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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Beispiel .eines Vaters, der Rand einer Mutter gefehlt, er ist Ihrer Theil¬
nahme noch um so würdiger.

Ein alter Advokat hatte seinem jungen Clienten'anbefohlen, jedes¬
mal zu weinen, wenn er auf seinen Pult schlagen würde. Unglückli¬
cherweise vergißt sich der Advokat, und schlägt zur unrechten Zeit; ,der
gutgeschulte Client bricht in Schluchzen aus. Was habt Ihr' denn?
stage ihn der Präsident. -- Nu, er hat gesagt, ich soll weinen, so oft
er auf den Tisch schlüge. ^ - - -

Nur ein alter Schlaukopf konnte in diesem fatalen Vorfall ein
Mittel zur Vertheidigung finden. -- ,/Nun, meine Herren Geschwor¬
nen, ich frage Sie, kann sich die Idee des Verbrechens bei so viel Un¬
schuld und Aufrichtigkeit finden? Ich erwarte mit dem vollkommensten
Vertrauen Ihr Urtheil." ' '. ' -' -

Sprechen ist der gewöhnliche Zustand des alten Advokaten ,- er plai-
dirt selbst/im Schlafe; er könnte sechs Stunden hinter einander sprechen,
ohne einmal auszuspeien; er ist gleich einem alten Pferd,/das nur. noch
galoppiren '.kann,^ das aber immerfort galoppirt. Bei > einer -' ernsten ^Ge¬
legenheit in Frankreich ist man noch weiter gegangen. Als man'' im
Jahr 1316', dem General Trarot den Proceß machte, sprachen-seine
Vertheidiger vor,dem Revisions-Rath in nerueo fünf Tage' und 'fünf
Nächte hinter einander. Wenn nämlich das Urtheil eines Kriegsgerichts
durch einen, Kriegsrath bestätigt ist, so darf die'Vollziehung des Urtheils
auch-nicht für einen Augenblick verschoben werden. Nun'war der Ge-
'iieral zum Tode vevurtheilt worden, und es handelte sich darum, , seiner
Gemahlin die Zeit zur Reise nach Paris zu verschaffen, wo sie die kö¬
nigliche Gnade anflehen wollte. Die Advokaten lösten also einander von
3 zu 3 Stunden ab; zuletzt begann Herr Bernard von Raumes, der
Haupt-Vertheidiger, jetzt Rath am Cassationshofe, das berühmte Me-
moire des Herrn von Lallp-Tollendal für seinen Vater zu lesen, denn
er selbst wußte nicht mehr, was, er sagen sollte. ^- Mein Gott, wo
wollen Sie denn damit hinaus? frug ihn der Präsident. ' Warten
Sie nur, Herr Präsident, antwortete er; das werden Sie sehen, wenn
ich fertig bin. Aber er wurde nie fertig. Es kam zuletzt so weit, daß
die Richter sich bei den Vertheidiger!: eine Stunde Nuhe ausbaten. Und
so hatten diese ihren Zweck erreicht; denn sie erlaubten dem Conseil nicht
eher, seine Berathung zu beginnen, als bis sie erfahren hatten, daß , die
Begnadigung bewilligt worden. ,

Die großen Festtage für das Publikum am Assisenhofe, für die


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Beispiel .eines Vaters, der Rand einer Mutter gefehlt, er ist Ihrer Theil¬
nahme noch um so würdiger.

Ein alter Advokat hatte seinem jungen Clienten'anbefohlen, jedes¬
mal zu weinen, wenn er auf seinen Pult schlagen würde. Unglückli¬
cherweise vergißt sich der Advokat, und schlägt zur unrechten Zeit; ,der
gutgeschulte Client bricht in Schluchzen aus. Was habt Ihr' denn?
stage ihn der Präsident. — Nu, er hat gesagt, ich soll weinen, so oft
er auf den Tisch schlüge. ^ - - -

Nur ein alter Schlaukopf konnte in diesem fatalen Vorfall ein
Mittel zur Vertheidigung finden. — ,/Nun, meine Herren Geschwor¬
nen, ich frage Sie, kann sich die Idee des Verbrechens bei so viel Un¬
schuld und Aufrichtigkeit finden? Ich erwarte mit dem vollkommensten
Vertrauen Ihr Urtheil." ' '. ' -' -

