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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Epochen der Aufregung, wenn in der Luft die Vorzeichen gewichtiger
Ereignisse zu lesen sind. Man kann also leicht einsehen, daß die "No-
maden" fast in keiner Epoche der Weltgeschichte.gefehlt,, daß es aber
heutzutage von ihnen wimmelt. -- Der griechische, Weltweise, der nach
einem Schiffbruche sagte: ompia pich. i^eenen porto ist . der Typus-
dieses Charakters. Auch Diogenes seine Eitelkeit.abgerechnet ^- ge¬
hört ihm in mehr als einer Beziehung an. In neuester Zeit war Na¬
poleon der herrlichste Repräsentant der //Nomaden//,; er Dhrte sein gan¬
zes Leben lang, selbst in den.Tuilerien und auf Se. Helena ein No¬
madenleben. Die Minister in unsren Tagen sind, ebenfalls nur Noma-
nmden; und ebenso auch die'von ihnen .abhängigen Nomaden auf den-
untern Sprossen der politischen Stufenleiter Sie alle haben keinen fe¬
sten Wohnsitz, sondern immer nur ein Feldlager irrt.

Seit 1830 ist der ganze konstitutionelle. Theil der. Welt unter dir
Herrschaft des Provisoriums gerathen,-das yo.es immer fortdauert, Wenn
er auch zuweilen-sich vergißt,, und auf seinem .wankenden Throne ein¬
schläft, gleich einem Reifenden der in einer deutschen Postkutsche dahin-
schleichend träumt, so wird er gleich diesem durch eine plötzliche, von.
Zeit zu Zeit sich wiederholende Erschütterung erweckt und bemerkt, daß-
" noch nicht ein's Ziel gekommen ist. Die Individualisirung dieses Zu¬
standes hat die //Nomaden//, geschaffen. -- Das Provisorische ist das-
Zelt, das -ihm Obdach leiht; das Provisorische ist der Schlüssel zu sei¬
nem cCharacter, seinen Sitten,, seinen Gedanken. -

Wie ich schon sagte, mein Nachbar, .der so eben in seinem Sessel
eingeschlummert ist, ist ein Nomade, .und zwar ein .trefffiches..Exe,mplar^
dieser Gattung. Darum eben belagert und .stört er mich zu jeder Stunde;
darum bemächtigt er sich nMes' Sessels, raucht meine Cigarren, stöbert,
in meiner Bibliothek herum. Für ihn ist der Comfort einer häuslichen
Einrichtung, die Behaglichkeit eines cKe-: sol, wie der Franzose sagt,
eine ganz unnütze Erfindung. Er ist unverheiratet, obgleich schon 40
Jahre alt, und lebt in den Tag hinein. Die Stellung, die er in der
Welt einnimmt, würde jedem Andern erlauben, sich darin ganz behag¬
lich festzusetzen; aber in seinen Augen ist Nichts beständig -- daher ist
auch er selbst nie beständig, sondern immer und überall nomadisirend.

Während der Kaiserzeit sollte er in einem Gymnasium sich zu den
Studien vorbereiten, aber er behauptete, Latein und Griechisch seien.für-
einen zukünftigen Soldaten unnütz, und es tauge ihm besser, wenn er-
Fcchtstunden nähme, und mit den Waffen umgehen lernte. Er machte-


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Epochen der Aufregung, wenn in der Luft die Vorzeichen gewichtiger
Ereignisse zu lesen sind. Man kann also leicht einsehen, daß die "No-
maden" fast in keiner Epoche der Weltgeschichte.gefehlt,, daß es aber
heutzutage von ihnen wimmelt. — Der griechische, Weltweise, der nach
einem Schiffbruche sagte: ompia pich. i^eenen porto ist . der Typus-
dieses Charakters. Auch Diogenes seine Eitelkeit.abgerechnet ^- ge¬
hört ihm in mehr als einer Beziehung an. In neuester Zeit war Na¬
poleon der herrlichste Repräsentant der //Nomaden//,; er Dhrte sein gan¬
zes Leben lang, selbst in den.Tuilerien und auf Se. Helena ein No¬
madenleben. Die Minister in unsren Tagen sind, ebenfalls nur Noma-
nmden; und ebenso auch die'von ihnen .abhängigen Nomaden auf den-
untern Sprossen der politischen Stufenleiter Sie alle haben keinen fe¬
sten Wohnsitz, sondern immer nur ein Feldlager irrt.

