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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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MM Herabwürdigung.' Ich will die Italiener nicht ". 1s Nicolai ver-
läumden, einer Nation, welcher der Himmel zwei Erndten jährlich sendet,
und die alle Wohlthaten eines der glücklichsten Himmelsstriche hienieden
genießt ist die Gewohnheit der Bettelei das sicherste Zeichen einer verdor¬
benen Natur. Ich bin in der Schweiz durch feuchte Thäler gewandert,
wo magre Aehren in den Spalten der Gebirge faulem; man bettelte dort
nicht. Ich liebe in den Leuten aus dem Volk diesen rauhen Stolz des Ar-,
beiterö/dieses übermüthige Bewußtsein des Ich, das sich in den Worten aus-
sprichtnch binwohlarm, aber ich bin kein Bettler.Beiuusfreilichbettelndie Hin¬
fälligen zur Schande der öffentlichen Wohlthätigkeit, welche ihre Zufluchts¬
orte nicht überfüllen will; in unsern großen Städten schwankt freilich die
auf's Aeußerste gebrachte Dürftigkeit zwischen der harten Freiheit des
heimlichen Bettlers und der zum Vieh herabwürdigenden Sclaverei des
gesetzlichen Bettlers; hier auch ist' das Elend oft der Gegenstand einer
unverschämten Ausbeutung. Aber mögen die Pessimisten sagen, was sie
wollen, die Bettelei ist nicht in dem Character der nordischen, Völker.
In dem Theile Italiens, den ich gesehen habe, und der der reichste und
gewerbfleißigste Theil dieses schönen Landes ist, erröthet das Volk, ich>
meine junge, vollkommen gesunde, gut gekleidete Leute aus dem Volke,
durchaus nicht zu betteln, und zwar mit der unermüdlichen Hartnäckig¬
keit einer Fliege, die, so oft man sie auch wegjagt, uns immer von Neuem
angreift. Man hat dem Vorwande des Trinkgeldes alle Elasticität
des Almosens gegeben. Der Postillon bettelt in seinem galonnirten Rock;-
der Bediente bettelt in dem Salon seines Herrn, dessen Palast er Euch
zeigt; der Handwerker, dem man seine Arbeit reichlich bezahlt) steckt daS-
Geld ein und bettelt. Ein Wandrer, den man um den Weg fragt,
bettelt; geben Sie mir Etwas, gnädiger Herr, sagt er und hält
die Hand hin.

Die Bettelei ist in Italien nicht blos ein Gewerbe; sie
ist eine Kunst: so geistreich ist sie in der Veränderung und Unterabthei¬
lung der Ursachen zur Belästigung der Leute. Man fährt bergab: ein
Kind erscheint an dem Kutschenschlag der Eilpost, die zwei Postillone und
einen Couducteur hat, und sagt: Ich habe die Hemmschuh angelegt/ darf
ich bitten? Wir verlangen Oblaten zum Briefsiegeln: der Wirth des
Gasthauses schickt sie uns durch einen Burschen. Ich habe die Oblaten
gebracht, darf ich bitten? Humoristischer wenigstens hat es in Como .ein
Kleider- und Stiefelputzer gemacht: für die Kleider verlangte er und hielt
uns die rechte Hand, hin, wir gaben ihm; nun hielt, er, die linke Hand


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MM Herabwürdigung.' Ich will die Italiener nicht «. 1s Nicolai ver-
läumden, einer Nation, welcher der Himmel zwei Erndten jährlich sendet,
und die alle Wohlthaten eines der glücklichsten Himmelsstriche hienieden
genießt ist die Gewohnheit der Bettelei das sicherste Zeichen einer verdor¬
benen Natur. Ich bin in der Schweiz durch feuchte Thäler gewandert,
wo magre Aehren in den Spalten der Gebirge faulem; man bettelte dort
nicht. Ich liebe in den Leuten aus dem Volk diesen rauhen Stolz des Ar-,
beiterö/dieses übermüthige Bewußtsein des Ich, das sich in den Worten aus-
sprichtnch binwohlarm, aber ich bin kein Bettler.Beiuusfreilichbettelndie Hin¬
fälligen zur Schande der öffentlichen Wohlthätigkeit, welche ihre Zufluchts¬
orte nicht überfüllen will; in unsern großen Städten schwankt freilich die
auf's Aeußerste gebrachte Dürftigkeit zwischen der harten Freiheit des
heimlichen Bettlers und der zum Vieh herabwürdigenden Sclaverei des
gesetzlichen Bettlers; hier auch ist' das Elend oft der Gegenstand einer
unverschämten Ausbeutung. Aber mögen die Pessimisten sagen, was sie
wollen, die Bettelei ist nicht in dem Character der nordischen, Völker.
In dem Theile Italiens, den ich gesehen habe, und der der reichste und
gewerbfleißigste Theil dieses schönen Landes ist, erröthet das Volk, ich>
meine junge, vollkommen gesunde, gut gekleidete Leute aus dem Volke,
durchaus nicht zu betteln, und zwar mit der unermüdlichen Hartnäckig¬
keit einer Fliege, die, so oft man sie auch wegjagt, uns immer von Neuem
angreift. Man hat dem Vorwande des Trinkgeldes alle Elasticität
des Almosens gegeben. Der Postillon bettelt in seinem galonnirten Rock;-
der Bediente bettelt in dem Salon seines Herrn, dessen Palast er Euch
zeigt; der Handwerker, dem man seine Arbeit reichlich bezahlt) steckt daS-
Geld ein und bettelt. Ein Wandrer, den man um den Weg fragt,
bettelt; geben Sie mir Etwas, gnädiger Herr, sagt er und hält
die Hand hin.

