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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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.Beendigung gewählt habe; im Falle er dieß noch nicht gethan, wird
der Präsident des Assisenhofes ihm sosort einen Rachgeber bezeichnen;
wird ti'es unterlassen, so ist die ganze folgende Verhandlung/nichtig."

Nun ist es wohl klar, daß der Gesetzgeber mit dem Worte einen
Rathgeber einen ernstlichen Nachgeber gemeint hat. Nun frage ich
aber, ob man einen jungen'Mann, der eben erst seine Nechtsstudien be¬
endet hat, einen wahrhaften Rathgeber nennen kann, wenn man die
Art bedenkt, wie diese Herren das Ins studirt haben, d. I). indem sie
'im Theater die-Schauspieler mit Sänger auspfiffen, in Kaffeehäusern
und 6dieiven sich herumtrieben, den Rednern der parlamentarischen Op¬
position, diesen periodischen Schmeichlern der Jugend, politische Bankette
'gaben, zuletzt endlich ein halbes Jahr Pandecten und Code sich einpauken
ließen, und dann durch allerhand Mittelchen das Eramen durchmachten,
um sich nun sofort'am Assisenhofe im Reden zu üben, und die-Rechts¬
fragen einzeln zu studiren, wie sie in der Praxis vorkommen. Ich wie¬
derhole übrigens auch hier, daß ich nur von der Allgemeinheit spreche,
und die ehrenwerthen Ausnahmen, besonders der braven jungen Leute,
welche ihre Commilitonen Ochser und Stubenhocker zu nennen pflegen,
bereitwillig anerkenne. Aber selbst wenn man die Ausnahmen zuläßt,
hat wohl der Gesetzgeber die Vertheidigung der unglücklichen Angeklag¬
ten der Unerfcihrenheit eines jungen Mannes anvertrauen wollen? Man
wird dies nie behaupten wollen; und doch figuriren die Advokatenlehr¬
linge wenigstens für die Hälfte unter den Vertheidigern, vor den Assisen-
böfen. Da wir nun einmal von diesem Mißbräuche sprechen, und man
nicht wissen kann, ob nicht Ein Samenkorn vielleicht fruchtbares Land
antrifft, so wollen wir durch die beiden Beispiele, die wir im Folgen¬
den anzuführen gedenken, wenigstens das darthun, daß das in Rede
stehende Gesetz und der Gedanke deö Gesetzgebers anderswo richtiger be¬
griffen worden sind.

Für die Cassationsgesuche erfordert nämlich das Gesetz keinen Ver¬
theidiger. Die Advokaten deö Cassationohofts in Paris aber haben, be¬
wogen von einem reinen Humanitäts-Gefühl, den Beschluß.gefaßt, daß
fortan keine Appellation gegen-ein Urtheil, das den -Tod oder eine le¬
benslängliche Strafe ausspricht, dem Gericht überreicht werden solle, ohne
durch einen Advokaten unterstützt zu werden;, und zwar wird dieser Ver¬
theidiger von Amtswegen nicht nach dem Zufall, oder unter den jüng¬
sten und am wenigsten beschäftigten' gewählt; sondern man folgt der
Reihe der Inscriptionen im -Advokaten-Register. Der Artikel 294 ist


.Beendigung gewählt habe; im Falle er dieß noch nicht gethan, wird
der Präsident des Assisenhofes ihm sosort einen Rachgeber bezeichnen;
wird ti'es unterlassen, so ist die ganze folgende Verhandlung/nichtig.«

Nun ist es wohl klar, daß der Gesetzgeber mit dem Worte einen
Rathgeber einen ernstlichen Nachgeber gemeint hat. Nun frage ich
aber, ob man einen jungen'Mann, der eben erst seine Nechtsstudien be¬
endet hat, einen wahrhaften Rathgeber nennen kann, wenn man die
Art bedenkt, wie diese Herren das Ins studirt haben, d. I). indem sie
'im Theater die-Schauspieler mit Sänger auspfiffen, in Kaffeehäusern
und 6dieiven sich herumtrieben, den Rednern der parlamentarischen Op¬
position, diesen periodischen Schmeichlern der Jugend, politische Bankette
'gaben, zuletzt endlich ein halbes Jahr Pandecten und Code sich einpauken
ließen, und dann durch allerhand Mittelchen das Eramen durchmachten,
um sich nun sofort'am Assisenhofe im Reden zu üben, und die-Rechts¬
fragen einzeln zu studiren, wie sie in der Praxis vorkommen. Ich wie¬
derhole übrigens auch hier, daß ich nur von der Allgemeinheit spreche,
und die ehrenwerthen Ausnahmen, besonders der braven jungen Leute,
welche ihre Commilitonen Ochser und Stubenhocker zu nennen pflegen,
bereitwillig anerkenne. Aber selbst wenn man die Ausnahmen zuläßt,
hat wohl der Gesetzgeber die Vertheidigung der unglücklichen Angeklag¬
ten der Unerfcihrenheit eines jungen Mannes anvertrauen wollen? Man
wird dies nie behaupten wollen; und doch figuriren die Advokatenlehr¬
linge wenigstens für die Hälfte unter den Vertheidigern, vor den Assisen-
böfen. Da wir nun einmal von diesem Mißbräuche sprechen, und man
nicht wissen kann, ob nicht Ein Samenkorn vielleicht fruchtbares Land
antrifft, so wollen wir durch die beiden Beispiele, die wir im Folgen¬
den anzuführen gedenken, wenigstens das darthun, daß das in Rede
stehende Gesetz und der Gedanke deö Gesetzgebers anderswo richtiger be¬
griffen worden sind.

