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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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und dock/ ist es nur ein hohler Schädel mit durchlöcherten Augenhöhe
in denen kein Blick mehr ist, mit leerem Gehirn, in dem kein Verstand
mehr. Sehet, der Palast, die Basilica und der Glockenthurm sind an
recht, als erwarteten sie die Signoriaz die Maste der Fahnen Schein,
bereit, die alten Farben zu entfalten; der Löwe von Se. Marcus schlägt
mit, den Pranken auf seiner rothen Porphprsäule; die Glocken könnten
ihr volles Geläute hören lassen, wie an den Tagen der großen Siege
im Archipelagus und Peloponnes; der Weihrauch ist bereit; die Pfor¬
ten deö Tempels werden sich öffnen, und auf diesem Platz voll Denk¬
male würde nach einem Schlummer von kaum einem halben Jahrhun¬
dert Nichts geändert sein. O spöttische Jugend des leeren Marmors
und Erzes, o eitle Pracht der Todeszurüstungen! Venedig ist nicht
mehr; keine Macht der Erde konnte Venedig wieder auferwecken, weder
das Mitleid der Könige noch der Wille der Völker. Unter diesen Wun¬
derwerken der Kunst, die im Tageslichte funkeln, und dem Himmel des
adriatischen Meeres Lächeln für Lächeln wiedergeben, denkt an das Da¬
sein einer Todten, denkt, daß Alles, was ihr so Glänzendes, so Pomp¬
haftes seht, ihr Grabmal ist, und gerade, indem ihr sie bewundert,
werdet ihr unaufhörlich an die ehrwürdige Republik denken, die, beson¬
ders gegen das Ende ihrer Tage, sich ohne es zu Wissen, ein so la¬
chendes Mausoleum errichtet hat.

Indem ich .die letzten Anstrengungen seiner eiteln Prunkhaftigkeit
betrachtete, habe ich mich stets gefragt, wie ein im töten Jahrhundert
so reicher Staat am Ende des Wem Jahrhunderts so ganz sterben konnte,
daß auch nicht ein Schatten, auch nicht ein Hauch davon geblieben, und'
ich habe unwillkührlich an die Reiche gedacht, die sich heute so stark und
lebenskräftig glauben, die sich in ihrem Stolz riesenhafte, ihren Ruhm
in sich zu fassen vermögende Denkmale erbauen, und die vielleicht auch
mit Einem Schlage von der Weltbühne verschwinden werden, ohne daß
etwas Andres von ihnen übrig bliebe als diese Monumente, welche zu
überleben sie sich einbildeten. Man wird sich also nicht wundern, wenn
ich sage, daß es mir, als ich den Se. Marcus-Platz zum ersten Male
sah, das Herz zusammengeschnürt hat, ihn so geräuschvoll, noch so neu
und wohlerhalten zu finden. Ja, ich würde es vorgezogen haben, ihn
verlassen, von allen Seiten in Ruinen fallend zusehen, mit Säulenschaf-
ten und Bas-Reliefs, die zerbrochen und zerstreut auf seinen Steinplatten
umherlagen. ..................


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und dock/ ist es nur ein hohler Schädel mit durchlöcherten Augenhöhe
in denen kein Blick mehr ist, mit leerem Gehirn, in dem kein Verstand
mehr. Sehet, der Palast, die Basilica und der Glockenthurm sind an
recht, als erwarteten sie die Signoriaz die Maste der Fahnen Schein,
bereit, die alten Farben zu entfalten; der Löwe von Se. Marcus schlägt
mit, den Pranken auf seiner rothen Porphprsäule; die Glocken könnten
ihr volles Geläute hören lassen, wie an den Tagen der großen Siege
im Archipelagus und Peloponnes; der Weihrauch ist bereit; die Pfor¬
ten deö Tempels werden sich öffnen, und auf diesem Platz voll Denk¬
male würde nach einem Schlummer von kaum einem halben Jahrhun¬
dert Nichts geändert sein. O spöttische Jugend des leeren Marmors
und Erzes, o eitle Pracht der Todeszurüstungen! Venedig ist nicht
mehr; keine Macht der Erde konnte Venedig wieder auferwecken, weder
das Mitleid der Könige noch der Wille der Völker. Unter diesen Wun¬
derwerken der Kunst, die im Tageslichte funkeln, und dem Himmel des
adriatischen Meeres Lächeln für Lächeln wiedergeben, denkt an das Da¬
sein einer Todten, denkt, daß Alles, was ihr so Glänzendes, so Pomp¬
haftes seht, ihr Grabmal ist, und gerade, indem ihr sie bewundert,
werdet ihr unaufhörlich an die ehrwürdige Republik denken, die, beson¬
ders gegen das Ende ihrer Tage, sich ohne es zu Wissen, ein so la¬
chendes Mausoleum errichtet hat.

