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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Brahe. Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater, haben ein Tage¬
buch aufgezeichnet der merkwürdigsten Erscheinungen aus ihrer Zeit, und jeder hat
ein auffallend tragisches Schicksal zu verzeichnen gehabt von einem dieser Halb-
Sture, wie sie Anfangs hießen, dieser Doppel-Sture, wie man sie spater nannte,
und ich selbst habe neben Erich gelebt, der aus Italien heim kam, dessen abenteuer¬
liche Schicksale, dessen gewaltsamer Tod. Ew. Majestät bekannt sind, und den man
für den letzten Doppel-Sture gehalten hat.

e (setzt sich,)
Christin Ich erinnere mich dessen nur undeutlich; -- die Kata¬
strophe trat ja wohl ein,, als mein Vater zum Kriege nach Deutschland abgegan¬
gen war?

Brahe. Ja, Majestät.

Christine. Ihr müßt mir einmal den Roman dieses Mannes ausführlich
erzählen, was ich davon weiß, interessirt mich sehr -- er trat hier plötzlich als
enthusiastischer Agent des Katholizismus auf, gegen den der König, mein Vater,
und die Blüthe des Landes eben in Krieg gezogen war --

Brahe. Und er würde vielleicht als eben so enthusiastischer Agent des Prote¬
stantismus ausgetreten sein, wenn Schweden für den Katholizismus das Schwert
gezogen hätte, wenigstens hatte er just in Rom ein tolles und wildes Leben geführt;
es ist das Schicksal dieser Doppel-Sture, immer das mit Leidenschaft anzugreifen,
was im Augenblick von aller Welt gering geachtet wird.

e (aufstehend und zum Hofstaate sagend l)
! (seht sich wied",,
Christin Gute Nacht
da deo Hofstaat al'acgangm ist,)
Wißt Ihr denn auch, Graf Brahe, daß Ihr mit
Eurer Ansicht über die Doppel-Sture einer Bluttheorie anhängt, die von der Phi¬
losophie immer bekämpft worden ist, und die den Menschen wie eine Thierrace be¬
trachtet? Vom Jagdhunde fällt der Jagdhund,, vom türkischen. Pferde,das türki¬
sche Pferd!

Brahe. Ich weiß es.

Christine, Und Ihr glaubt daran? Ihr glaubt an diese nicht bloß allge¬
meine, sondern ganz persönliche Erbsünde?'

Brahe. Und Erbtugend, Ich habe vor zehn Jahren, Majestät, zwei junge
Burschen zu mir, genommen. Sie warm beide Söhne von Jägersleuten ^aus mei¬
nem Dienste, ich, hatte die Väter dreißig Jahre um mich, gesehn, ich hatte ihre Wei¬
ber, ihr Treiben und Thun, auch wie sie's in ihrem Forstbäuschen, trieben, beob¬
achtet. Der eine war streng,, gewissenhaft, zuverlässig, beschränkt, pedantisch --
der andere war leichtsinnig,, unzuverlässig, aufgeweckt, zu Allem vcrführbar, ein
Taugenichts. Sie starben fast zu gleicher Zeit, von jedem nahm, ich einen Sohn
zu mir, jeder dieser Jungen war erst im fünften Jahre, also im Wesentlichen noch
unberührt vom Erziehungseindruck. Ich ließ sie vollkommen gleichmäßig unterricht


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Brahe. Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater, haben ein Tage¬
buch aufgezeichnet der merkwürdigsten Erscheinungen aus ihrer Zeit, und jeder hat
ein auffallend tragisches Schicksal zu verzeichnen gehabt von einem dieser Halb-
Sture, wie sie Anfangs hießen, dieser Doppel-Sture, wie man sie spater nannte,
und ich selbst habe neben Erich gelebt, der aus Italien heim kam, dessen abenteuer¬
liche Schicksale, dessen gewaltsamer Tod. Ew. Majestät bekannt sind, und den man
für den letzten Doppel-Sture gehalten hat.

e (setzt sich,)
Christin Ich erinnere mich dessen nur undeutlich; — die Kata¬
strophe trat ja wohl ein,, als mein Vater zum Kriege nach Deutschland abgegan¬
gen war?

Brahe. Ja, Majestät.

Christine. Ihr müßt mir einmal den Roman dieses Mannes ausführlich
erzählen, was ich davon weiß, interessirt mich sehr — er trat hier plötzlich als
enthusiastischer Agent des Katholizismus auf, gegen den der König, mein Vater,
und die Blüthe des Landes eben in Krieg gezogen war —

Brahe. Und er würde vielleicht als eben so enthusiastischer Agent des Prote¬
stantismus ausgetreten sein, wenn Schweden für den Katholizismus das Schwert
gezogen hätte, wenigstens hatte er just in Rom ein tolles und wildes Leben geführt;
es ist das Schicksal dieser Doppel-Sture, immer das mit Leidenschaft anzugreifen,
was im Augenblick von aller Welt gering geachtet wird.

e (aufstehend und zum Hofstaate sagend l)
! (seht sich wied«,,
Christin Gute Nacht
da deo Hofstaat al'acgangm ist,)
Wißt Ihr denn auch, Graf Brahe, daß Ihr mit
Eurer Ansicht über die Doppel-Sture einer Bluttheorie anhängt, die von der Phi¬
losophie immer bekämpft worden ist, und die den Menschen wie eine Thierrace be¬
trachtet? Vom Jagdhunde fällt der Jagdhund,, vom türkischen. Pferde,das türki¬
sche Pferd!