Für die Cassationsgesuche erfordert nämlich das Gesetz keinen Ver¬
theidiger. Die Advokaten deö Cassationohofts in Paris aber haben, be¬
wogen von einem reinen Humanitäts-Gefühl, den Beschluß.gefaßt, daß
fortan keine Appellation gegen-ein Urtheil, das den -Tod oder eine le¬
benslängliche Strafe ausspricht, dem Gericht überreicht werden solle, ohne
durch einen Advokaten unterstützt zu werden;, und zwar wird dieser Ver¬
theidiger von Amtswegen nicht nach dem Zufall, oder unter den jüng¬
sten und am wenigsten beschäftigten' gewählt; sondern man folgt der
Reihe der Inscriptionen im -Advokaten-Register. Der Artikel 294 ist


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[0557] .Beendigung gewählt habe; im Falle er dieß noch nicht gethan, wird der Präsident des Assisenhofes ihm sosort einen Rachgeber bezeichnen; wird ti'es unterlassen, so ist die ganze folgende Verhandlung/nichtig.« Nun ist es wohl klar, daß der Gesetzgeber mit dem Worte einen Rathgeber einen ernstlichen Nachgeber gemeint hat. Nun frage ich aber, ob man einen jungen'Mann, der eben erst seine Nechtsstudien be¬ endet hat, einen wahrhaften Rathgeber nennen kann, wenn man die Art bedenkt, wie diese Herren das Ins studirt haben, d. I). indem sie 'im Theater die-Schauspieler mit Sänger auspfiffen, in Kaffeehäusern und 6dieiven sich herumtrieben, den Rednern der parlamentarischen Op¬ position, diesen periodischen Schmeichlern der Jugend, politische Bankette 'gaben, zuletzt endlich ein halbes Jahr Pandecten und Code sich einpauken ließen, und dann durch allerhand Mittelchen das Eramen durchmachten, um sich nun sofort'am Assisenhofe im Reden zu üben, und die-Rechts¬ fragen einzeln zu studiren, wie sie in der Praxis vorkommen. Ich wie¬ derhole übrigens auch hier, daß ich nur von der Allgemeinheit spreche, und die ehrenwerthen Ausnahmen, besonders der braven jungen Leute, welche ihre Commilitonen Ochser und Stubenhocker zu nennen pflegen, bereitwillig anerkenne. Aber selbst wenn man die Ausnahmen zuläßt, hat wohl der Gesetzgeber die Vertheidigung der unglücklichen Angeklag¬ ten der Unerfcihrenheit eines jungen Mannes anvertrauen wollen? Man wird dies nie behaupten wollen; und doch figuriren die Advokatenlehr¬ linge wenigstens für die Hälfte unter den Vertheidigern, vor den Assisen- böfen. Da wir nun einmal von diesem Mißbräuche sprechen, und man nicht wissen kann, ob nicht Ein Samenkorn vielleicht fruchtbares Land antrifft, so wollen wir durch die beiden Beispiele, die wir im Folgen¬ den anzuführen gedenken, wenigstens das darthun, daß das in Rede stehende Gesetz und der Gedanke deö Gesetzgebers anderswo richtiger be¬ griffen worden sind. Für die Cassationsgesuche erfordert nämlich das Gesetz keinen Ver¬ theidiger. Die Advokaten deö Cassationohofts in Paris aber haben, be¬ wogen von einem reinen Humanitäts-Gefühl, den Beschluß.gefaßt, daß fortan keine Appellation gegen-ein Urtheil, das den -Tod oder eine le¬ benslängliche Strafe ausspricht, dem Gericht überreicht werden solle, ohne durch einen Advokaten unterstützt zu werden;, und zwar wird dieser Ver¬ theidiger von Amtswegen nicht nach dem Zufall, oder unter den jüng¬ sten und am wenigsten beschäftigten' gewählt; sondern man folgt der Reihe der Inscriptionen im -Advokaten-Register. Der Artikel 294 ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/557>, abgerufen am 04.07.2024.