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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Zu jener Zeit warm die Schriftsteller die allmächtigen Schiedsricht¬
er in jedem Streit, und ihr Urtheil war in jeder dem Tribunal der öf¬
fentlichen Meinung unterworfenen Frage als competent erachtet. Da sie
die etwas anmaßende Meinung hatten, als besäßen sie in Bezug - auf
Künste und Wissenschaften hinlängliche Kenntnisse, um offen ihre Stimme
darüber abzugeben, obgleich sie in Wahrheit oft nicht die ersten Begriffe
davon inne hatten, so fällten sie mit Dreistigkeit Urtheile, die von gutem
Geschmack, wie von der Wahrheit gleich weit entfernt waren. Es war
um einmal eine bestehende Einrichtung, daß Nichts ihrer Censur ent¬
ging, und die Menge verfehlte nie ihre Aussprüche als unfehlbar an¬
zunehmen. Leute, die man Philosophen nannte, und die oft die uner¬
träglichsten Geschöpfe auf Gottes Erdboden waren, urtheilten über Alles
mit einer Pedanterie ab, die sich schlecht mit der Unwissenheit vertrug,
in der man damals in Betreff vieler Künste und Wissenschaften war.
Es gab unter den Schriftstellern nur wenig Specialitäten, die sich nur
Einer Art von Studien gewidmet hatten, sondern nach dem Beispiele Vol¬
taires, des Oberhauptes dieser Schule, hatten alle Schriftsteller dieser
Zeit die Anmaßung einer universal-wissenschaftlichen Bildung. Wenn
man daher, die Urtheile jener Zeit über Malerei, Bildhauerkunst und
Musik liest, so gelangt man zu der Ueberzeugung, daß die noch heute
unvollkommene Erziehung der Franzosen damals im höchsten Grade ver¬
nachlässigt war. Die Künstler, und vorzüglich die Musiker, besaßen zu
wenig Bildung, um selbst zur Feder zu greifen und die falschen Ideen,
welche das Geschwätz der Schriftsteller in der Gesellschaft verbreitete,
durch richtigere zu ersetzen. Unwissend in allen außer in den reinmate¬
riellen, fast handwerksmäßigen Theilen ihrer Kunst, waren sie nicht im
Stande, an den Discussionen Theil zu nehmen und bestätigten so gewis¬
sermaßen durch ihr Stillschweigen die Irrthümer der Philosophen.

Der musikalische Streit also, zu dem Gluck und Piccini Veranlas¬
sung gaben, ward ebenfalls unter, den Literaten durchgefochten. Die Mu¬
siker spielten keine Rolle ,in demselben, obgleich die Frage doch einiger
Maßen in den Bereich ihres Urtheils gehörte, und das Publikum dachte
auch nicht einen Augenblick daran, sich nach ihrer Meinung zu erkundi¬
gen. Mcmnontel, Abbe Arnaud, Suard, Laharpe, Framery, Ginguene,
waren die Schriftsteller einer Polemik, die mehr als 2 Jahre dauerte,
und die das außerordentliche Privilegium besaß, die Aufmerksamkeit des
wandelbarsten Publicums der Welt zu fesseln. Ihre Streitschriften er-
chienen in der Literarischen Zeitung, im Journal von Paris,


Zu jener Zeit warm die Schriftsteller die allmächtigen Schiedsricht¬
er in jedem Streit, und ihr Urtheil war in jeder dem Tribunal der öf¬
fentlichen Meinung unterworfenen Frage als competent erachtet. Da sie
die etwas anmaßende Meinung hatten, als besäßen sie in Bezug - auf
Künste und Wissenschaften hinlängliche Kenntnisse, um offen ihre Stimme
darüber abzugeben, obgleich sie in Wahrheit oft nicht die ersten Begriffe
davon inne hatten, so fällten sie mit Dreistigkeit Urtheile, die von gutem
Geschmack, wie von der Wahrheit gleich weit entfernt waren. Es war
um einmal eine bestehende Einrichtung, daß Nichts ihrer Censur ent¬
ging, und die Menge verfehlte nie ihre Aussprüche als unfehlbar an¬
zunehmen. Leute, die man Philosophen nannte, und die oft die uner¬
träglichsten Geschöpfe auf Gottes Erdboden waren, urtheilten über Alles
mit einer Pedanterie ab, die sich schlecht mit der Unwissenheit vertrug,
in der man damals in Betreff vieler Künste und Wissenschaften war.
Es gab unter den Schriftstellern nur wenig Specialitäten, die sich nur
Einer Art von Studien gewidmet hatten, sondern nach dem Beispiele Vol¬
taires, des Oberhauptes dieser Schule, hatten alle Schriftsteller dieser
Zeit die Anmaßung einer universal-wissenschaftlichen Bildung. Wenn
man daher, die Urtheile jener Zeit über Malerei, Bildhauerkunst und
Musik liest, so gelangt man zu der Ueberzeugung, daß die noch heute
unvollkommene Erziehung der Franzosen damals im höchsten Grade ver¬
nachlässigt war. Die Künstler, und vorzüglich die Musiker, besaßen zu
wenig Bildung, um selbst zur Feder zu greifen und die falschen Ideen,
welche das Geschwätz der Schriftsteller in der Gesellschaft verbreitete,
durch richtigere zu ersetzen. Unwissend in allen außer in den reinmate¬
riellen, fast handwerksmäßigen Theilen ihrer Kunst, waren sie nicht im
Stande, an den Discussionen Theil zu nehmen und bestätigten so gewis¬
sermaßen durch ihr Stillschweigen die Irrthümer der Philosophen.