Brahe. Ich weiß es.

Christine, Und Ihr glaubt daran? Ihr glaubt an diese nicht bloß allge¬
meine, sondern ganz persönliche Erbsünde?'

Brahe. Und Erbtugend, Ich habe vor zehn Jahren, Majestät, zwei junge
Burschen zu mir, genommen. Sie warm beide Söhne von Jägersleuten ^aus mei¬
nem Dienste, ich, hatte die Väter dreißig Jahre um mich, gesehn, ich hatte ihre Wei¬
ber, ihr Treiben und Thun, auch wie sie's in ihrem Forstbäuschen, trieben, beob¬
achtet. Der eine war streng,, gewissenhaft, zuverlässig, beschränkt, pedantisch —
der andere war leichtsinnig,, unzuverlässig, aufgeweckt, zu Allem vcrführbar, ein
Taugenichts. Sie starben fast zu gleicher Zeit, von jedem nahm, ich einen Sohn
zu mir, jeder dieser Jungen war erst im fünften Jahre, also im Wesentlichen noch
unberührt vom Erziehungseindruck. Ich ließ sie vollkommen gleichmäßig unterricht


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[0053] Brahe. Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater, haben ein Tage¬ buch aufgezeichnet der merkwürdigsten Erscheinungen aus ihrer Zeit, und jeder hat ein auffallend tragisches Schicksal zu verzeichnen gehabt von einem dieser Halb- Sture, wie sie Anfangs hießen, dieser Doppel-Sture, wie man sie spater nannte, und ich selbst habe neben Erich gelebt, der aus Italien heim kam, dessen abenteuer¬ liche Schicksale, dessen gewaltsamer Tod. Ew. Majestät bekannt sind, und den man für den letzten Doppel-Sture gehalten hat. e (setzt sich,) Christin Ich erinnere mich dessen nur undeutlich; — die Kata¬ strophe trat ja wohl ein,, als mein Vater zum Kriege nach Deutschland abgegan¬ gen war? Brahe. Ja, Majestät. Christine. Ihr müßt mir einmal den Roman dieses Mannes ausführlich erzählen, was ich davon weiß, interessirt mich sehr — er trat hier plötzlich als enthusiastischer Agent des Katholizismus auf, gegen den der König, mein Vater, und die Blüthe des Landes eben in Krieg gezogen war — Brahe. Und er würde vielleicht als eben so enthusiastischer Agent des Prote¬ stantismus ausgetreten sein, wenn Schweden für den Katholizismus das Schwert gezogen hätte, wenigstens hatte er just in Rom ein tolles und wildes Leben geführt; es ist das Schicksal dieser Doppel-Sture, immer das mit Leidenschaft anzugreifen, was im Augenblick von aller Welt gering geachtet wird. e (aufstehend und zum Hofstaate sagend l) ! (seht sich wied«,, Christin Gute Nacht da deo Hofstaat al'acgangm ist,) Wißt Ihr denn auch, Graf Brahe, daß Ihr mit Eurer Ansicht über die Doppel-Sture einer Bluttheorie anhängt, die von der Phi¬ losophie immer bekämpft worden ist, und die den Menschen wie eine Thierrace be¬ trachtet? Vom Jagdhunde fällt der Jagdhund,, vom türkischen. Pferde,das türki¬ sche Pferd! Brahe. Ich weiß es. Christine, Und Ihr glaubt daran? Ihr glaubt an diese nicht bloß allge¬ meine, sondern ganz persönliche Erbsünde?' Brahe. Und Erbtugend, Ich habe vor zehn Jahren, Majestät, zwei junge Burschen zu mir, genommen. Sie warm beide Söhne von Jägersleuten ^aus mei¬ nem Dienste, ich, hatte die Väter dreißig Jahre um mich, gesehn, ich hatte ihre Wei¬ ber, ihr Treiben und Thun, auch wie sie's in ihrem Forstbäuschen, trieben, beob¬ achtet. Der eine war streng,, gewissenhaft, zuverlässig, beschränkt, pedantisch — der andere war leichtsinnig,, unzuverlässig, aufgeweckt, zu Allem vcrführbar, ein Taugenichts. Sie starben fast zu gleicher Zeit, von jedem nahm, ich einen Sohn zu mir, jeder dieser Jungen war erst im fünften Jahre, also im Wesentlichen noch unberührt vom Erziehungseindruck. Ich ließ sie vollkommen gleichmäßig unterricht 6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/53>, abgerufen am 02.07.2024.