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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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zeiwidrigen Bärten, die unsern kindlichen Bärten lehrten, wie man bei Magistrats-
actuaren und andern hohen Personen die Fenster einwirft. Selbst die hiesige po¬
litische Presse ist bei aller Freiheit in der Besprechung innerer und mancher aus¬
wärtigen Angelegenheiten (z.B. von Frankreich, England, Spanien)fehr gemäßigt.*)
Von den religiösen Epidemieen unserer Periode ist Leipzig fast so wenig heimge¬
sucht, wie von der Cholera-Morbus. Mit Bestimmtheit habe ich nur zwei Perso¬
nen hier als Pietisten von Profession bezeichnen hören. Der berliner Streit über'
die Sabbathfeier wird wie ein Lustspielstöff besprochen. Was man aus anders
Winkeln Deutschlands vonMuckerthum und Mysticismus hört, klingt den Leipzigern
wie monströseFabel, WennSchelling hier Vorlesungen hielte, so würde,er nach ein
Paar Monaten vor leeren Wänden predigen. Allgemein heißt es, sein jetziges Ge¬
nie bestehe blos in der Kühnheit, die Geschichte seiner Bekehrung Philosophie, und,
zwar xbi1o80xbia secum,<l", zu taufen. Eine seiner Vorlesungen, die ein durchrei¬
sender Literat in Berlin nachgeschrieben und hier (in der Zeitung für die elegante
Welt) zum Besten gegeben hat, zeigt freilich, daß der große Offenbarungsmann die,
Logik verschmäht. Sie dürfen aber nicht übersehen, daß andrerseits auch die gro¬
ßen christlichen Reformationsversuche, oder, wenn Sie eS lieber nennen wollen, die
theologisch-philosophischen Kämpfe unsrer Zeit in Leipzig wenig oder gar keine Theil¬
nahme finden. Man ist gut protestantisch, ohne sich viel dabei zu denken; manwill
weder den Himmel noch die Hölle stürmen, ES ist nicht der humane Kosmopoli-
tismus, der uns über die NeligionSstreitigkeitcn hinweghebt; denn alle Aufklärung
würde die leipziger Bürgerschaft nicht hindern, einer Emancipation der sächsischen
Juden sich aus commerciellen Rücksichten anf'S Aeußerste zu widersetzen. Es ist der
Indifferentismus, den die Herrschaft der materiellen Interessen im ersten Stadium'
überall hervorbringt. Der Teufel scheut Anfangs den Dampf und die Eisenbahnen, -
wie das Kreuz und den Weihrauch. , Aber der Teufel steckt auch hinter dem Kreuz;
und im letzten Stadium, wenn sie allein herrschend geworden sind, führen die ma¬
teriellen Interessen zu krankhaften Reactionen des unbefriedigten Gemüths. Ich
Weiß nicht, ob für Leipzig diefes Stündlein jemals schlagen wird. Der industrielle



Die Aeußerung deS Herrn Thiers, daß keine Macht die gemäßigte Presse, welche
stets die wirksamste sei, verfolgen oder unterdrücken könne, hat hiev bei Vielen
seinen Anklang gefunden. Allerdings ist eine gemäßigte, aber nur eine aus
freier, vernünftiger Einsicht sich selbst mäßigende, nicht eine ,-gedämpfte-- Presse die
wirksamste. Ohne Prelzfrcihcit keine gemäßigte Presse! DaS Wort des Herrn
Thiers paßt darum sehr gut auf die englische, so ziemlich auf die französische, aber
Anm, d> Eins, gar nicht ans die deutsche Presse.
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zeiwidrigen Bärten, die unsern kindlichen Bärten lehrten, wie man bei Magistrats-
actuaren und andern hohen Personen die Fenster einwirft. Selbst die hiesige po¬
litische Presse ist bei aller Freiheit in der Besprechung innerer und mancher aus¬
wärtigen Angelegenheiten (z.B. von Frankreich, England, Spanien)fehr gemäßigt.*)
Von den religiösen Epidemieen unserer Periode ist Leipzig fast so wenig heimge¬
sucht, wie von der Cholera-Morbus. Mit Bestimmtheit habe ich nur zwei Perso¬
nen hier als Pietisten von Profession bezeichnen hören. Der berliner Streit über'
die Sabbathfeier wird wie ein Lustspielstöff besprochen. Was man aus anders
Winkeln Deutschlands vonMuckerthum und Mysticismus hört, klingt den Leipzigern
wie monströseFabel, WennSchelling hier Vorlesungen hielte, so würde,er nach ein
Paar Monaten vor leeren Wänden predigen. Allgemein heißt es, sein jetziges Ge¬
nie bestehe blos in der Kühnheit, die Geschichte seiner Bekehrung Philosophie, und,
zwar xbi1o80xbia secum,<l», zu taufen. Eine seiner Vorlesungen, die ein durchrei¬
sender Literat in Berlin nachgeschrieben und hier (in der Zeitung für die elegante
Welt) zum Besten gegeben hat, zeigt freilich, daß der große Offenbarungsmann die,
Logik verschmäht. Sie dürfen aber nicht übersehen, daß andrerseits auch die gro¬
ßen christlichen Reformationsversuche, oder, wenn Sie eS lieber nennen wollen, die
