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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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machen. Man stelle sich ein langes weißes Band vor, dessen beide En¬
den sich im Horizonte verlieren. Die vollkommene Ebenmäßigkeit und
die gerade Linie kämpfen mit einander an mathematischer Genauigkeit,
und damit nicht etwa die Abwechslungen der Landschaft dem Reisenden
allzu lebhafte Zerstreuungen verursachen, so Verhindern zwei, wie die Straße
unendliche Bordüren von hohem und dichtem Gebüsch von beiden Seiten
jeden Blick ins Freie. Uebrigens sind diese Straßen bewundrungswür-
dig unterhalten. Man muß Oesterreich diese Gerechtigkeit widerfahren
lassen, wenn es im ^Gefühl der Selbsterhaltung seine-rechte Hand fest und
gebieterisch über diese Lande ausstreckt, so bestrebt sich die linke auf die
zitternde Bevölkerung alle Wohlthaten einer unparteiischen und vorsichti¬
gen Verwaltung herabströmen zu lassen. Es hofft, daß die Lombardei,
in Folge materiellen Wohlstandes, endlich ihren Träumen von Befreiung
und nationaler Unabhängigkeit entsagen wird. Aber die Lombardei dem
streng väterlichen Oesterreich gegenüber ist, wie jene Töchter im alten
Lustspiel, welche von ihren Vormündern in einem reichen kostbaren Palast
gehütet werden. Der Vormund muß wachsam sein, wenn er nicht um
alle Kosten seiner Vaterschaft kommen will. ' . '

Sollte man glauben, daß auf einer von einem Ende bis zum ein^
dern 'glattgecbnetcn Straße, welche den schönsten 'Straßen Englands in
Nichts nachsteht, Pferde der Eilpost einen langsamen Trab von S Mig-
lien die Stunde gehen und kaum noch die! Wenn man eben erst Mai¬
land verläßt, ist'die Sache begreiflich, denn da wird die Eilpost klüg¬
lich von einem reitenden Militair begleitet, aus Furcht wahrscheinlich,
es könnte einem der Reisenden einfallen, beim ersten Anspannen abzustei¬
gen und nach Mailand zurückzukehren. In jenen Landen, wo dieGens-
dcmnerie ihre Pferde selbst erhalten und ankaufen muß, ist eine solche
Saumseligkeit aus natürlicher Schonung für das vierbeinige Wesen er¬
klärlich, aber inOesterreich, wo Alles vom Staate bezahlt wird!-- doch HM dies
die Postillone^ nicht ab,, dem Reisenden am Ende-'der Station den Hut
hinzuhalten/ mit zwar/mit der belästigenden Hartnäckigkeit der''Bettler
von Profession; Bettelei'ist das'betrübendste Schauspiel,- das der Rei¬
sende auf seinem'Wege treffen kann, wenn er nicht blos Augen sür die
Schönheit der Natur, sondern auch ein Herz für die Menschheit hat.
Der Anblick-'des Elends ist Nichts dagegen; dieses offenbart ein physi¬
sches Leiden;' aber -wo die Bettelei ihren Platz unter den Gewohnheiten
eines Volks eingenommen, wie in Italien, da zeigt sie von einer mora-


machen. Man stelle sich ein langes weißes Band vor, dessen beide En¬
den sich im Horizonte verlieren. Die vollkommene Ebenmäßigkeit und
die gerade Linie kämpfen mit einander an mathematischer Genauigkeit,
und damit nicht etwa die Abwechslungen der Landschaft dem Reisenden
allzu lebhafte Zerstreuungen verursachen, so Verhindern zwei, wie die Straße
unendliche Bordüren von hohem und dichtem Gebüsch von beiden Seiten
jeden Blick ins Freie. Uebrigens sind diese Straßen bewundrungswür-
dig unterhalten. Man muß Oesterreich diese Gerechtigkeit widerfahren
lassen, wenn es im ^Gefühl der Selbsterhaltung seine-rechte Hand fest und
gebieterisch über diese Lande ausstreckt, so bestrebt sich die linke auf die
zitternde Bevölkerung alle Wohlthaten einer unparteiischen und vorsichti¬
gen Verwaltung herabströmen zu lassen. Es hofft, daß die Lombardei,
in Folge materiellen Wohlstandes, endlich ihren Träumen von Befreiung
und nationaler Unabhängigkeit entsagen wird. Aber die Lombardei dem
streng väterlichen Oesterreich gegenüber ist, wie jene Töchter im alten
Lustspiel, welche von ihren Vormündern in einem reichen kostbaren Palast
gehütet werden. Der Vormund muß wachsam sein, wenn er nicht um
alle Kosten seiner Vaterschaft kommen will. ' . '

Sollte man glauben, daß auf einer von einem Ende bis zum ein^
dern 'glattgecbnetcn Straße, welche den schönsten 'Straßen Englands in
Nichts nachsteht, Pferde der Eilpost einen langsamen Trab von S Mig-
lien die Stunde gehen und kaum noch die! Wenn man eben erst Mai¬
land verläßt, ist'die Sache begreiflich, denn da wird die Eilpost klüg¬
lich von einem reitenden Militair begleitet, aus Furcht wahrscheinlich,
es könnte einem der Reisenden einfallen, beim ersten Anspannen abzustei¬
gen und nach Mailand zurückzukehren. In jenen Landen, wo dieGens-
dcmnerie ihre Pferde selbst erhalten und ankaufen muß, ist eine solche
Saumseligkeit aus natürlicher Schonung für das vierbeinige Wesen er¬
klärlich, aber inOesterreich, wo Alles vom Staate bezahlt wird!— doch HM dies
die Postillone^ nicht ab,, dem Reisenden am Ende-'der Station den Hut
hinzuhalten/ mit zwar/mit der belästigenden Hartnäckigkeit der''Bettler
von Profession; Bettelei'ist das'betrübendste Schauspiel,- das der Rei¬
sende auf seinem'Wege treffen kann, wenn er nicht blos Augen sür die
Schönheit der Natur, sondern auch ein Herz für die Menschheit hat.
Der Anblick-'des Elends ist Nichts dagegen; dieses offenbart ein physi¬
sches Leiden;' aber -wo die Bettelei ihren Platz unter den Gewohnheiten
eines Volks eingenommen, wie in Italien, da zeigt sie von einer mora-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/332>, abgerufen am 22.12.2024.