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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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zu werden. Ebenso ist bis jetzt unbekannt, welche Buchhandlung es war,
der er damals ein Manuscript für 25 Gulden anbot, und lieber mit
seinem Freunde, dem Musiker Streicher, noch langer hungerte, als eine
geringere Summe annahm. In späterer Zeit haben beide Freunde in ihrer
Laufbahn die höchsten Stufen erreicht; Schiller wurde Deutschlands erster
Tragiker, Streicher Europa's größter Klavierfabrikant; aber beide haben ge¬
wiß das Andenken an jene Tage in ihrer glücklichsten Zeit noch bewahrt.

Wenn Alles erwähnt werden soll, so gebührt wohl auch eine Erinnerung
jenem Hause, wo der 'gewaltige Meister des Gedankens, wo Hegel eine Zeit
lang lebte und nicht nur als guter Pädagog, sondern auch als trefflicher Whist¬
spieler gegolten haben soll. Ja, das Kind Bettina ruft uns in ihren jugend¬
lichen Anschauungen so sehr die Frankfurter Umgebung mit allen ihren Ein¬
zelheiten zurück, daß sie in ihrem neuesten Werk sogar die Niederräder Wä¬
scherinnen zu poetischer Bedeutung erhob. Wo das Denkmal stehen wird, das
hier sür Göthe errichtet werden soll, ist noch nicht bekannt; wo Göthe selbst sei¬
ner Vaterstadt ein Monument errichtet hat, dauerhafter als Erz und Marmor,
das weiß jeder Deutsche. In seiner Biographie hat er die ganze geistige Fülle
seiner Jugendzeit in lebensvollen Zügen für die Ewigkeit geschildert, hier zeigt
er sich im Sinn der alten Griechen als ächter Bürger, und so können wir den
Worten eines geistvollen Mannes nur beistimmen: //Uns bleibt der Frankfur¬
ter Göthe theuer, zahlt er auch keine Einkommensteuer!" -- Denkmäler jedoch
erhalten nur dann ihre wahre Bedeutung, wenn man sie nicht als Leichensteine
der Vergangenheit, sondern als Mahnungen für Gegenwart und Zukunft
aufstellt. Demnach haben die Bewohner einer Stadt, welche der Poesie eine
große Epoche ihres geistigen Glanzes verdankt, einerStadt, welche fortwährend
hohe Kräfte des Wissens und der Cultur besitzt -- demnach haben sie den Be¬
ruf und diePflicht, Wissenschaft und Poesie zu Pflegen als theuerstes VermAcht-
niß einer schönen Vergangenheit. Sollen wir nun die Frage auswerfen, ob in
dieser Stadt, wo die Musik allgemein blüht und in neuerer Zeit auch der Sinn
für bildende Kunst einen neuen Aufschwung nahm, ob hier die Literatur so re-
präsentirt ist, wie es in der Heimath eines Göthe, Klinger, Börne und Cle¬
mens Brentano sein sollte? Besser, wir lassen den Vorhang fallen, als daß
wir die alten Klagelieder von Neuem anstimmen!--->




zu werden. Ebenso ist bis jetzt unbekannt, welche Buchhandlung es war,
der er damals ein Manuscript für 25 Gulden anbot, und lieber mit
seinem Freunde, dem Musiker Streicher, noch langer hungerte, als eine
geringere Summe annahm. In späterer Zeit haben beide Freunde in ihrer
Laufbahn die höchsten Stufen erreicht; Schiller wurde Deutschlands erster
Tragiker, Streicher Europa's größter Klavierfabrikant; aber beide haben ge¬
wiß das Andenken an jene Tage in ihrer glücklichsten Zeit noch bewahrt.