Die Bettelei ist in Italien nicht blos ein Gewerbe; sie
ist eine Kunst: so geistreich ist sie in der Veränderung und Unterabthei¬
lung der Ursachen zur Belästigung der Leute. Man fährt bergab: ein
Kind erscheint an dem Kutschenschlag der Eilpost, die zwei Postillone und
einen Couducteur hat, und sagt: Ich habe die Hemmschuh angelegt/ darf
ich bitten? Wir verlangen Oblaten zum Briefsiegeln: der Wirth des
Gasthauses schickt sie uns durch einen Burschen. Ich habe die Oblaten
gebracht, darf ich bitten? Humoristischer wenigstens hat es in Como .ein
Kleider- und Stiefelputzer gemacht: für die Kleider verlangte er und hielt
uns die rechte Hand, hin, wir gaben ihm; nun hielt, er, die linke Hand


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[0333] MM Herabwürdigung.' Ich will die Italiener nicht «. 1s Nicolai ver- läumden, einer Nation, welcher der Himmel zwei Erndten jährlich sendet, und die alle Wohlthaten eines der glücklichsten Himmelsstriche hienieden genießt ist die Gewohnheit der Bettelei das sicherste Zeichen einer verdor¬ benen Natur. Ich bin in der Schweiz durch feuchte Thäler gewandert, wo magre Aehren in den Spalten der Gebirge faulem; man bettelte dort nicht. Ich liebe in den Leuten aus dem Volk diesen rauhen Stolz des Ar-, beiterö/dieses übermüthige Bewußtsein des Ich, das sich in den Worten aus- sprichtnch binwohlarm, aber ich bin kein Bettler.Beiuusfreilichbettelndie Hin¬ fälligen zur Schande der öffentlichen Wohlthätigkeit, welche ihre Zufluchts¬ orte nicht überfüllen will; in unsern großen Städten schwankt freilich die auf's Aeußerste gebrachte Dürftigkeit zwischen der harten Freiheit des heimlichen Bettlers und der zum Vieh herabwürdigenden Sclaverei des gesetzlichen Bettlers; hier auch ist' das Elend oft der Gegenstand einer unverschämten Ausbeutung. Aber mögen die Pessimisten sagen, was sie wollen, die Bettelei ist nicht in dem Character der nordischen, Völker. In dem Theile Italiens, den ich gesehen habe, und der der reichste und gewerbfleißigste Theil dieses schönen Landes ist, erröthet das Volk, ich> meine junge, vollkommen gesunde, gut gekleidete Leute aus dem Volke, durchaus nicht zu betteln, und zwar mit der unermüdlichen Hartnäckig¬ keit einer Fliege, die, so oft man sie auch wegjagt, uns immer von Neuem angreift. Man hat dem Vorwande des Trinkgeldes alle Elasticität des Almosens gegeben. Der Postillon bettelt in seinem galonnirten Rock;- der Bediente bettelt in dem Salon seines Herrn, dessen Palast er Euch zeigt; der Handwerker, dem man seine Arbeit reichlich bezahlt) steckt daS- Geld ein und bettelt. Ein Wandrer, den man um den Weg fragt, bettelt; geben Sie mir Etwas, gnädiger Herr, sagt er und hält die Hand hin. Die Bettelei ist in Italien nicht blos ein Gewerbe; sie ist eine Kunst: so geistreich ist sie in der Veränderung und Unterabthei¬ lung der Ursachen zur Belästigung der Leute. Man fährt bergab: ein Kind erscheint an dem Kutschenschlag der Eilpost, die zwei Postillone und einen Couducteur hat, und sagt: Ich habe die Hemmschuh angelegt/ darf ich bitten? Wir verlangen Oblaten zum Briefsiegeln: der Wirth des Gasthauses schickt sie uns durch einen Burschen. Ich habe die Oblaten gebracht, darf ich bitten? Humoristischer wenigstens hat es in Como .ein Kleider- und Stiefelputzer gemacht: für die Kleider verlangte er und hielt uns die rechte Hand, hin, wir gaben ihm; nun hielt, er, die linke Hand 45*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/333>, abgerufen am 02.07.2024.