Der musikalische Streit also, zu dem Gluck und Piccini Veranlas¬
sung gaben, ward ebenfalls unter, den Literaten durchgefochten. Die Mu¬
siker spielten keine Rolle ,in demselben, obgleich die Frage doch einiger
Maßen in den Bereich ihres Urtheils gehörte, und das Publikum dachte
auch nicht einen Augenblick daran, sich nach ihrer Meinung zu erkundi¬
gen. Mcmnontel, Abbe Arnaud, Suard, Laharpe, Framery, Ginguene,
waren die Schriftsteller einer Polemik, die mehr als 2 Jahre dauerte,
und die das außerordentliche Privilegium besaß, die Aufmerksamkeit des
wandelbarsten Publicums der Welt zu fesseln. Ihre Streitschriften er-
chienen in der Literarischen Zeitung, im Journal von Paris,


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[0275] Zu jener Zeit warm die Schriftsteller die allmächtigen Schiedsricht¬ er in jedem Streit, und ihr Urtheil war in jeder dem Tribunal der öf¬ fentlichen Meinung unterworfenen Frage als competent erachtet. Da sie die etwas anmaßende Meinung hatten, als besäßen sie in Bezug - auf Künste und Wissenschaften hinlängliche Kenntnisse, um offen ihre Stimme darüber abzugeben, obgleich sie in Wahrheit oft nicht die ersten Begriffe davon inne hatten, so fällten sie mit Dreistigkeit Urtheile, die von gutem Geschmack, wie von der Wahrheit gleich weit entfernt waren. Es war um einmal eine bestehende Einrichtung, daß Nichts ihrer Censur ent¬ ging, und die Menge verfehlte nie ihre Aussprüche als unfehlbar an¬ zunehmen. Leute, die man Philosophen nannte, und die oft die uner¬ träglichsten Geschöpfe auf Gottes Erdboden waren, urtheilten über Alles mit einer Pedanterie ab, die sich schlecht mit der Unwissenheit vertrug, in der man damals in Betreff vieler Künste und Wissenschaften war. Es gab unter den Schriftstellern nur wenig Specialitäten, die sich nur Einer Art von Studien gewidmet hatten, sondern nach dem Beispiele Vol¬ taires, des Oberhauptes dieser Schule, hatten alle Schriftsteller dieser Zeit die Anmaßung einer universal-wissenschaftlichen Bildung. Wenn man daher, die Urtheile jener Zeit über Malerei, Bildhauerkunst und Musik liest, so gelangt man zu der Ueberzeugung, daß die noch heute unvollkommene Erziehung der Franzosen damals im höchsten Grade ver¬ nachlässigt war. Die Künstler, und vorzüglich die Musiker, besaßen zu wenig Bildung, um selbst zur Feder zu greifen und die falschen Ideen, welche das Geschwätz der Schriftsteller in der Gesellschaft verbreitete, durch richtigere zu ersetzen. Unwissend in allen außer in den reinmate¬ riellen, fast handwerksmäßigen Theilen ihrer Kunst, waren sie nicht im Stande, an den Discussionen Theil zu nehmen und bestätigten so gewis¬ sermaßen durch ihr Stillschweigen die Irrthümer der Philosophen. Der musikalische Streit also, zu dem Gluck und Piccini Veranlas¬ sung gaben, ward ebenfalls unter, den Literaten durchgefochten. Die Mu¬ siker spielten keine Rolle ,in demselben, obgleich die Frage doch einiger Maßen in den Bereich ihres Urtheils gehörte, und das Publikum dachte auch nicht einen Augenblick daran, sich nach ihrer Meinung zu erkundi¬ gen. Mcmnontel, Abbe Arnaud, Suard, Laharpe, Framery, Ginguene, waren die Schriftsteller einer Polemik, die mehr als 2 Jahre dauerte, und die das außerordentliche Privilegium besaß, die Aufmerksamkeit des wandelbarsten Publicums der Welt zu fesseln. Ihre Streitschriften er- chienen in der Literarischen Zeitung, im Journal von Paris,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/275>, abgerufen am 23.07.2024.