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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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einen gewissen Werth haben. Die vier andern mit dem dritten Preis
belohnten, müssen der Ordnung gemäß bereits zu den ausgezeichnetem
gehören. Welche Ansprüche machte man nun für den zweiten Preis?
Wir begreifen sehr wohl, daß man den ersten Preis einstieß. Die
Preisrichter gingen von dem Gedanken eines Orginal-Schauspiels aus,
welches die Eigenthümlichkeiten eines deutschen National-Charakters in
sich vereine, und sich seinein innersten Wesen nach von dem Lustspiele an¬
derer Nationen unterscheide; so wie sich das spanische Lustspiel von dem
englischen, und die italienische Comödie von der französischen unterschied;
der erste Preis war somit einem deutschen Lustspiele bestimmt. Der
zweite einem Lustspiele überhaupt, wenn es anders gut, darstellbar und
den Anforderungen der, Scene und der Kritik entsprach. Aber welcher
Keitik? Die Preisrichter haben sieben darstellbare Stücke gefunden, dar¬
unter vier, denen sie eine Auszeichnung nicht versagen konnten! Sollte
die Kritik nicht allzu strenge hier gewesen sein? Sobald man von der
Idee einer deutschen Original-Dichtung absieht, so müssen wir das Zu-
geständniß machen, daß die Franzosen das gesellschaftliche Leben, wie es
heute besteht, am glücklichsten für die conische Muse auszubeuten ver¬
stehen, und daß wir hier uns gute Muster holen können. Denn wie
hoch'wir-auch die conischen Poesien der Spanier und Italiener schätzen
müssen, so können sie uns doch keinesfalls als Maßstab dienen,^ da die
deutsche Bühne - weder den Grazioso noch dem Arlequin als stehende
Figur besitzt. Seit Gottsched den Hanswurst auf dem leipziger Markte
verbrannt hat, ist das deutsche Lustspiel verurtheilt worden, Hand in Hand
mit socialen Erscheinungen zu gehen. In früherer Zeit, wo jede Na¬
tion ihre eigenchümlichcn Sitten und gesellschaftlichen- Gebräuche hatte, da
konnte das Lustspiel als Spiegel der nationalen Gewohnheiten bei
jeder Nation einen eigenthümlichen Stempel tragen. Seitdem aber - die
Gesellschaften sich amalgamirt haben, und die französische Sitte die all¬
gemeine sür ganz Europa wurde, ist auch das französische Lustspiel das
allgemein europäische geworden, und wir, sehen nicht nur die Ueber-
setzungen Scribe'6 an den deutschen Bühnen, wo sie mit keinen natio¬
nalen Nebenbuhlern zu kämpfen haben, dominiren, sondern auch an
den italienischen, spanischen und englischen Bühnen, das nationale Lust--
spiel, wie es seit älterer Zeit bestand, verdrängen. '

Dem französischen^Lustspieldichter kömmt vor ,Allein die Freiheit zu
Statten, nicht nur die politische, welche ihm erlaubt, seine ironischen Fi¬
guren unter allen Klassen der Gesellschaft zu suchen, sondern/auch jene


einen gewissen Werth haben. Die vier andern mit dem dritten Preis
belohnten, müssen der Ordnung gemäß bereits zu den ausgezeichnetem
gehören. Welche Ansprüche machte man nun für den zweiten Preis?
Wir begreifen sehr wohl, daß man den ersten Preis einstieß. Die
Preisrichter gingen von dem Gedanken eines Orginal-Schauspiels aus,
welches die Eigenthümlichkeiten eines deutschen National-Charakters in
sich vereine, und sich seinein innersten Wesen nach von dem Lustspiele an¬
derer Nationen unterscheide; so wie sich das spanische Lustspiel von dem
englischen, und die italienische Comödie von der französischen unterschied;
der erste Preis war somit einem deutschen Lustspiele bestimmt. Der
zweite einem Lustspiele überhaupt, wenn es anders gut, darstellbar und
den Anforderungen der, Scene und der Kritik entsprach. Aber welcher
Keitik? Die Preisrichter haben sieben darstellbare Stücke gefunden, dar¬
unter vier, denen sie eine Auszeichnung nicht versagen konnten! Sollte
die Kritik nicht allzu strenge hier gewesen sein? Sobald man von der
Idee einer deutschen Original-Dichtung absieht, so müssen wir das Zu-
geständniß machen, daß die Franzosen das gesellschaftliche Leben, wie es
heute besteht, am glücklichsten für die conische Muse auszubeuten ver¬
stehen, und daß wir hier uns gute Muster holen können. Denn wie
hoch'wir-auch die conischen Poesien der Spanier und Italiener schätzen
müssen, so können sie uns doch keinesfalls als Maßstab dienen,^ da die
deutsche Bühne - weder den Grazioso noch dem Arlequin als stehende
Figur besitzt. Seit Gottsched den Hanswurst auf dem leipziger Markte
verbrannt hat, ist das deutsche Lustspiel verurtheilt worden, Hand in Hand
mit socialen Erscheinungen zu gehen. In früherer Zeit, wo jede Na¬
tion ihre eigenchümlichcn Sitten und gesellschaftlichen- Gebräuche hatte, da
konnte das Lustspiel als Spiegel der nationalen Gewohnheiten bei
jeder Nation einen eigenthümlichen Stempel tragen. Seitdem aber - die
Gesellschaften sich amalgamirt haben, und die französische Sitte die all¬
gemeine sür ganz Europa wurde, ist auch das französische Lustspiel das
allgemein europäische geworden, und wir, sehen nicht nur die Ueber-
setzungen Scribe'6 an den deutschen Bühnen, wo sie mit keinen natio¬
nalen Nebenbuhlern zu kämpfen haben, dominiren, sondern auch an
den italienischen, spanischen und englischen Bühnen, das nationale Lust--
spiel, wie es seit älterer Zeit bestand, verdrängen. '

Dem französischen^Lustspieldichter kömmt vor ,Allein die Freiheit zu
Statten, nicht nur die politische, welche ihm erlaubt, seine ironischen Fi¬
guren unter allen Klassen der Gesellschaft zu suchen, sondern/auch jene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/478>, abgerufen am 30.06.2024.