theologisch-philosophischen Kämpfe unsrer Zeit in Leipzig wenig oder gar keine Theil¬
nahme finden. Man ist gut protestantisch, ohne sich viel dabei zu denken; manwill
weder den Himmel noch die Hölle stürmen, ES ist nicht der humane Kosmopoli-
tismus, der uns über die NeligionSstreitigkeitcn hinweghebt; denn alle Aufklärung
würde die leipziger Bürgerschaft nicht hindern, einer Emancipation der sächsischen
Juden sich aus commerciellen Rücksichten anf'S Aeußerste zu widersetzen. Es ist der
Indifferentismus, den die Herrschaft der materiellen Interessen im ersten Stadium'
überall hervorbringt. Der Teufel scheut Anfangs den Dampf und die Eisenbahnen, -
wie das Kreuz und den Weihrauch. , Aber der Teufel steckt auch hinter dem Kreuz;
und im letzten Stadium, wenn sie allein herrschend geworden sind, führen die ma¬
teriellen Interessen zu krankhaften Reactionen des unbefriedigten Gemüths. Ich
Weiß nicht, ob für Leipzig diefes Stündlein jemals schlagen wird. Der industrielle



Die Aeußerung deS Herrn Thiers, daß keine Macht die gemäßigte Presse, welche
stets die wirksamste sei, verfolgen oder unterdrücken könne, hat hiev bei Vielen
seinen Anklang gefunden. Allerdings ist eine gemäßigte, aber nur eine aus
freier, vernünftiger Einsicht sich selbst mäßigende, nicht eine ,-gedämpfte-- Presse die
wirksamste. Ohne Prelzfrcihcit keine gemäßigte Presse! DaS Wort des Herrn
Thiers paßt darum sehr gut auf die englische, so ziemlich auf die französische, aber
Anm, d> Eins, gar nicht ans die deutsche Presse.
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[0451] zeiwidrigen Bärten, die unsern kindlichen Bärten lehrten, wie man bei Magistrats- actuaren und andern hohen Personen die Fenster einwirft. Selbst die hiesige po¬ litische Presse ist bei aller Freiheit in der Besprechung innerer und mancher aus¬ wärtigen Angelegenheiten (z.B. von Frankreich, England, Spanien)fehr gemäßigt.*) Von den religiösen Epidemieen unserer Periode ist Leipzig fast so wenig heimge¬ sucht, wie von der Cholera-Morbus. Mit Bestimmtheit habe ich nur zwei Perso¬ nen hier als Pietisten von Profession bezeichnen hören. Der berliner Streit über' die Sabbathfeier wird wie ein Lustspielstöff besprochen. Was man aus anders Winkeln Deutschlands vonMuckerthum und Mysticismus hört, klingt den Leipzigern wie monströseFabel, WennSchelling hier Vorlesungen hielte, so würde,er nach ein Paar Monaten vor leeren Wänden predigen. Allgemein heißt es, sein jetziges Ge¬ nie bestehe blos in der Kühnheit, die Geschichte seiner Bekehrung Philosophie, und, zwar xbi1o80xbia secum,<l», zu taufen. Eine seiner Vorlesungen, die ein durchrei¬ sender Literat in Berlin nachgeschrieben und hier (in der Zeitung für die elegante Welt) zum Besten gegeben hat, zeigt freilich, daß der große Offenbarungsmann die, Logik verschmäht. Sie dürfen aber nicht übersehen, daß andrerseits auch die gro¬ ßen christlichen Reformationsversuche, oder, wenn Sie eS lieber nennen wollen, die theologisch-philosophischen Kämpfe unsrer Zeit in Leipzig wenig oder gar keine Theil¬ nahme finden. Man ist gut protestantisch, ohne sich viel dabei zu denken; manwill weder den Himmel noch die Hölle stürmen, ES ist nicht der humane Kosmopoli- tismus, der uns über die NeligionSstreitigkeitcn hinweghebt; denn alle Aufklärung würde die leipziger Bürgerschaft nicht hindern, einer Emancipation der sächsischen Juden sich aus commerciellen Rücksichten anf'S Aeußerste zu widersetzen. Es ist der Indifferentismus, den die Herrschaft der materiellen Interessen im ersten Stadium' überall hervorbringt. Der Teufel scheut Anfangs den Dampf und die Eisenbahnen, - wie das Kreuz und den Weihrauch. , Aber der Teufel steckt auch hinter dem Kreuz; und im letzten Stadium, wenn sie allein herrschend geworden sind, führen die ma¬ teriellen Interessen zu krankhaften Reactionen des unbefriedigten Gemüths. Ich Weiß nicht, ob für Leipzig diefes Stündlein jemals schlagen wird. Der industrielle Die Aeußerung deS Herrn Thiers, daß keine Macht die gemäßigte Presse, welche stets die wirksamste sei, verfolgen oder unterdrücken könne, hat hiev bei Vielen seinen Anklang gefunden. Allerdings ist eine gemäßigte, aber nur eine aus freier, vernünftiger Einsicht sich selbst mäßigende, nicht eine ,-gedämpfte-- Presse die wirksamste. Ohne Prelzfrcihcit keine gemäßigte Presse! DaS Wort des Herrn Thiers paßt darum sehr gut auf die englische, so ziemlich auf die französische, aber Anm, d> Eins, gar nicht ans die deutsche Presse. 60»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/451>, abgerufen am 25.08.2024.