Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Jury aber dir Tage der großen Ermüdung, sind die Tage der politischen
Processe. In diesen merkwürdigen.Fällen wird'ein Aufgebot aller Ad¬
vokaten erlassen; es kommen deren aus allen Landestheilen zusammen.
Die Advokaten, die in den politischen Processen plaidiren, sind meist
nicht stark beschäftigt, und haben ihren Uns erst noch zu machen. Sie
zerfallen in drei Klassen: solche, die für sich' plaidiren, und das ist die
Mehrzahl; alsdann kommen diejenigen, die für die sogenannten Princi¬
pien plaidircnz und endlich als Ausnahme diejenigen, welche plaidiren,
damit der Angeklagte freigesprochen werde.. Uebrigens ist nichts leichter
zu machen, als ein Plaidoyer in politischen Angelegenheiten; die Strafe,
um die es sich handelt, ist nie bedeutend, und man darf beinahe-Alles
sagen; verliert man den Proceß, und wird der Client vemrtheilt, so ist
die Entschuldigung obenauf, der Unglückliche ist das Opfer des Partei-
geistes, seine Verurtheilung ist nur eine Verzögerung seines Triumphes.

Von diesen drei Arten von Vertheidigern ist diejenige die interes¬
santeste, die aus den für sich plaidireuden Advokaten besteht. Sie neh¬
men sich ein^ weites Feld; die ganze Welt gehört ihnen. Die Jury muß
mit anhören, was sie sind, was sie waren, warum sie uoch nicht Mi¬
nister sind, warum es Andre an ihrer Stelle sind.. Zu. ihrer Biogra¬
phie fügen, sie die aller vergangenen und gegenwärtigen Berühmtheiten
hinzu, und beweisen bis zur Evidenz, daß diese Berühmtheiten, die man
.für etwas/hält, weil man sie von der Ferne aus sieht, in Wahrheit
nichts, sind, wenn man sie als Philosoph in der Nähe betrachtet, und
daß sie nur noch Zwerge sind, wenn man sie mit ihnen, den hier ge¬
genwärtigen Advokaten, vergleicht, welche mit Zuversicht Hoffen, daß die
Jury nicht unterlassen werde, ein freisprechendes Urtheil zu fällen.

. Was die Advokaten betrifft, die zur Ehre der Principien plaidiren,
so gleichen sie den Aerzten, die lieber ihren Kranken todten, ehe sie sich
von der Regel entfernen; an der Sache selbst liegt ihnen im Grunde
nichts; sie verlangen nur Bravo's, wenn sie den Gerichtshof verlassen,
und am.andern Tag ein Bankett, um sich über die Lossprechung zu
freuen, oder über die Verurtheilung zu trösten.

Es blieben uns nun nur noch die. Advokaten zu betrachten, die
ernsthaft für die Freisprechung ihres Clienten plaidiren; allein deren
Rolle ist minder glänzend, obschon sie gewöhnlich das Ziel, das sie sich
gesteckt haben, erreichen; ihre Plaidoperö sind die einzigen, von denen
man eine Erinnerung behält, sie sind es, die man am Tage einer wirk¬
lichen Gefahr vorzugsweise aufsucht.




Jury aber dir Tage der großen Ermüdung, sind die Tage der politischen
Processe. In diesen merkwürdigen.Fällen wird'ein Aufgebot aller Ad¬
vokaten erlassen; es kommen deren aus allen Landestheilen zusammen.
Die Advokaten, die in den politischen Processen plaidiren, sind meist
nicht stark beschäftigt, und haben ihren Uns erst noch zu machen. Sie
zerfallen in drei Klassen: solche, die für sich' plaidiren, und das ist die
Mehrzahl; alsdann kommen diejenigen, die für die sogenannten Princi¬
pien plaidircnz und endlich als Ausnahme diejenigen, welche plaidiren,
damit der Angeklagte freigesprochen werde.. Uebrigens ist nichts leichter
zu machen, als ein Plaidoyer in politischen Angelegenheiten; die Strafe,
um die es sich handelt, ist nie bedeutend, und man darf beinahe-Alles
sagen; verliert man den Proceß, und wird der Client vemrtheilt, so ist
die Entschuldigung obenauf, der Unglückliche ist das Opfer des Partei-
geistes, seine Verurtheilung ist nur eine Verzögerung seines Triumphes.

