Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

der jungen Leute, die-sich den sogenannten liberalen Berufsständen wid¬
meten, übertraf die Anzahl der in diesen Carrieren erledigten Stellen.
Eine Schaar von Advokaten ol)ne Processe, von Aerzten ohne Kranke,
von Aspiranten zu Staatsämtern ohne Geschäfte drohete sich anzusam¬
meln. So war man auf dem Pnnkte, Unzufriedene, und folglich die
Elemente zu Unordnungen, im Schooße des Staates zu hegen. Wäh¬
rend dieser Zeit waren die nützlichen Künste vernachlässigt, und die erste
unter den Künsten, die, welche die Reiche stark macht, der Ackerbau,
lag ganz besonders darnieder. Diesem doppelten - Uebel ward auf fol¬
gende Weise abgeholfen. Böhmen zählte damals sechs und zwanzig
Lehranstalten, die unsern Collegien analog waren. Man brachte diesel¬
ben auf achtzehn herab, auch erhöhete man das Schulgeld, so jedoch,
daß es immer noch mäßig blieb. Zu gleicher Zeit errichtete man in
Nakonitz und Reichenberg Industrieschulen, welche mit der polytechnischen
Schule zu Prag in Verbindung stehen, oder doch ihre geschicktesten Zög¬
linge dahin senden können. Auf diese Weise ist das Gleichgewicht wie¬
derhergestellt worden; die Keime der Unzufriedenheit sind verschwunden.
Es hat sich ein Mann für jeden Platz und ein Platz für jeden Mann
gefunden. . - ' , - , ,

, .Nach, unsern westeuropäischen Ideen. würde ein derartiges Verfah¬
ren despotisch gescholten werden. Man wird, aber wohl einräumen müs¬
sen, daß^ es nicht derjenige. Despotismus ist, welchen Montesquieu mit
der Handlungsweise eines Wilden vergleicht, welcher einen Baum um¬
baut, um die Frucht zu bekommen. Im Gegentheil, die neue Einrich¬
tung der böhmischen Schulen hatte keinen andern Zweck, als daß die
auf dem Gipfel des Baumes hängenden Früchte ihre Reife erlangten,
daß sie zu rechter Zeit gepflückt würden, und daß für jeden Mund eine
Frucht vorhanden wäre. , Ich will nicht behaupten, daß die Maßregeln
der österreichischen Negierung bei uns eine strenge Anwendung finden
könnten. Es heißt gewiß nicht liberal gehandelt, von Staatswegen den
Gelehrten-Unterricht zu verkürzen oder zu erweitern. Bei einem Volke,
Wie , die Franzosen, welches die schönen Wissenschaften liebt und zum
Raisonniren, geneigt ist, muß der Zutritt zu den gelehrten und philoso¬
phischen Studien viel leichter sein, als in Oesterreich; aber bei uns nicht
weniger als bei den Oesterreich"" müssen neben, oder nach , dem classi¬
schen Unterrichte noch Lehranstalten bestehen, welche die jungen Leute
zu den Gewerbsfächern vorbereiten.




der jungen Leute, die-sich den sogenannten liberalen Berufsständen wid¬
meten, übertraf die Anzahl der in diesen Carrieren erledigten Stellen.
Eine Schaar von Advokaten ol)ne Processe, von Aerzten ohne Kranke,
von Aspiranten zu Staatsämtern ohne Geschäfte drohete sich anzusam¬
meln. So war man auf dem Pnnkte, Unzufriedene, und folglich die
Elemente zu Unordnungen, im Schooße des Staates zu hegen. Wäh¬
rend dieser Zeit waren die nützlichen Künste vernachlässigt, und die erste
unter den Künsten, die, welche die Reiche stark macht, der Ackerbau,
lag ganz besonders darnieder. Diesem doppelten - Uebel ward auf fol¬
gende Weise abgeholfen. Böhmen zählte damals sechs und zwanzig
Lehranstalten, die unsern Collegien analog waren. Man brachte diesel¬
ben auf achtzehn herab, auch erhöhete man das Schulgeld, so jedoch,
daß es immer noch mäßig blieb. Zu gleicher Zeit errichtete man in
Nakonitz und Reichenberg Industrieschulen, welche mit der polytechnischen
Schule zu Prag in Verbindung stehen, oder doch ihre geschicktesten Zög¬
linge dahin senden können. Auf diese Weise ist das Gleichgewicht wie¬
derhergestellt worden; die Keime der Unzufriedenheit sind verschwunden.
