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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Oesterreich den Juden seiner, andern Erbstaaten größere Vergünstigun¬
gen. Das Gesetz) welches den Wiener Juden vorschrieb, alle 3 Jahre
ihre Toleranz von Neuem nachzusuchen, wurde abgeschafft; die böhmische
Judenschaft wurde der Emancipation näher gerückt; das Recht zum
Grundbesitz wurde erweitert, dem Cultus und dem Schulwesen freiere
Zugeständnisse bewilligt. Was den Militärdienst betrifft, so ist der jü¬
dische Soldat in Oesterreich bei Weitem besser gestellt, als man im üb¬
rigen Deutschland glaubt. Die österreichische Armee zählt nicht nur eine große
Zahl Unterofficiere, Feldwebel :c., die dem mosaischen Glauben angeht
ren, sondern -- wenn schon ausnahmsweise -- auch Officiere, welche
das Porte-Ev6e-tragen,, ohne der jüdischen Confession entsagt zu.haben.

Wir wollen hier nicht als Anwalt der Juden und ihrer Emancipa¬
tionssache austreten, wir wollen Nichts von Humanität, von christlicher
Liebe, von den allgemeinen Menschenrechten und von all den Gründen spre¬
chen, die schon so zahlreiche beredte Zungen und so zahllose taube Ohren
gefunden haben. Wir fassen in dieser Sache nur den deutschen Gesichts¬
punkt in's Auge,. , die Idee der Nationalität, jenen mächtigen Gedanken, der
sein. Gepräge der jüngsten Zeit auf die Stirne drückte und das Bewußt¬
sein, des deutschen Volkes zu einer höhern Flamme anfachte. Wie wir
'den, Rhein als eine allgemein deutsche, nicht blos als eine preußische
Sache betrachten, für dessen Besitz das ganze wehrhafte Deutschland sein
Blut zu vergießen bereit ist, so ist auch die Sache der preußischen Juden
nicht blos eine preußische, sondern eine allgemein deutsche. Ob ein Be¬
wohner des Rheins, ob ein Bekenner des Mosaismus -- hier gilt
dies gleich. Der preußische Jude kann.dem Militärdienste eben so we-'
nig. entzogen werden, als eine preußische Provinz den Franzosen abgetreten
werden kann. Die preußischen Juden haben zur Zeit des Befreiungs¬
krieges für die allgemeine deutsche Sache gefochten; ihre Kraft und ihre
Wehrhaftigkeit ist ein Eigenthum der Nation geworden, und wir wollen
diesen Besitz nicht verlieren. Deutschland soll ein heiliges Gan¬
zes bleiben, nicht Ein Mann soll uns entrissen werden.

Je weiter wir diese Idee verfolgen, desto inniger wird in uns die
Ueberzeugung, daß das Gerücht, Preußen wolle die Juden vom Mili¬
tärdienste ausschließen, Nichts als ein schlecht erfundenes Mährchen ist.

Wir glauben sogar, Preußen habe kaum die vollständige Berechti-
tigung hierzu. Die deutsche Bevölkerung des preußischen Staats beläuft
sich auf eine Zahl von 10,450,000 Einwohner. Hierunter ist das Ver¬
hältniß der jüdischen Population wie 1 zu 85. Da nun Preußen als


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Oesterreich den Juden seiner, andern Erbstaaten größere Vergünstigun¬
gen. Das Gesetz) welches den Wiener Juden vorschrieb, alle 3 Jahre
ihre Toleranz von Neuem nachzusuchen, wurde abgeschafft; die böhmische
Judenschaft wurde der Emancipation näher gerückt; das Recht zum
Grundbesitz wurde erweitert, dem Cultus und dem Schulwesen freiere
Zugeständnisse bewilligt. Was den Militärdienst betrifft, so ist der jü¬
dische Soldat in Oesterreich bei Weitem besser gestellt, als man im üb¬
rigen Deutschland glaubt. Die österreichische Armee zählt nicht nur eine große
Zahl Unterofficiere, Feldwebel :c., die dem mosaischen Glauben angeht
ren, sondern — wenn schon ausnahmsweise — auch Officiere, welche
das Porte-Ev6e-tragen,, ohne der jüdischen Confession entsagt zu.haben.

