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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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' ,'es es mir einfallen ließe, eine Geographie zu schreiben unter der Herr¬
schaft des Andruckes, den ich bei meiner Ankunft empfunden, so würde
ich diesem Lande das Epitheton des friedlichen geben. Diese Ruhe des
Lebens, deren Stempel man hier auf allen Gesichtern findet, und von
der man sich selbst-bald durchdrungen fühlt, ist für einen Franzosen et¬
was so Neues und so Gutes! Wenn..man eine böhmische Physiogno¬
mie mit der unsrigen vergleicht, ich, spreche'nur von der männlichen, so
geräth man in die Versuchung zu glauben, daß der Franzose den Tag
vorher einen Nervenkrampf überstanden, oder von den ersten Anfängen
des Uebels .eben ergriffen worden ist. Ich dachte sofort: hier, muß
man bessere Nächte zubringen, als in Frankreich. Aber nein! Es sind
bessere Tage.

Böhmen ist ein friedliches Land. In dieser ruhigen Atmosphäre
erweitert sich die, Lunge, und das Blut fließt ruhiger. Es ist aber nicht
jene platte Ruhe, die ein Bild des Todes ist, sondern eine geordnete
Thätigkeit, die nicht ruckweise vor sich geht, die daher in ihrem En¬
semble nicht ohne, Größe ist; denn eine jede bedeutende Masse,, die sich
mit Regelmäßigkeit entwickelt, besitzt sogar einen Charakter von Maje¬
stät. . Für.die einzelnen Individuen ist es ein bescheiden glückliches Le¬
ben,,in welchem, so viel dies der menschlichen Natur gegeben ist, zwi¬
schen den Genügen und den Wünschen Gleichgewicht vorhanden ist.. Es
ist weder die Ruhe des Kerkers, noch die des Klosters; es ist die stäti-
ge, sorglose Bewegung eines Menschen, der ein Ziel vor sich sieht, und
darauf losschreitet, ohne daß der Boden unter seinenFüßen zittert, ohne
daß über seinem Haupte ein Sturm grollt.

Böhmen ist auch ein reiches Land, sein Boden ist fruchtbar. Gleich
Frankreich ist es eine der Gegenden, die glücklicher Weise in einer mitt¬
leren Breite gelegen sind, die fast Alles hervorbringen, was die Be¬
dürfnisse des Menschen verlangen, weil sie zugleich dem Norden und
dem Süden angehören. Man keltert daselbst , einen Wein, der nicht un-
berühmt ist, obgleich das Melniker Gewächs nicht geeignet ist, unsre
ftanzösischen Weine vergessen zu lassen. Dank der Runkelrübe, bringt
Böhmen seinen Zucker hervor, so gut wie die Antillen. Die Einge¬
weide der Erde enthalten unvergleichliche Reichthümer. Böhmen lehnt
sich an das Erzgebirge, das ja von seinem Inhalte seinen Namen hat.
Mitten in diesem Erzgebirge liegt das classische Freiberg, zu dem jeder
Bergbau-Ingenieur eine Pilgerfahrt unternehmen muß, wie sonst jeder
spanische Student in Salcnnanea gewesen sein mußte. Man findet da-


' ,'es es mir einfallen ließe, eine Geographie zu schreiben unter der Herr¬
schaft des Andruckes, den ich bei meiner Ankunft empfunden, so würde
ich diesem Lande das Epitheton des friedlichen geben. Diese Ruhe des
Lebens, deren Stempel man hier auf allen Gesichtern findet, und von
der man sich selbst-bald durchdrungen fühlt, ist für einen Franzosen et¬
was so Neues und so Gutes! Wenn..man eine böhmische Physiogno¬
mie mit der unsrigen vergleicht, ich, spreche'nur von der männlichen, so
geräth man in die Versuchung zu glauben, daß der Franzose den Tag
vorher einen Nervenkrampf überstanden, oder von den ersten Anfängen
des Uebels .eben ergriffen worden ist. Ich dachte sofort: hier, muß
man bessere Nächte zubringen, als in Frankreich. Aber nein! Es sind
bessere Tage.

Böhmen ist ein friedliches Land. In dieser ruhigen Atmosphäre
erweitert sich die, Lunge, und das Blut fließt ruhiger. Es ist aber nicht
jene platte Ruhe, die ein Bild des Todes ist, sondern eine geordnete
Thätigkeit, die nicht ruckweise vor sich geht, die daher in ihrem En¬
semble nicht ohne, Größe ist; denn eine jede bedeutende Masse,, die sich
mit Regelmäßigkeit entwickelt, besitzt sogar einen Charakter von Maje¬
stät. . Für.die einzelnen Individuen ist es ein bescheiden glückliches Le¬
ben,,in welchem, so viel dies der menschlichen Natur gegeben ist, zwi¬
schen den Genügen und den Wünschen Gleichgewicht vorhanden ist.. Es
ist weder die Ruhe des Kerkers, noch die des Klosters; es ist die stäti-
ge, sorglose Bewegung eines Menschen, der ein Ziel vor sich sieht, und
darauf losschreitet, ohne daß der Boden unter seinenFüßen zittert, ohne
daß über seinem Haupte ein Sturm grollt.

