener Vergnü¬
gungen genießen, die bei ihm zu den nothwendigsten Bedürfnissen gezahlt werden.
Mehrere hundert Wagen der Art find in allen Straßen vertheilt; jeder trägt den
Namen seines Bestimmungsortes mit großen Lettern ander Seite ausgeschrieben:
Gesellschaftswägen in den Prater, Gesellschaftswägen nach Hitzing in. Mit dem
Glockenschlage einer jeden Stunde fährt ein solcher Wagen immer ab und ein an¬
derer nimmt seine Stelle ein, der wieder mit dem nächsten Glockenschlage wieder
abfährt. Der Gesellschaftswägen ist eben so bequem, wie der eleganteste Fiaker;
und da er gewöhnlich zwölf Personen faßt, fo pflegt man hier, wie ausdem Post¬
wagen, oft die gemischteste Reisegesellschaft zu finden. Ein Hofrath sitzt neben ei¬
nem Schneider, ein Gelehrter neben einem Kaufmann, reizende Damen aus jeder
Classe beleben die Unterhaltung, und man trennt sich oft, wenn man an Ort und
Stelle angelangt ist, ungern von einander. Gar manche Ehe beginnt ihren Ro¬
man auf dein Stcllwngcn, und mancher Supplicant hat auf einer kurzen Fahrt
einen einflußreichen Gönner sich erworben. Eine Abart vom Stellwagen ist der
"Zcisclwagen,» Der »ZciSler," wie er in der Volkssprache heißt, hat nicht das
Recht, innerhalb der Stadt zu halten, sondern sein Standpunkt ist außerhalb der
Linie. Hier hält er nun mit seinem Fahrzeug, welches nichts mehr ist als ein klei¬
ner, unbedeckter Baucrnwagen, mit einem magern Gaul bespannt, und bietet nun
alle möglichen Redensarten und Spaße auf, um einen zu bewegen, Platz auf sei¬
nem Sonnenwagen zu nehmen; aber nicht weniger als nenn Personen müssen sein
Fahrzeug füllen, und erst, wenn diese Zahl voll ist, setzt er seinen blinden Gaul
in Trab. Komisch ist die Art, wie er seine Passagiere sich zu verschaffen sucht.
Gesetzt, man ist unglücklich oder unklug genug gewesen, in der Stadt keinen, Wa¬
gen zu finden, man tourne ermattet vor die Linie und sieht da einen Zcisclwagen,
der vollgestopft mit Menschen ist. „Steigen Euer Gnaden nur auf," ruft der
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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/606>, abgerufen am 22.12.2024.
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