Von diesen drei Arten von Vertheidigern ist diejenige die interes¬
santeste, die aus den für sich plaidireuden Advokaten besteht. Sie neh¬
men sich ein^ weites Feld; die ganze Welt gehört ihnen. Die Jury muß
mit anhören, was sie sind, was sie waren, warum sie uoch nicht Mi¬
nister sind, warum es Andre an ihrer Stelle sind.. Zu. ihrer Biogra¬
phie fügen, sie die aller vergangenen und gegenwärtigen Berühmtheiten
hinzu, und beweisen bis zur Evidenz, daß diese Berühmtheiten, die man
.für etwas/hält, weil man sie von der Ferne aus sieht, in Wahrheit
nichts, sind, wenn man sie als Philosoph in der Nähe betrachtet, und
daß sie nur noch Zwerge sind, wenn man sie mit ihnen, den hier ge¬
genwärtigen Advokaten, vergleicht, welche mit Zuversicht Hoffen, daß die
Jury nicht unterlassen werde, ein freisprechendes Urtheil zu fällen.

. Was die Advokaten betrifft, die zur Ehre der Principien plaidiren,
so gleichen sie den Aerzten, die lieber ihren Kranken todten, ehe sie sich
von der Regel entfernen; an der Sache selbst liegt ihnen im Grunde
nichts; sie verlangen nur Bravo's, wenn sie den Gerichtshof verlassen,
und am.andern Tag ein Bankett, um sich über die Lossprechung zu
freuen, oder über die Verurtheilung zu trösten.