Böhmen ist auch ein reiches Land, sein Boden ist fruchtbar. Gleich
Frankreich ist es eine der Gegenden, die glücklicher Weise in einer mitt¬
leren Breite gelegen sind, die fast Alles hervorbringen, was die Be¬
dürfnisse des Menschen verlangen, weil sie zugleich dem Norden und
dem Süden angehören. Man keltert daselbst , einen Wein, der nicht un-
berühmt ist, obgleich das Melniker Gewächs nicht geeignet ist, unsre
ftanzösischen Weine vergessen zu lassen. Dank der Runkelrübe, bringt
Böhmen seinen Zucker hervor, so gut wie die Antillen. Die Einge¬
weide der Erde enthalten unvergleichliche Reichthümer. Böhmen lehnt
sich an das Erzgebirge, das ja von seinem Inhalte seinen Namen hat.
Mitten in diesem Erzgebirge liegt das classische Freiberg, zu dem jeder
Bergbau-Ingenieur eine Pilgerfahrt unternehmen muß, wie sonst jeder
spanische Student in Salcnnanea gewesen sein mußte. Man findet da-


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[0500] ' ,'es es mir einfallen ließe, eine Geographie zu schreiben unter der Herr¬ schaft des Andruckes, den ich bei meiner Ankunft empfunden, so würde ich diesem Lande das Epitheton des friedlichen geben. Diese Ruhe des Lebens, deren Stempel man hier auf allen Gesichtern findet, und von der man sich selbst-bald durchdrungen fühlt, ist für einen Franzosen et¬ was so Neues und so Gutes! Wenn..man eine böhmische Physiogno¬ mie mit der unsrigen vergleicht, ich, spreche'nur von der männlichen, so geräth man in die Versuchung zu glauben, daß der Franzose den Tag vorher einen Nervenkrampf überstanden, oder von den ersten Anfängen des Uebels .eben ergriffen worden ist. Ich dachte sofort: hier, muß man bessere Nächte zubringen, als in Frankreich. Aber nein! Es sind bessere Tage. Böhmen ist ein friedliches Land. In dieser ruhigen Atmosphäre erweitert sich die, Lunge, und das Blut fließt ruhiger. Es ist aber nicht jene platte Ruhe, die ein Bild des Todes ist, sondern eine geordnete Thätigkeit, die nicht ruckweise vor sich geht, die daher in ihrem En¬ semble nicht ohne, Größe ist; denn eine jede bedeutende Masse,, die sich mit Regelmäßigkeit entwickelt, besitzt sogar einen Charakter von Maje¬ stät. . Für.die einzelnen Individuen ist es ein bescheiden glückliches Le¬ ben,,in welchem, so viel dies der menschlichen Natur gegeben ist, zwi¬ schen den Genügen und den Wünschen Gleichgewicht vorhanden ist.. Es ist weder die Ruhe des Kerkers, noch die des Klosters; es ist die stäti- ge, sorglose Bewegung eines Menschen, der ein Ziel vor sich sieht, und darauf losschreitet, ohne daß der Boden unter seinenFüßen zittert, ohne daß über seinem Haupte ein Sturm grollt. Böhmen ist auch ein reiches Land, sein Boden ist fruchtbar. Gleich Frankreich ist es eine der Gegenden, die glücklicher Weise in einer mitt¬ leren Breite gelegen sind, die fast Alles hervorbringen, was die Be¬ dürfnisse des Menschen verlangen, weil sie zugleich dem Norden und dem Süden angehören. Man keltert daselbst , einen Wein, der nicht un- berühmt ist, obgleich das Melniker Gewächs nicht geeignet ist, unsre ftanzösischen Weine vergessen zu lassen. Dank der Runkelrübe, bringt Böhmen seinen Zucker hervor, so gut wie die Antillen. Die Einge¬ weide der Erde enthalten unvergleichliche Reichthümer. Böhmen lehnt sich an das Erzgebirge, das ja von seinem Inhalte seinen Namen hat. Mitten in diesem Erzgebirge liegt das classische Freiberg, zu dem jeder Bergbau-Ingenieur eine Pilgerfahrt unternehmen muß, wie sonst jeder spanische Student in Salcnnanea gewesen sein mußte. Man findet da-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/500>, abgerufen am 22.12.2024.