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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Unser erster Gedanke war, nach dem Se. Marcus-Platz zu eilen.
Ich kann die Bewegung'nicht beschreiben, die mir ein Schauspiel ver¬
ursacht Hat, auf daS ich mich doch so wohl vorbereitet Hatte. Dieser
ganz Mit breiten Steinplatten gepflasterte Platz, auf deck dLr Vorüber¬
gehende nichts von jenem störenden Geräusch hört, das ihn in andern
großen Städten verfolgt, diese langen Säulenhallen, dieser einsam ste¬
hende Glockenthurm, der sich in die Himmel erhebt,, um den Schiffern
Venedig anzukündigen; diese Kirche, phantastisch wie eine Erzählung aus
Tausend und Eine- Nacht, dieser herzogliche Palast, der seinen eigen¬
thümlichen, an keinen andern erinnernden Styl hat, tels alles sticht von
den Scenen, die unsre Blicke in den Städten zu suchen gewöhnt sind,
sosehr ab, daß selbst die am Wenigsten nachdenklichen Geister nicht umhin
können, stark betroffen davon zu werden.

Hier also war das Herz der berühmten Republik Venedig! Sollte
man nicht, wenn man die Menge sieht, welche der sinkende Tag dahin
führt, meinen, es circulire noch Leben darin? Warum bietet der Platz
nicht diese gewöhnlichen Bilder der Einsamkeit und der Zerstörung dar,
deren Traucrgcleite den großen Werken, die zu eristiren aufgehört, so
wohl ansteht? ' Ach! diese überall glänzende Architectur, die nur noch
dazu dient, ein Grab zu verzieren! Dieses Volk, das hin und her geht,
lacht und singt, mitten urter diesen, so vollständigen Denkmalen seines
Ruhmes, ohne daß es auch Nur daran zu denken scheint, daß es diesen
für immer verloren, -- das ist ein schmerzlicherer Anblick, als die
formlosen Trümmer der für immer zu Boden gestreckten Städte. Ein
Scheinbild des Lebens ist grausiger, als der Tod selbst. Das Nichts
will die Wüste, und eine Macht, die so lange gelebt, verdiente wohl
ein wenig Ehrfurcht und Stillschweigen. Aber das Schicksal, das mit
den Nationen spielt, hat anders entschieden. Es wollte, daß Venedig
sich selbst überlebe, daß die Stadt länger daure als die Herrschaft, und
daß die alte Republik mit einem Male, wie in einem Leichentuchs von
Marmor und Gold, unter den prunkvollen Werken ihres Wohlstandes
begraben werde. Mein Gott, wie viel melancholische Gedanken erweckt
das Schauspiel so vieler fortan unnützer Denkmale! Welches große
Volk ist denn seiner Zukunft sicher, wenn ihm das Geschick sogar die
äußeren Zeichen seines Verfalles verbirgt? Venedig eristirt noch ganz
und gar, und doch gleicht es der neuen Wappenrüstung eines Helden,
der in der Kraft feines Alters gefallen, die keinem andern Wuchse paßt.
Venedig ist da vor unsern Augen, leuchtend und glänzend in der Sonne,


Unser erster Gedanke war, nach dem Se. Marcus-Platz zu eilen.
Ich kann die Bewegung'nicht beschreiben, die mir ein Schauspiel ver¬
ursacht Hat, auf daS ich mich doch so wohl vorbereitet Hatte. Dieser
ganz Mit breiten Steinplatten gepflasterte Platz, auf deck dLr Vorüber¬
gehende nichts von jenem störenden Geräusch hört, das ihn in andern
großen Städten verfolgt, diese langen Säulenhallen, dieser einsam ste¬
hende Glockenthurm, der sich in die Himmel erhebt,, um den Schiffern
Venedig anzukündigen; diese Kirche, phantastisch wie eine Erzählung aus
Tausend und Eine- Nacht, dieser herzogliche Palast, der seinen eigen¬
thümlichen, an keinen andern erinnernden Styl hat, tels alles sticht von
den Scenen, die unsre Blicke in den Städten zu suchen gewöhnt sind,
sosehr ab, daß selbst die am Wenigsten nachdenklichen Geister nicht umhin
können, stark betroffen davon zu werden.