Wir wollen hier nicht als Anwalt der Juden und ihrer Emancipa¬
tionssache austreten, wir wollen Nichts von Humanität, von christlicher
Liebe, von den allgemeinen Menschenrechten und von all den Gründen spre¬
chen, die schon so zahlreiche beredte Zungen und so zahllose taube Ohren
gefunden haben. Wir fassen in dieser Sache nur den deutschen Gesichts¬
punkt in's Auge,. , die Idee der Nationalität, jenen mächtigen Gedanken, der
sein. Gepräge der jüngsten Zeit auf die Stirne drückte und das Bewußt¬
sein, des deutschen Volkes zu einer höhern Flamme anfachte. Wie wir
'den, Rhein als eine allgemein deutsche, nicht blos als eine preußische
Sache betrachten, für dessen Besitz das ganze wehrhafte Deutschland sein
Blut zu vergießen bereit ist, so ist auch die Sache der preußischen Juden
nicht blos eine preußische, sondern eine allgemein deutsche. Ob ein Be¬
wohner des Rheins, ob ein Bekenner des Mosaismus — hier gilt
dies gleich. Der preußische Jude kann.dem Militärdienste eben so we-'
nig. entzogen werden, als eine preußische Provinz den Franzosen abgetreten
werden kann. Die preußischen Juden haben zur Zeit des Befreiungs¬
krieges für die allgemeine deutsche Sache gefochten; ihre Kraft und ihre
Wehrhaftigkeit ist ein Eigenthum der Nation geworden, und wir wollen
diesen Besitz nicht verlieren. Deutschland soll ein heiliges Gan¬
zes bleiben, nicht Ein Mann soll uns entrissen werden.

Je weiter wir diese Idee verfolgen, desto inniger wird in uns die
Ueberzeugung, daß das Gerücht, Preußen wolle die Juden vom Mili¬
tärdienste ausschließen, Nichts als ein schlecht erfundenes Mährchen ist.

Wir glauben sogar, Preußen habe kaum die vollständige Berechti-
tigung hierzu. Die deutsche Bevölkerung des preußischen Staats beläuft
sich auf eine Zahl von 10,450,000 Einwohner. Hierunter ist das Ver¬
hältniß der jüdischen Population wie 1 zu 85. Da nun Preußen als


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[0288] Oesterreich den Juden seiner, andern Erbstaaten größere Vergünstigun¬ gen. Das Gesetz) welches den Wiener Juden vorschrieb, alle 3 Jahre ihre Toleranz von Neuem nachzusuchen, wurde abgeschafft; die böhmische Judenschaft wurde der Emancipation näher gerückt; das Recht zum Grundbesitz wurde erweitert, dem Cultus und dem Schulwesen freiere Zugeständnisse bewilligt. Was den Militärdienst betrifft, so ist der jü¬ dische Soldat in Oesterreich bei Weitem besser gestellt, als man im üb¬ rigen Deutschland glaubt. Die österreichische Armee zählt nicht nur eine große Zahl Unterofficiere, Feldwebel :c., die dem mosaischen Glauben angeht ren, sondern — wenn schon ausnahmsweise — auch Officiere, welche das Porte-Ev6e-tragen,, ohne der jüdischen Confession entsagt zu.haben. Wir wollen hier nicht als Anwalt der Juden und ihrer Emancipa¬ tionssache austreten, wir wollen Nichts von Humanität, von christlicher Liebe, von den allgemeinen Menschenrechten und von all den Gründen spre¬ chen, die schon so zahlreiche beredte Zungen und so zahllose taube Ohren gefunden haben. Wir fassen in dieser Sache nur den deutschen Gesichts¬ punkt in's Auge,. , die Idee der Nationalität, jenen mächtigen Gedanken, der sein. Gepräge der jüngsten Zeit auf die Stirne drückte und das Bewußt¬ sein, des deutschen Volkes zu einer höhern Flamme anfachte. Wie wir 'den, Rhein als eine allgemein deutsche, nicht blos als eine preußische Sache betrachten, für dessen Besitz das ganze wehrhafte Deutschland sein Blut zu vergießen bereit ist, so ist auch die Sache der preußischen Juden nicht blos eine preußische, sondern eine allgemein deutsche. Ob ein Be¬ wohner des Rheins, ob ein Bekenner des Mosaismus — hier gilt dies gleich. Der preußische Jude kann.dem Militärdienste eben so we-' nig. entzogen werden, als eine preußische Provinz den Franzosen abgetreten werden kann. Die preußischen Juden haben zur Zeit des Befreiungs¬ krieges für die allgemeine deutsche Sache gefochten; ihre Kraft und ihre Wehrhaftigkeit ist ein Eigenthum der Nation geworden, und wir wollen diesen Besitz nicht verlieren. Deutschland soll ein heiliges Gan¬ zes bleiben, nicht Ein Mann soll uns entrissen werden. Je weiter wir diese Idee verfolgen, desto inniger wird in uns die Ueberzeugung, daß das Gerücht, Preußen wolle die Juden vom Mili¬ tärdienste ausschließen, Nichts als ein schlecht erfundenes Mährchen ist. Wir glauben sogar, Preußen habe kaum die vollständige Berechti- tigung hierzu. Die deutsche Bevölkerung des preußischen Staats beläuft sich auf eine Zahl von 10,450,000 Einwohner. Hierunter ist das Ver¬ hältniß der jüdischen Population wie 1 zu 85. Da nun Preußen als 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/288>, abgerufen am 02.07.2024.