Indem ich .die letzten Anstrengungen seiner eiteln Prunkhaftigkeit
betrachtete, habe ich mich stets gefragt, wie ein im töten Jahrhundert
so reicher Staat am Ende des Wem Jahrhunderts so ganz sterben konnte,
daß auch nicht ein Schatten, auch nicht ein Hauch davon geblieben, und'
ich habe unwillkührlich an die Reiche gedacht, die sich heute so stark und
lebenskräftig glauben, die sich in ihrem Stolz riesenhafte, ihren Ruhm
in sich zu fassen vermögende Denkmale erbauen, und die vielleicht auch
mit Einem Schlage von der Weltbühne verschwinden werden, ohne daß
etwas Andres von ihnen übrig bliebe als diese Monumente, welche zu
überleben sie sich einbildeten. Man wird sich also nicht wundern, wenn
ich sage, daß es mir, als ich den Se. Marcus-Platz zum ersten Male
sah, das Herz zusammengeschnürt hat, ihn so geräuschvoll, noch so neu
und wohlerhalten zu finden. Ja, ich würde es vorgezogen haben, ihn
verlassen, von allen Seiten in Ruinen fallend zusehen, mit Säulenschaf-
ten und Bas-Reliefs, die zerbrochen und zerstreut auf seinen Steinplatten
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[0339] und dock/ ist es nur ein hohler Schädel mit durchlöcherten Augenhöhe in denen kein Blick mehr ist, mit leerem Gehirn, in dem kein Verstand mehr. Sehet, der Palast, die Basilica und der Glockenthurm sind an recht, als erwarteten sie die Signoriaz die Maste der Fahnen Schein, bereit, die alten Farben zu entfalten; der Löwe von Se. Marcus schlägt mit, den Pranken auf seiner rothen Porphprsäule; die Glocken könnten ihr volles Geläute hören lassen, wie an den Tagen der großen Siege im Archipelagus und Peloponnes; der Weihrauch ist bereit; die Pfor¬ ten deö Tempels werden sich öffnen, und auf diesem Platz voll Denk¬ male würde nach einem Schlummer von kaum einem halben Jahrhun¬ dert Nichts geändert sein. O spöttische Jugend des leeren Marmors und Erzes, o eitle Pracht der Todeszurüstungen! Venedig ist nicht mehr; keine Macht der Erde konnte Venedig wieder auferwecken, weder das Mitleid der Könige noch der Wille der Völker. Unter diesen Wun¬ derwerken der Kunst, die im Tageslichte funkeln, und dem Himmel des adriatischen Meeres Lächeln für Lächeln wiedergeben, denkt an das Da¬ sein einer Todten, denkt, daß Alles, was ihr so Glänzendes, so Pomp¬ haftes seht, ihr Grabmal ist, und gerade, indem ihr sie bewundert, werdet ihr unaufhörlich an die ehrwürdige Republik denken, die, beson¬ ders gegen das Ende ihrer Tage, sich ohne es zu Wissen, ein so la¬ chendes Mausoleum errichtet hat. Indem ich .die letzten Anstrengungen seiner eiteln Prunkhaftigkeit betrachtete, habe ich mich stets gefragt, wie ein im töten Jahrhundert so reicher Staat am Ende des Wem Jahrhunderts so ganz sterben konnte, daß auch nicht ein Schatten, auch nicht ein Hauch davon geblieben, und' ich habe unwillkührlich an die Reiche gedacht, die sich heute so stark und lebenskräftig glauben, die sich in ihrem Stolz riesenhafte, ihren Ruhm in sich zu fassen vermögende Denkmale erbauen, und die vielleicht auch mit Einem Schlage von der Weltbühne verschwinden werden, ohne daß etwas Andres von ihnen übrig bliebe als diese Monumente, welche zu überleben sie sich einbildeten. Man wird sich also nicht wundern, wenn ich sage, daß es mir, als ich den Se. Marcus-Platz zum ersten Male sah, das Herz zusammengeschnürt hat, ihn so geräuschvoll, noch so neu und wohlerhalten zu finden. Ja, ich würde es vorgezogen haben, ihn verlassen, von allen Seiten in Ruinen fallend zusehen, mit Säulenschaf- ten und Bas-Reliefs, die zerbrochen und zerstreut auf seinen Steinplatten umherlagen. .................. 4«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/339>, abgerufen am 24.07.2024.