Hier also war das Herz der berühmten Republik Venedig! Sollte
man nicht, wenn man die Menge sieht, welche der sinkende Tag dahin
führt, meinen, es circulire noch Leben darin? Warum bietet der Platz
nicht diese gewöhnlichen Bilder der Einsamkeit und der Zerstörung dar,
deren Traucrgcleite den großen Werken, die zu eristiren aufgehört, so
wohl ansteht? ' Ach! diese überall glänzende Architectur, die nur noch
dazu dient, ein Grab zu verzieren! Dieses Volk, das hin und her geht,
lacht und singt, mitten urter diesen, so vollständigen Denkmalen seines
Ruhmes, ohne daß es auch Nur daran zu denken scheint, daß es diesen
für immer verloren, — das ist ein schmerzlicherer Anblick, als die
formlosen Trümmer der für immer zu Boden gestreckten Städte. Ein
Scheinbild des Lebens ist grausiger, als der Tod selbst. Das Nichts
will die Wüste, und eine Macht, die so lange gelebt, verdiente wohl
ein wenig Ehrfurcht und Stillschweigen. Aber das Schicksal, das mit
den Nationen spielt, hat anders entschieden. Es wollte, daß Venedig
sich selbst überlebe, daß die Stadt länger daure als die Herrschaft, und
daß die alte Republik mit einem Male, wie in einem Leichentuchs von
Marmor und Gold, unter den prunkvollen Werken ihres Wohlstandes
begraben werde. Mein Gott, wie viel melancholische Gedanken erweckt
das Schauspiel so vieler fortan unnützer Denkmale! Welches große
Volk ist denn seiner Zukunft sicher, wenn ihm das Geschick sogar die
äußeren Zeichen seines Verfalles verbirgt? Venedig eristirt noch ganz
und gar, und doch gleicht es der neuen Wappenrüstung eines Helden,
der in der Kraft feines Alters gefallen, die keinem andern Wuchse paßt.
Venedig ist da vor unsern Augen, leuchtend und glänzend in der Sonne,


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[0338] Unser erster Gedanke war, nach dem Se. Marcus-Platz zu eilen. Ich kann die Bewegung'nicht beschreiben, die mir ein Schauspiel ver¬ ursacht Hat, auf daS ich mich doch so wohl vorbereitet Hatte. Dieser ganz Mit breiten Steinplatten gepflasterte Platz, auf deck dLr Vorüber¬ gehende nichts von jenem störenden Geräusch hört, das ihn in andern großen Städten verfolgt, diese langen Säulenhallen, dieser einsam ste¬ hende Glockenthurm, der sich in die Himmel erhebt,, um den Schiffern Venedig anzukündigen; diese Kirche, phantastisch wie eine Erzählung aus Tausend und Eine- Nacht, dieser herzogliche Palast, der seinen eigen¬ thümlichen, an keinen andern erinnernden Styl hat, tels alles sticht von den Scenen, die unsre Blicke in den Städten zu suchen gewöhnt sind, sosehr ab, daß selbst die am Wenigsten nachdenklichen Geister nicht umhin können, stark betroffen davon zu werden. Hier also war das Herz der berühmten Republik Venedig! Sollte man nicht, wenn man die Menge sieht, welche der sinkende Tag dahin führt, meinen, es circulire noch Leben darin? Warum bietet der Platz nicht diese gewöhnlichen Bilder der Einsamkeit und der Zerstörung dar, deren Traucrgcleite den großen Werken, die zu eristiren aufgehört, so wohl ansteht? ' Ach! diese überall glänzende Architectur, die nur noch dazu dient, ein Grab zu verzieren! Dieses Volk, das hin und her geht, lacht und singt, mitten urter diesen, so vollständigen Denkmalen seines Ruhmes, ohne daß es auch Nur daran zu denken scheint, daß es diesen für immer verloren, — das ist ein schmerzlicherer Anblick, als die formlosen Trümmer der für immer zu Boden gestreckten Städte. Ein Scheinbild des Lebens ist grausiger, als der Tod selbst. Das Nichts will die Wüste, und eine Macht, die so lange gelebt, verdiente wohl ein wenig Ehrfurcht und Stillschweigen. Aber das Schicksal, das mit den Nationen spielt, hat anders entschieden. Es wollte, daß Venedig sich selbst überlebe, daß die Stadt länger daure als die Herrschaft, und daß die alte Republik mit einem Male, wie in einem Leichentuchs von Marmor und Gold, unter den prunkvollen Werken ihres Wohlstandes begraben werde. Mein Gott, wie viel melancholische Gedanken erweckt das Schauspiel so vieler fortan unnützer Denkmale! Welches große Volk ist denn seiner Zukunft sicher, wenn ihm das Geschick sogar die äußeren Zeichen seines Verfalles verbirgt? Venedig eristirt noch ganz und gar, und doch gleicht es der neuen Wappenrüstung eines Helden, der in der Kraft feines Alters gefallen, die keinem andern Wuchse paßt. Venedig ist da vor unsern Augen, leuchtend und glänzend in der Sonne,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/338>, abgerufen am 22.12.2024.