Es blieben uns nun nur noch die. Advokaten zu betrachten, die
ernsthaft für die Freisprechung ihres Clienten plaidiren; allein deren
Rolle ist minder glänzend, obschon sie gewöhnlich das Ziel, das sie sich
gesteckt haben, erreichen; ihre Plaidoperö sind die einzigen, von denen
man eine Erinnerung behält, sie sind es, die man am Tage einer wirk¬
lichen Gefahr vorzugsweise aufsucht.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0564" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267777"/>
          <p xml:id="ID_1985" prev="#ID_1984"> Jury aber dir Tage der großen Ermüdung, sind die Tage der politischen<lb/>
Processe. In diesen merkwürdigen.Fällen wird'ein Aufgebot aller Ad¬<lb/>
vokaten erlassen; es kommen deren aus allen Landestheilen zusammen.<lb/>
Die Advokaten, die in den politischen Processen plaidiren, sind meist<lb/>
nicht stark beschäftigt, und haben ihren Uns erst noch zu machen. Sie<lb/>
zerfallen in drei Klassen: solche, die für sich' plaidiren, und das ist die<lb/>
Mehrzahl; alsdann kommen diejenigen, die für die sogenannten Princi¬<lb/>
pien plaidircnz und endlich als Ausnahme diejenigen, welche plaidiren,<lb/>
damit der Angeklagte freigesprochen werde.. Uebrigens ist nichts leichter<lb/>
zu machen, als ein Plaidoyer in politischen Angelegenheiten; die Strafe,<lb/>
um die es sich handelt, ist nie bedeutend, und man darf beinahe-Alles<lb/>
sagen; verliert man den Proceß, und wird der Client vemrtheilt, so ist<lb/>
die Entschuldigung obenauf, der Unglückliche ist das Opfer des Partei-<lb/>
geistes, seine Verurtheilung ist nur eine Verzögerung seines Triumphes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1986"> Von diesen drei Arten von Vertheidigern ist diejenige die interes¬<lb/>
santeste, die aus den für sich plaidireuden Advokaten besteht. Sie neh¬<lb/>
men sich ein^ weites Feld; die ganze Welt gehört ihnen. Die Jury muß<lb/>
mit anhören, was sie sind, was sie waren, warum sie uoch nicht Mi¬<lb/>
nister sind, warum es Andre an ihrer Stelle sind.. Zu. ihrer Biogra¬<lb/>
phie fügen, sie die aller vergangenen und gegenwärtigen Berühmtheiten<lb/>
hinzu, und beweisen bis zur Evidenz, daß diese Berühmtheiten, die man<lb/>
.für etwas/hält, weil man sie von der Ferne aus sieht, in Wahrheit<lb/>
nichts, sind, wenn man sie als Philosoph in der Nähe betrachtet, und<lb/>
daß sie nur noch Zwerge sind, wenn man sie mit ihnen, den hier ge¬<lb/>
genwärtigen Advokaten, vergleicht, welche mit Zuversicht Hoffen, daß die<lb/>
Jury nicht unterlassen werde, ein freisprechendes Urtheil zu fällen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1987"> . Was die Advokaten betrifft, die zur Ehre der Principien plaidiren,<lb/>
so gleichen sie den Aerzten, die lieber ihren Kranken todten, ehe sie sich<lb/>
von der Regel entfernen; an der Sache selbst liegt ihnen im Grunde<lb/>
nichts; sie verlangen nur Bravo's, wenn sie den Gerichtshof verlassen,<lb/>
und am.andern Tag ein Bankett, um sich über die Lossprechung zu<lb/>
freuen, oder über die Verurtheilung zu trösten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1988"> Es blieben uns nun nur noch die. Advokaten zu betrachten, die<lb/>
ernsthaft für die Freisprechung ihres Clienten plaidiren; allein deren<lb/>
Rolle ist minder glänzend, obschon sie gewöhnlich das Ziel, das sie sich<lb/>
gesteckt haben, erreichen; ihre Plaidoperö sind die einzigen, von denen<lb/>
man eine Erinnerung behält, sie sind es, die man am Tage einer wirk¬<lb/>
lichen Gefahr vorzugsweise aufsucht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0564] Jury aber dir Tage der großen Ermüdung, sind die Tage der politischen Processe. In diesen merkwürdigen.Fällen wird'ein Aufgebot aller Ad¬ vokaten erlassen; es kommen deren aus allen Landestheilen zusammen. Die Advokaten, die in den politischen Processen plaidiren, sind meist nicht stark beschäftigt, und haben ihren Uns erst noch zu machen. Sie zerfallen in drei Klassen: solche, die für sich' plaidiren, und das ist die Mehrzahl; alsdann kommen diejenigen, die für die sogenannten Princi¬ pien plaidircnz und endlich als Ausnahme diejenigen, welche plaidiren, damit der Angeklagte freigesprochen werde.. Uebrigens ist nichts leichter zu machen, als ein Plaidoyer in politischen Angelegenheiten; die Strafe, um die es sich handelt, ist nie bedeutend, und man darf beinahe-Alles sagen; verliert man den Proceß, und wird der Client vemrtheilt, so ist die Entschuldigung obenauf, der Unglückliche ist das Opfer des Partei- geistes, seine Verurtheilung ist nur eine Verzögerung seines Triumphes. Von diesen drei Arten von Vertheidigern ist diejenige die interes¬ santeste, die aus den für sich plaidireuden Advokaten besteht. Sie neh¬ men sich ein^ weites Feld; die ganze Welt gehört ihnen. Die Jury muß mit anhören, was sie sind, was sie waren, warum sie uoch nicht Mi¬ nister sind, warum es Andre an ihrer Stelle sind.. Zu. ihrer Biogra¬ phie fügen, sie die aller vergangenen und gegenwärtigen Berühmtheiten hinzu, und beweisen bis zur Evidenz, daß diese Berühmtheiten, die man .für etwas/hält, weil man sie von der Ferne aus sieht, in Wahrheit nichts, sind, wenn man sie als Philosoph in der Nähe betrachtet, und daß sie nur noch Zwerge sind, wenn man sie mit ihnen, den hier ge¬ genwärtigen Advokaten, vergleicht, welche mit Zuversicht Hoffen, daß die Jury nicht unterlassen werde, ein freisprechendes Urtheil zu fällen. . Was die Advokaten betrifft, die zur Ehre der Principien plaidiren, so gleichen sie den Aerzten, die lieber ihren Kranken todten, ehe sie sich von der Regel entfernen; an der Sache selbst liegt ihnen im Grunde nichts; sie verlangen nur Bravo's, wenn sie den Gerichtshof verlassen, und am.andern Tag ein Bankett, um sich über die Lossprechung zu freuen, oder über die Verurtheilung zu trösten. Es blieben uns nun nur noch die. Advokaten zu betrachten, die ernsthaft für die Freisprechung ihres Clienten plaidiren; allein deren Rolle ist minder glänzend, obschon sie gewöhnlich das Ziel, das sie sich gesteckt haben, erreichen; ihre Plaidoperö sind die einzigen, von denen man eine Erinnerung behält, sie sind es, die man am Tage einer wirk¬ lichen Gefahr vorzugsweise aufsucht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/564
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/564>, abgerufen am 30.06.2024.