Seit 1830 ist der ganze konstitutionelle. Theil der. Welt unter dir
Herrschaft des Provisoriums gerathen,-das yo.es immer fortdauert, Wenn
er auch zuweilen-sich vergißt,, und auf seinem .wankenden Throne ein¬
schläft, gleich einem Reifenden der in einer deutschen Postkutsche dahin-
schleichend träumt, so wird er gleich diesem durch eine plötzliche, von.
Zeit zu Zeit sich wiederholende Erschütterung erweckt und bemerkt, daß-
« noch nicht ein's Ziel gekommen ist. Die Individualisirung dieses Zu¬
standes hat die //Nomaden//, geschaffen. — Das Provisorische ist das-
Zelt, das -ihm Obdach leiht; das Provisorische ist der Schlüssel zu sei¬
nem cCharacter, seinen Sitten,, seinen Gedanken. -

Wie ich schon sagte, mein Nachbar, .der so eben in seinem Sessel
eingeschlummert ist, ist ein Nomade, .und zwar ein .trefffiches..Exe,mplar^
dieser Gattung. Darum eben belagert und .stört er mich zu jeder Stunde;
darum bemächtigt er sich nMes' Sessels, raucht meine Cigarren, stöbert,
in meiner Bibliothek herum. Für ihn ist der Comfort einer häuslichen
Einrichtung, die Behaglichkeit eines cKe-: sol, wie der Franzose sagt,
eine ganz unnütze Erfindung. Er ist unverheiratet, obgleich schon 40
Jahre alt, und lebt in den Tag hinein. Die Stellung, die er in der
Welt einnimmt, würde jedem Andern erlauben, sich darin ganz behag¬
lich festzusetzen; aber in seinen Augen ist Nichts beständig — daher ist
auch er selbst nie beständig, sondern immer und überall nomadisirend.

Während der Kaiserzeit sollte er in einem Gymnasium sich zu den
Studien vorbereiten, aber er behauptete, Latein und Griechisch seien.für-
einen zukünftigen Soldaten unnütz, und es tauge ihm besser, wenn er-
Fcchtstunden nähme, und mit den Waffen umgehen lernte. Er machte-


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[0427] Epochen der Aufregung, wenn in der Luft die Vorzeichen gewichtiger Ereignisse zu lesen sind. Man kann also leicht einsehen, daß die "No- maden" fast in keiner Epoche der Weltgeschichte.gefehlt,, daß es aber heutzutage von ihnen wimmelt. — Der griechische, Weltweise, der nach einem Schiffbruche sagte: ompia pich. i^eenen porto ist . der Typus- dieses Charakters. Auch Diogenes seine Eitelkeit.abgerechnet ^- ge¬ hört ihm in mehr als einer Beziehung an. In neuester Zeit war Na¬ poleon der herrlichste Repräsentant der //Nomaden//,; er Dhrte sein gan¬ zes Leben lang, selbst in den.Tuilerien und auf Se. Helena ein No¬ madenleben. Die Minister in unsren Tagen sind, ebenfalls nur Noma- nmden; und ebenso auch die'von ihnen .abhängigen Nomaden auf den- untern Sprossen der politischen Stufenleiter Sie alle haben keinen fe¬ sten Wohnsitz, sondern immer nur ein Feldlager irrt. Seit 1830 ist der ganze konstitutionelle. Theil der. Welt unter dir Herrschaft des Provisoriums gerathen,-das yo.es immer fortdauert, Wenn er auch zuweilen-sich vergißt,, und auf seinem .wankenden Throne ein¬ schläft, gleich einem Reifenden der in einer deutschen Postkutsche dahin- schleichend träumt, so wird er gleich diesem durch eine plötzliche, von. Zeit zu Zeit sich wiederholende Erschütterung erweckt und bemerkt, daß- « noch nicht ein's Ziel gekommen ist. Die Individualisirung dieses Zu¬ standes hat die //Nomaden//, geschaffen. — Das Provisorische ist das- Zelt, das -ihm Obdach leiht; das Provisorische ist der Schlüssel zu sei¬ nem cCharacter, seinen Sitten,, seinen Gedanken. - Wie ich schon sagte, mein Nachbar, .der so eben in seinem Sessel eingeschlummert ist, ist ein Nomade, .und zwar ein .trefffiches..Exe,mplar^ dieser Gattung. Darum eben belagert und .stört er mich zu jeder Stunde; darum bemächtigt er sich nMes' Sessels, raucht meine Cigarren, stöbert, in meiner Bibliothek herum. Für ihn ist der Comfort einer häuslichen Einrichtung, die Behaglichkeit eines cKe-: sol, wie der Franzose sagt, eine ganz unnütze Erfindung. Er ist unverheiratet, obgleich schon 40 Jahre alt, und lebt in den Tag hinein. Die Stellung, die er in der Welt einnimmt, würde jedem Andern erlauben, sich darin ganz behag¬ lich festzusetzen; aber in seinen Augen ist Nichts beständig — daher ist auch er selbst nie beständig, sondern immer und überall nomadisirend. Während der Kaiserzeit sollte er in einem Gymnasium sich zu den Studien vorbereiten, aber er behauptete, Latein und Griechisch seien.für- einen zukünftigen Soldaten unnütz, und es tauge ihm besser, wenn er- Fcchtstunden nähme, und mit den Waffen umgehen lernte. Er machte- 57*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/427>, abgerufen am 02.07.2024.