Wenn Alles erwähnt werden soll, so gebührt wohl auch eine Erinnerung
jenem Hause, wo der 'gewaltige Meister des Gedankens, wo Hegel eine Zeit
lang lebte und nicht nur als guter Pädagog, sondern auch als trefflicher Whist¬
spieler gegolten haben soll. Ja, das Kind Bettina ruft uns in ihren jugend¬
lichen Anschauungen so sehr die Frankfurter Umgebung mit allen ihren Ein¬
zelheiten zurück, daß sie in ihrem neuesten Werk sogar die Niederräder Wä¬
scherinnen zu poetischer Bedeutung erhob. Wo das Denkmal stehen wird, das
hier sür Göthe errichtet werden soll, ist noch nicht bekannt; wo Göthe selbst sei¬
ner Vaterstadt ein Monument errichtet hat, dauerhafter als Erz und Marmor,
das weiß jeder Deutsche. In seiner Biographie hat er die ganze geistige Fülle
seiner Jugendzeit in lebensvollen Zügen für die Ewigkeit geschildert, hier zeigt
er sich im Sinn der alten Griechen als ächter Bürger, und so können wir den
Worten eines geistvollen Mannes nur beistimmen: //Uns bleibt der Frankfur¬
ter Göthe theuer, zahlt er auch keine Einkommensteuer!" — Denkmäler jedoch
erhalten nur dann ihre wahre Bedeutung, wenn man sie nicht als Leichensteine
der Vergangenheit, sondern als Mahnungen für Gegenwart und Zukunft
aufstellt. Demnach haben die Bewohner einer Stadt, welche der Poesie eine
große Epoche ihres geistigen Glanzes verdankt, einerStadt, welche fortwährend
hohe Kräfte des Wissens und der Cultur besitzt — demnach haben sie den Be¬
ruf und diePflicht, Wissenschaft und Poesie zu Pflegen als theuerstes VermAcht-
niß einer schönen Vergangenheit. Sollen wir nun die Frage auswerfen, ob in
dieser Stadt, wo die Musik allgemein blüht und in neuerer Zeit auch der Sinn
für bildende Kunst einen neuen Aufschwung nahm, ob hier die Literatur so re-
präsentirt ist, wie es in der Heimath eines Göthe, Klinger, Börne und Cle¬
mens Brentano sein sollte? Besser, wir lassen den Vorhang fallen, als daß
wir die alten Klagelieder von Neuem anstimmen!--->




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[0304] zu werden. Ebenso ist bis jetzt unbekannt, welche Buchhandlung es war, der er damals ein Manuscript für 25 Gulden anbot, und lieber mit seinem Freunde, dem Musiker Streicher, noch langer hungerte, als eine geringere Summe annahm. In späterer Zeit haben beide Freunde in ihrer Laufbahn die höchsten Stufen erreicht; Schiller wurde Deutschlands erster Tragiker, Streicher Europa's größter Klavierfabrikant; aber beide haben ge¬ wiß das Andenken an jene Tage in ihrer glücklichsten Zeit noch bewahrt. Wenn Alles erwähnt werden soll, so gebührt wohl auch eine Erinnerung jenem Hause, wo der 'gewaltige Meister des Gedankens, wo Hegel eine Zeit lang lebte und nicht nur als guter Pädagog, sondern auch als trefflicher Whist¬ spieler gegolten haben soll. Ja, das Kind Bettina ruft uns in ihren jugend¬ lichen Anschauungen so sehr die Frankfurter Umgebung mit allen ihren Ein¬ zelheiten zurück, daß sie in ihrem neuesten Werk sogar die Niederräder Wä¬ scherinnen zu poetischer Bedeutung erhob. Wo das Denkmal stehen wird, das hier sür Göthe errichtet werden soll, ist noch nicht bekannt; wo Göthe selbst sei¬ ner Vaterstadt ein Monument errichtet hat, dauerhafter als Erz und Marmor, das weiß jeder Deutsche. In seiner Biographie hat er die ganze geistige Fülle seiner Jugendzeit in lebensvollen Zügen für die Ewigkeit geschildert, hier zeigt er sich im Sinn der alten Griechen als ächter Bürger, und so können wir den Worten eines geistvollen Mannes nur beistimmen: //Uns bleibt der Frankfur¬ ter Göthe theuer, zahlt er auch keine Einkommensteuer!" — Denkmäler jedoch erhalten nur dann ihre wahre Bedeutung, wenn man sie nicht als Leichensteine der Vergangenheit, sondern als Mahnungen für Gegenwart und Zukunft aufstellt. Demnach haben die Bewohner einer Stadt, welche der Poesie eine große Epoche ihres geistigen Glanzes verdankt, einerStadt, welche fortwährend hohe Kräfte des Wissens und der Cultur besitzt — demnach haben sie den Be¬ ruf und diePflicht, Wissenschaft und Poesie zu Pflegen als theuerstes VermAcht- niß einer schönen Vergangenheit. Sollen wir nun die Frage auswerfen, ob in dieser Stadt, wo die Musik allgemein blüht und in neuerer Zeit auch der Sinn für bildende Kunst einen neuen Aufschwung nahm, ob hier die Literatur so re- präsentirt ist, wie es in der Heimath eines Göthe, Klinger, Börne und Cle¬ mens Brentano sein sollte? Besser, wir lassen den Vorhang fallen, als daß wir die alten Klagelieder von Neuem anstimmen!--->

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/304>, abgerufen am 04.07.2024.