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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Sätze erschüttern könnte, zu beschränken und zu zügeln, eben so ist sie
dem Fortschritt der Industrie und der angewandten Wissenschaften zu¬
gethan.

Ich komme jetzt zu.den praktisch-politischen Folgerungen dieser all¬
gemeinen Sätze.

. Ist einmal die Uebermacht der Wissenschaft und Industrie über
den Krieg errungen, so würde dies unwiderstehlich die Abschaffung aller
der Privilegien nach sich ziehen, welche aus der Eroberung herstammen,
oder die in den nothwendigen oder herkömmlichen Bedingnissen des Kriegs¬
systems ihren Grund haben. In, diesem Betracht habe ich schon be¬
merkt, daß die österreichische Negierung einem bedachtsamen Fortschritte
Huldigte. Oesterreich neigt offenbar zur volkstümlichen Monarchie Hin,
das heißt zur Aushebung der Privilegien und zur freimüthigen Anwen¬
dung der Gleichheit vor dem Gesetz. Allein der Fortschritt und die Aus¬
breitung der Wissenschaft und die bewunderungswürdigen Verbesserungen
der Industrie rufen noch andere Folgen hervor. Nicht allein, daß die
Stellung der privilegirten Klassen zu dem Mittelstande sich ändern muß,
sondern auch die Verhältnisse zwischen der Staatsgewalt und der Bevöl¬
kerung müssen sich umgestalten. Oeffentlichkeit undControle müssen in's
Leben treten; die Repräsentativverfassung muß sich bilden. (?!)

Zwischen dem Repräsentativstem und der Parlamentsregierung
findet indessen ein wesentlicher Unterschied statt. Ich muß auf dieser
Unterscheidung zwischen parlamentarisch und repräsentativ bestehen. Eine
verständige Negierung kann unmöglich die repräsentativen Formen, in
der eigentlichen Bedeutung dieses Worts, von sich weisen. Es läßt sich
sogar behaupten, daß ehemals alle geordneten Staatsverfassungen bis zu
einem gewissen Grade repräsentativ gewesen sind, das heißt, sie haben
allen Interessen, die in Betracht gezogen zu werden verdienten, ihre be¬
stimmten Organe zugestanden. Das Wesen der Repräsentativregierung
besteht darin, daß alle Bürger, je nach der Verwandtschaft ihrer In¬
teressen gruppirt sind, und daß jedes Interesse seine eigenthümliche Ver¬
tretung, seine Organe, seine Rechte hat. Jeder.Bürger wirkt demnach
mit, nicht um das Steuerruder des Staats zu lenken, noch die Waage
Europas zu halten oder umzustoßen, sondern nur zur Verwaltung und
Controle der besondern Angelegenheiten des Kreises, in den seinLebcn ein¬
geschlossen ist, und den er nicht zu überschreiten gesonnen ist, obgleich
ihm die Freiheit dazu gelassen wird. Ein Jeder ist alsdann nicht ein
Zchntciusendtel oder ein Milliontel eines Richelieu, zugegeben, daß Tau"


Sätze erschüttern könnte, zu beschränken und zu zügeln, eben so ist sie
dem Fortschritt der Industrie und der angewandten Wissenschaften zu¬
gethan.

Ich komme jetzt zu.den praktisch-politischen Folgerungen dieser all¬
gemeinen Sätze.

. Ist einmal die Uebermacht der Wissenschaft und Industrie über
den Krieg errungen, so würde dies unwiderstehlich die Abschaffung aller
der Privilegien nach sich ziehen, welche aus der Eroberung herstammen,
oder die in den nothwendigen oder herkömmlichen Bedingnissen des Kriegs¬
systems ihren Grund haben. In, diesem Betracht habe ich schon be¬
merkt, daß die österreichische Negierung einem bedachtsamen Fortschritte
Huldigte. Oesterreich neigt offenbar zur volkstümlichen Monarchie Hin,
das heißt zur Aushebung der Privilegien und zur freimüthigen Anwen¬
dung der Gleichheit vor dem Gesetz. Allein der Fortschritt und die Aus¬
breitung der Wissenschaft und die bewunderungswürdigen Verbesserungen
der Industrie rufen noch andere Folgen hervor. Nicht allein, daß die
Stellung der privilegirten Klassen zu dem Mittelstande sich ändern muß,
sondern auch die Verhältnisse zwischen der Staatsgewalt und der Bevöl¬
kerung müssen sich umgestalten. Oeffentlichkeit undControle müssen in's
Leben treten; die Repräsentativverfassung muß sich bilden. (?!)