Es hat sich ein Mann für jeden Platz und ein Platz für jeden Mann
gefunden. . - ' , - , ,

, .Nach, unsern westeuropäischen Ideen. würde ein derartiges Verfah¬
ren despotisch gescholten werden. Man wird, aber wohl einräumen müs¬
sen, daß^ es nicht derjenige. Despotismus ist, welchen Montesquieu mit
der Handlungsweise eines Wilden vergleicht, welcher einen Baum um¬
baut, um die Frucht zu bekommen. Im Gegentheil, die neue Einrich¬
tung der böhmischen Schulen hatte keinen andern Zweck, als daß die
auf dem Gipfel des Baumes hängenden Früchte ihre Reife erlangten,
daß sie zu rechter Zeit gepflückt würden, und daß für jeden Mund eine
Frucht vorhanden wäre. , Ich will nicht behaupten, daß die Maßregeln
der österreichischen Negierung bei uns eine strenge Anwendung finden
könnten. Es heißt gewiß nicht liberal gehandelt, von Staatswegen den
Gelehrten-Unterricht zu verkürzen oder zu erweitern. Bei einem Volke,
Wie , die Franzosen, welches die schönen Wissenschaften liebt und zum
Raisonniren, geneigt ist, muß der Zutritt zu den gelehrten und philoso¬
phischen Studien viel leichter sein, als in Oesterreich; aber bei uns nicht
weniger als bei den Oesterreich«» müssen neben, oder nach , dem classi¬
schen Unterrichte noch Lehranstalten bestehen, welche die jungen Leute
zu den Gewerbsfächern vorbereiten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0514" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267727"/>
          <p xml:id="ID_1782" prev="#ID_1781"> der jungen Leute, die-sich den sogenannten liberalen Berufsständen wid¬<lb/>
meten, übertraf die Anzahl der in diesen Carrieren erledigten Stellen.<lb/>
Eine Schaar von Advokaten ol)ne Processe, von Aerzten ohne Kranke,<lb/>
von Aspiranten zu Staatsämtern ohne Geschäfte drohete sich anzusam¬<lb/>
meln. So war man auf dem Pnnkte, Unzufriedene, und folglich die<lb/>
Elemente zu Unordnungen, im Schooße des Staates zu hegen. Wäh¬<lb/>
rend dieser Zeit waren die nützlichen Künste vernachlässigt, und die erste<lb/>
unter den Künsten, die, welche die Reiche stark macht, der Ackerbau,<lb/>
lag ganz besonders darnieder. Diesem doppelten - Uebel ward auf fol¬<lb/>
gende Weise abgeholfen. Böhmen zählte damals sechs und zwanzig<lb/>
Lehranstalten, die unsern Collegien analog waren. Man brachte diesel¬<lb/>
ben auf achtzehn herab, auch erhöhete man das Schulgeld, so jedoch,<lb/>
daß es immer noch mäßig blieb. Zu gleicher Zeit errichtete man in<lb/>
Nakonitz und Reichenberg Industrieschulen, welche mit der polytechnischen<lb/>
Schule zu Prag in Verbindung stehen, oder doch ihre geschicktesten Zög¬<lb/>
linge dahin senden können. Auf diese Weise ist das Gleichgewicht wie¬<lb/>
derhergestellt worden; die Keime der Unzufriedenheit sind verschwunden.<lb/>
Es hat sich ein Mann für jeden Platz und ein Platz für jeden Mann<lb/>
gefunden.  . -  ' , - , ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1783"> , .Nach, unsern westeuropäischen Ideen. würde ein derartiges Verfah¬<lb/>
ren despotisch gescholten werden. Man wird, aber wohl einräumen müs¬<lb/>
sen, daß^ es nicht derjenige. Despotismus ist, welchen Montesquieu mit<lb/>
der Handlungsweise eines Wilden vergleicht, welcher einen Baum um¬<lb/>
baut, um die Frucht zu bekommen. Im Gegentheil, die neue Einrich¬<lb/>
tung der böhmischen Schulen hatte keinen andern Zweck, als daß die<lb/>
auf dem Gipfel des Baumes hängenden Früchte ihre Reife erlangten,<lb/>