Sprechen ist der gewöhnliche Zustand des alten Advokaten ,- er plai-
dirt selbst/im Schlafe; er könnte sechs Stunden hinter einander sprechen,
ohne einmal auszuspeien; er ist gleich einem alten Pferd,/das nur. noch
galoppiren '.kann,^ das aber immerfort galoppirt. Bei > einer -' ernsten ^Ge¬
legenheit in Frankreich ist man noch weiter gegangen. Als man'' im
Jahr 1316', dem General Trarot den Proceß machte, sprachen-seine
Vertheidiger vor,dem Revisions-Rath in nerueo fünf Tage' und 'fünf
Nächte hinter einander. Wenn nämlich das Urtheil eines Kriegsgerichts
durch einen, Kriegsrath bestätigt ist, so darf die'Vollziehung des Urtheils
auch-nicht für einen Augenblick verschoben werden. Nun'war der Ge-
'iieral zum Tode vevurtheilt worden, und es handelte sich darum, , seiner
Gemahlin die Zeit zur Reise nach Paris zu verschaffen, wo sie die kö¬
nigliche Gnade anflehen wollte. Die Advokaten lösten also einander von
3 zu 3 Stunden ab; zuletzt begann Herr Bernard von Raumes, der
Haupt-Vertheidiger, jetzt Rath am Cassationshofe, das berühmte Me-
moire des Herrn von Lallp-Tollendal für seinen Vater zu lesen, denn
er selbst wußte nicht mehr, was, er sagen sollte. ^- Mein Gott, wo
wollen Sie denn damit hinaus? frug ihn der Präsident. ' Warten
Sie nur, Herr Präsident, antwortete er; das werden Sie sehen, wenn
ich fertig bin. Aber er wurde nie fertig. Es kam zuletzt so weit, daß
die Richter sich bei den Vertheidiger!: eine Stunde Nuhe ausbaten. Und
so hatten diese ihren Zweck erreicht; denn sie erlaubten dem Conseil nicht
eher, seine Berathung zu beginnen, als bis sie erfahren hatten, daß , die
Begnadigung bewilligt worden. ,

Die großen Festtage für das Publikum am Assisenhofe, für die


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[0563] Beispiel .eines Vaters, der Rand einer Mutter gefehlt, er ist Ihrer Theil¬ nahme noch um so würdiger. Ein alter Advokat hatte seinem jungen Clienten'anbefohlen, jedes¬ mal zu weinen, wenn er auf seinen Pult schlagen würde. Unglückli¬ cherweise vergißt sich der Advokat, und schlägt zur unrechten Zeit; ,der gutgeschulte Client bricht in Schluchzen aus. Was habt Ihr' denn? stage ihn der Präsident. — Nu, er hat gesagt, ich soll weinen, so oft er auf den Tisch schlüge. ^ - - - Nur ein alter Schlaukopf konnte in diesem fatalen Vorfall ein Mittel zur Vertheidigung finden. — ,/Nun, meine Herren Geschwor¬ nen, ich frage Sie, kann sich die Idee des Verbrechens bei so viel Un¬ schuld und Aufrichtigkeit finden? Ich erwarte mit dem vollkommensten Vertrauen Ihr Urtheil." ' '. ' -' - Sprechen ist der gewöhnliche Zustand des alten Advokaten ,- er plai- dirt selbst/im Schlafe; er könnte sechs Stunden hinter einander sprechen, ohne einmal auszuspeien; er ist gleich einem alten Pferd,/das nur. noch galoppiren '.kann,^ das aber immerfort galoppirt. Bei > einer -' ernsten ^Ge¬ legenheit in Frankreich ist man noch weiter gegangen. Als man'' im Jahr 1316', dem General Trarot den Proceß machte, sprachen-seine Vertheidiger vor,dem Revisions-Rath in nerueo fünf Tage' und 'fünf Nächte hinter einander. Wenn nämlich das Urtheil eines Kriegsgerichts durch einen, Kriegsrath bestätigt ist, so darf die'Vollziehung des Urtheils auch-nicht für einen Augenblick verschoben werden. Nun'war der Ge- 'iieral zum Tode vevurtheilt worden, und es handelte sich darum, , seiner Gemahlin die Zeit zur Reise nach Paris zu verschaffen, wo sie die kö¬ nigliche Gnade anflehen wollte. Die Advokaten lösten also einander von 3 zu 3 Stunden ab; zuletzt begann Herr Bernard von Raumes, der Haupt-Vertheidiger, jetzt Rath am Cassationshofe, das berühmte Me- moire des Herrn von Lallp-Tollendal für seinen Vater zu lesen, denn er selbst wußte nicht mehr, was, er sagen sollte. ^- Mein Gott, wo wollen Sie denn damit hinaus? frug ihn der Präsident. ' Warten Sie nur, Herr Präsident, antwortete er; das werden Sie sehen, wenn ich fertig bin. Aber er wurde nie fertig. Es kam zuletzt so weit, daß die Richter sich bei den Vertheidiger!: eine Stunde Nuhe ausbaten. Und so hatten diese ihren Zweck erreicht; denn sie erlaubten dem Conseil nicht eher, seine Berathung zu beginnen, als bis sie erfahren hatten, daß , die Begnadigung bewilligt worden. , Die großen Festtage für das Publikum am Assisenhofe, für die 74»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/563>, abgerufen am 02.07.2024.