Zwischen dem Repräsentativstem und der Parlamentsregierung
findet indessen ein wesentlicher Unterschied statt. Ich muß auf dieser
Unterscheidung zwischen parlamentarisch und repräsentativ bestehen. Eine
verständige Negierung kann unmöglich die repräsentativen Formen, in
der eigentlichen Bedeutung dieses Worts, von sich weisen. Es läßt sich
sogar behaupten, daß ehemals alle geordneten Staatsverfassungen bis zu
einem gewissen Grade repräsentativ gewesen sind, das heißt, sie haben
allen Interessen, die in Betracht gezogen zu werden verdienten, ihre be¬
stimmten Organe zugestanden. Das Wesen der Repräsentativregierung
besteht darin, daß alle Bürger, je nach der Verwandtschaft ihrer In¬
teressen gruppirt sind, und daß jedes Interesse seine eigenthümliche Ver¬
tretung, seine Organe, seine Rechte hat. Jeder.Bürger wirkt demnach
mit, nicht um das Steuerruder des Staats zu lenken, noch die Waage
Europas zu halten oder umzustoßen, sondern nur zur Verwaltung und
Controle der besondern Angelegenheiten des Kreises, in den seinLebcn ein¬
geschlossen ist, und den er nicht zu überschreiten gesonnen ist, obgleich
ihm die Freiheit dazu gelassen wird. Ein Jeder ist alsdann nicht ein
Zchntciusendtel oder ein Milliontel eines Richelieu, zugegeben, daß Tau«


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[0510] Sätze erschüttern könnte, zu beschränken und zu zügeln, eben so ist sie dem Fortschritt der Industrie und der angewandten Wissenschaften zu¬ gethan. Ich komme jetzt zu.den praktisch-politischen Folgerungen dieser all¬ gemeinen Sätze. . Ist einmal die Uebermacht der Wissenschaft und Industrie über den Krieg errungen, so würde dies unwiderstehlich die Abschaffung aller der Privilegien nach sich ziehen, welche aus der Eroberung herstammen, oder die in den nothwendigen oder herkömmlichen Bedingnissen des Kriegs¬ systems ihren Grund haben. In, diesem Betracht habe ich schon be¬ merkt, daß die österreichische Negierung einem bedachtsamen Fortschritte Huldigte. Oesterreich neigt offenbar zur volkstümlichen Monarchie Hin, das heißt zur Aushebung der Privilegien und zur freimüthigen Anwen¬ dung der Gleichheit vor dem Gesetz. Allein der Fortschritt und die Aus¬ breitung der Wissenschaft und die bewunderungswürdigen Verbesserungen der Industrie rufen noch andere Folgen hervor. Nicht allein, daß die Stellung der privilegirten Klassen zu dem Mittelstande sich ändern muß, sondern auch die Verhältnisse zwischen der Staatsgewalt und der Bevöl¬ kerung müssen sich umgestalten. Oeffentlichkeit undControle müssen in's Leben treten; die Repräsentativverfassung muß sich bilden. (?!) Zwischen dem Repräsentativstem und der Parlamentsregierung findet indessen ein wesentlicher Unterschied statt. Ich muß auf dieser Unterscheidung zwischen parlamentarisch und repräsentativ bestehen. Eine verständige Negierung kann unmöglich die repräsentativen Formen, in der eigentlichen Bedeutung dieses Worts, von sich weisen. Es läßt sich sogar behaupten, daß ehemals alle geordneten Staatsverfassungen bis zu einem gewissen Grade repräsentativ gewesen sind, das heißt, sie haben allen Interessen, die in Betracht gezogen zu werden verdienten, ihre be¬ stimmten Organe zugestanden. Das Wesen der Repräsentativregierung besteht darin, daß alle Bürger, je nach der Verwandtschaft ihrer In¬ teressen gruppirt sind, und daß jedes Interesse seine eigenthümliche Ver¬ tretung, seine Organe, seine Rechte hat. Jeder.Bürger wirkt demnach mit, nicht um das Steuerruder des Staats zu lenken, noch die Waage Europas zu halten oder umzustoßen, sondern nur zur Verwaltung und Controle der besondern Angelegenheiten des Kreises, in den seinLebcn ein¬ geschlossen ist, und den er nicht zu überschreiten gesonnen ist, obgleich ihm die Freiheit dazu gelassen wird. Ein Jeder ist alsdann nicht ein Zchntciusendtel oder ein Milliontel eines Richelieu, zugegeben, daß Tau«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/510>, abgerufen am 23.07.2024.