daß sie zu rechter Zeit gepflückt würden, und daß für jeden Mund eine<lb/>
Frucht vorhanden wäre. , Ich will nicht behaupten, daß die Maßregeln<lb/>
der österreichischen Negierung bei uns eine strenge Anwendung finden<lb/>
könnten. Es heißt gewiß nicht liberal gehandelt, von Staatswegen den<lb/>
Gelehrten-Unterricht zu verkürzen oder zu erweitern. Bei einem Volke,<lb/>
Wie , die Franzosen, welches die schönen Wissenschaften liebt und zum<lb/>
Raisonniren, geneigt ist, muß der Zutritt zu den gelehrten und philoso¬<lb/>
phischen Studien viel leichter sein, als in Oesterreich; aber bei uns nicht<lb/>
weniger als bei den Oesterreich«» müssen neben, oder nach , dem classi¬<lb/>
schen Unterrichte noch Lehranstalten bestehen, welche die jungen Leute<lb/>
zu den Gewerbsfächern vorbereiten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0514] der jungen Leute, die-sich den sogenannten liberalen Berufsständen wid¬ meten, übertraf die Anzahl der in diesen Carrieren erledigten Stellen. Eine Schaar von Advokaten ol)ne Processe, von Aerzten ohne Kranke, von Aspiranten zu Staatsämtern ohne Geschäfte drohete sich anzusam¬ meln. So war man auf dem Pnnkte, Unzufriedene, und folglich die Elemente zu Unordnungen, im Schooße des Staates zu hegen. Wäh¬ rend dieser Zeit waren die nützlichen Künste vernachlässigt, und die erste unter den Künsten, die, welche die Reiche stark macht, der Ackerbau, lag ganz besonders darnieder. Diesem doppelten - Uebel ward auf fol¬ gende Weise abgeholfen. Böhmen zählte damals sechs und zwanzig Lehranstalten, die unsern Collegien analog waren. Man brachte diesel¬ ben auf achtzehn herab, auch erhöhete man das Schulgeld, so jedoch, daß es immer noch mäßig blieb. Zu gleicher Zeit errichtete man in Nakonitz und Reichenberg Industrieschulen, welche mit der polytechnischen Schule zu Prag in Verbindung stehen, oder doch ihre geschicktesten Zög¬ linge dahin senden können. Auf diese Weise ist das Gleichgewicht wie¬ derhergestellt worden; die Keime der Unzufriedenheit sind verschwunden. Es hat sich ein Mann für jeden Platz und ein Platz für jeden Mann gefunden. . - ' , - , , , .Nach, unsern westeuropäischen Ideen. würde ein derartiges Verfah¬ ren despotisch gescholten werden. Man wird, aber wohl einräumen müs¬ sen, daß^ es nicht derjenige. Despotismus ist, welchen Montesquieu mit der Handlungsweise eines Wilden vergleicht, welcher einen Baum um¬ baut, um die Frucht zu bekommen. Im Gegentheil, die neue Einrich¬ tung der böhmischen Schulen hatte keinen andern Zweck, als daß die auf dem Gipfel des Baumes hängenden Früchte ihre Reife erlangten, daß sie zu rechter Zeit gepflückt würden, und daß für jeden Mund eine Frucht vorhanden wäre. , Ich will nicht behaupten, daß die Maßregeln der österreichischen Negierung bei uns eine strenge Anwendung finden könnten. Es heißt gewiß nicht liberal gehandelt, von Staatswegen den Gelehrten-Unterricht zu verkürzen oder zu erweitern. Bei einem Volke, Wie , die Franzosen, welches die schönen Wissenschaften liebt und zum Raisonniren, geneigt ist, muß der Zutritt zu den gelehrten und philoso¬ phischen Studien viel leichter sein, als in Oesterreich; aber bei uns nicht weniger als bei den Oesterreich«» müssen neben, oder nach , dem classi¬ schen Unterrichte noch Lehranstalten bestehen, welche die jungen Leute zu den Gewerbsfächern vorbereiten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/514
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/514>, abgerufen am 04.07.2024.