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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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gezierte Geschmack, welcher vom Hofe des bejahrten Ludwig XIV, aus¬
ging, hatte bereits in unsern Landen/den tyrannischen Einfluß auszuüben,-
angefangen, den,- seit der Zeit, alle guten und schlechten Dinge, die in
Paris/ zu Tage gekommen, ohne Unterlaß bei uns ausgeübt haben. Die
französische Malerei, welche von dieser Zeit an der flamändischen zum-
Muster diente, war allmälig vou jener strengen und großartigen Bahn,
abgewichen, in welcher Poussin, Lesueur und Lebrun sie gehalten
hatten; sie war der Gewalt der Schäferinnen und girrenden Tauben
Watteau's, des Malers der Regentschaft, unterlegen. Wohin mußte
die Kunst nicht gerathen, in jener Zeit völliger-Verderbtheit, wo Frank¬
reich eine Beute der tiefsten und abscheuwürdigsten Entsittlichung geworden
war; wo Ehebruch, Blutschande, jede Art und jeder Grad des Verbre¬
chens, im ,Innern Bankerott, nach Außen Verachtung, überall Schande,
das Ersterben alles Glaubens, und aller Tugend die französische Ge¬
sellschaft untergruben? Und nach der Regentschaft, unter der Negierung
Ludwigs XV. ? -- Wir sehen da das Königthum in die Arme der ge-'
meinsten Dirnen geschleudert; Hof und Stadt allen Ausschweifungen ver¬
fallen; die großen Herren Kuppler des Fürsten, und die vornehmen Damen
seine Kupplerinnen; jede Schandthat dem hellen Tage preisgegeben; die
Familien, aufgelöst,, da alle Tugenden die Flucht ergriffen; alle Gesell--
schaftsbande durch die zügellosesten Laster, durch die unerhörtesten Frevel
gebrochen! -- Ja, Watteau, da bist - du ganz an deinem Platz, leihe
jener Gesellschaft deinen Pinsel, deine schönen Farben, die -üppige Palette?
deine Feinheit, Anmuth, die Zartheit deiner Gestalten! Lege die Pinsel-
zur Seite, mit denen du die Tbeatsvdccorationen aufstreichst, denn, nun
rufen dich die Alcoven, die kleinen Gemächer laden dich ein. Währenv
die Liebenden verstohlen auf heimlichen Treppen entschlüpfen, steige du
kühnlich die großen Stiegen hinauf und bedecke die Flächen dieser Wände
und den geheimen'ßvollcn Grund dieser Alcoven mit deinen lüsternen Bil¬
dern, Es bedarf eines neuen Gefühles für diese entarteten Männer, es
bedarf eines neuen Reizmittels für diese verkehrten Weiber. Alle erdenk¬
lichen Lustbecher haben sie geleert; nur den der Kunst haben sie noch nicht
gekostet. Wohlan ans Werk, und galvanisire durch deine Kunst diese
durch Ausschweifungen halb aufgeriebenen Leichen! Man sehe nur, wie
vortrefflich Watteau 'seinen Beruf versteht! Nach dem Ausdrucke des
Mannes, welcher dieses Zeitalter am besten charakterisirt hat, begegnen
wir hier deu Saturnalien des Fleisches, dem Carneval der Sinnenlust,
der Logik der Renaissance, wie sie bis zu ihren äußersten Folgerungen ge-


gezierte Geschmack, welcher vom Hofe des bejahrten Ludwig XIV, aus¬
ging, hatte bereits in unsern Landen/den tyrannischen Einfluß auszuüben,-
angefangen, den,- seit der Zeit, alle guten und schlechten Dinge, die in
Paris/ zu Tage gekommen, ohne Unterlaß bei uns ausgeübt haben. Die
französische Malerei, welche von dieser Zeit an der flamändischen zum-
Muster diente, war allmälig vou jener strengen und großartigen Bahn,
abgewichen, in welcher Poussin, Lesueur und Lebrun sie gehalten
hatten; sie war der Gewalt der Schäferinnen und girrenden Tauben
Watteau's, des Malers der Regentschaft, unterlegen. Wohin mußte
die Kunst nicht gerathen, in jener Zeit völliger-Verderbtheit, wo Frank¬
reich eine Beute der tiefsten und abscheuwürdigsten Entsittlichung geworden
war; wo Ehebruch, Blutschande, jede Art und jeder Grad des Verbre¬
chens, im ,Innern Bankerott, nach Außen Verachtung, überall Schande,
das Ersterben alles Glaubens, und aller Tugend die französische Ge¬
sellschaft untergruben? Und nach der Regentschaft, unter der Negierung
Ludwigs XV. ? — Wir sehen da das Königthum in die Arme der ge-'
meinsten Dirnen geschleudert; Hof und Stadt allen Ausschweifungen ver¬
fallen; die großen Herren Kuppler des Fürsten, und die vornehmen Damen
seine Kupplerinnen; jede Schandthat dem hellen Tage preisgegeben; die
Familien, aufgelöst,, da alle Tugenden die Flucht ergriffen; alle Gesell--
schaftsbande durch die zügellosesten Laster, durch die unerhörtesten Frevel
gebrochen! — Ja, Watteau, da bist - du ganz an deinem Platz, leihe
jener Gesellschaft deinen Pinsel, deine schönen Farben, die -üppige Palette?
deine Feinheit, Anmuth, die Zartheit deiner Gestalten! Lege die Pinsel-
zur Seite, mit denen du die Tbeatsvdccorationen aufstreichst, denn, nun
rufen dich die Alcoven, die kleinen Gemächer laden dich ein. Währenv
die Liebenden verstohlen auf heimlichen Treppen entschlüpfen, steige du
kühnlich die großen Stiegen hinauf und bedecke die Flächen dieser Wände
und den geheimen'ßvollcn Grund dieser Alcoven mit deinen lüsternen Bil¬
dern, Es bedarf eines neuen Gefühles für diese entarteten Männer, es
bedarf eines neuen Reizmittels für diese verkehrten Weiber. Alle erdenk¬
lichen Lustbecher haben sie geleert; nur den der Kunst haben sie noch nicht
gekostet. Wohlan ans Werk, und galvanisire durch deine Kunst diese
durch Ausschweifungen halb aufgeriebenen Leichen! Man sehe nur, wie
vortrefflich Watteau 'seinen Beruf versteht! Nach dem Ausdrucke des
Mannes, welcher dieses Zeitalter am besten charakterisirt hat, begegnen
wir hier deu Saturnalien des Fleisches, dem Carneval der Sinnenlust,
der Logik der Renaissance, wie sie bis zu ihren äußersten Folgerungen ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/30>, abgerufen am 24.07.2024.