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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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vieler, Selbstgefälligkeit von sich selbst, und dem Verdienste seiner Werke,
indem er folgendermaßen fortfährt:

//Sie sagen mir, mein theurer Freund, daß Nichts jemals meiner
Alceste gleichkommen wird; ich bin weit entfernt, Ihrer Prophezeiung
beizupflichten. Alceste ist ein-vollkommenes Trauerspiel, und ich ge¬
stehe es ein, daß nach meinem Dafürhalten ihr nur sehr wenig zur
Vollkommenheit fehlt; aber Sie glauben nicht, wie viel verschiedenartiger
Färbungen die Musik fähig ist,, wie viel verschiedenartige Bahnen man
einschlagen kann; das Ensemble der Armida ist von dem der Alceste
so unendlich verschieden, daß Sie kaum daran glauben werden, daß sie
beide von ein und demselben Komponisten herrühren. Dafür habe ich
auch, was mir noch an Saft und Kraft geblieben ist, auf die , Vollen¬
dung der Armida verwandt; ich habe versucht, darin mehr Maler
und Dichter zu sein, als Musiker; übrigens werden Sie ja selbst darü¬
ber urtheilen, wenn man es einer Aufführung für werth 'hält. Ich
muß aufhören, sonst müssen Sie glauben, daß ich ein Narr oder ein
Charlatan geworden bin. Nichts macht einen so üblen Eindruck, als
Selbstlob; das kömmt nur einem Corneille zu; aber wenn Marmontel
oder ich uns selbst loben, dann spottet man unser, und lacht uns in's
Gesicht.// ' , '

Gluck ist nicht der einzige berühmte Künstler, der freimüthig genug
gewesen, um dem Vertrauten seines Herzens das mitzutheilen, was er
von sich selbst dachte. Mozart spricht in seinen Briefen- an seine Fami¬
lie ohne alle affectirte Bescheidenheit von seinem Verdienst; aber außer¬
dem, daß seine Eitelkeit ihn nicht zu Uebertreibungen verleitet-, behandelt
er auch stets seine Rivale weit rücksichtsvoller und ziemender. Was man
an Gluck tadeln muß, ist die Verachtung, die er für einen Künstler cif-
fectirt, dessen Talent und Berühmtheit ihn: größere Umsicht zum Gesetz
machten. > Es ist ein sehr schlechtes Mittel, wenn man zum Zweck seiner
eigenen Erhebung seine Gegner herabsetzt; man ist im Gegentheil viel
stärker, wenn man durch die Macht seines Verdienstes furchtbare Neben¬
buhler besiegt hat. Man tadelte Gluck einstimmig wegen des Styls die¬
ses Briefs, von dem wir hier einige Fragmente mitgetheilt haben; es
war eine Herausforderung zum Kriege, deren Wirkungen nicht lange auf sich
warten ließen. Indem die Gluck'sehe Partei sich der Uebertreibung hin¬
gab,, bewirkte sie, daß diejenigen, die ihre Bewunderung nicht theilten,
die Sache im entgegengesetzten Sinne übertrieben, und bald herrschte auf
beiden Seiten die heftigste Erbitterung.


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vieler, Selbstgefälligkeit von sich selbst, und dem Verdienste seiner Werke,
indem er folgendermaßen fortfährt:

//Sie sagen mir, mein theurer Freund, daß Nichts jemals meiner
Alceste gleichkommen wird; ich bin weit entfernt, Ihrer Prophezeiung
beizupflichten. Alceste ist ein-vollkommenes Trauerspiel, und ich ge¬
stehe es ein, daß nach meinem Dafürhalten ihr nur sehr wenig zur
Vollkommenheit fehlt; aber Sie glauben nicht, wie viel verschiedenartiger
Färbungen die Musik fähig ist,, wie viel verschiedenartige Bahnen man
einschlagen kann; das Ensemble der Armida ist von dem der Alceste
so unendlich verschieden, daß Sie kaum daran glauben werden, daß sie
beide von ein und demselben Komponisten herrühren. Dafür habe ich
auch, was mir noch an Saft und Kraft geblieben ist, auf die , Vollen¬
dung der Armida verwandt; ich habe versucht, darin mehr Maler
und Dichter zu sein, als Musiker; übrigens werden Sie ja selbst darü¬
ber urtheilen, wenn man es einer Aufführung für werth 'hält. Ich
muß aufhören, sonst müssen Sie glauben, daß ich ein Narr oder ein
Charlatan geworden bin. Nichts macht einen so üblen Eindruck, als
Selbstlob; das kömmt nur einem Corneille zu; aber wenn Marmontel
oder ich uns selbst loben, dann spottet man unser, und lacht uns in's
Gesicht.// ' , '

Gluck ist nicht der einzige berühmte Künstler, der freimüthig genug
gewesen, um dem Vertrauten seines Herzens das mitzutheilen, was er
von sich selbst dachte. Mozart spricht in seinen Briefen- an seine Fami¬
lie ohne alle affectirte Bescheidenheit von seinem Verdienst; aber außer¬
dem, daß seine Eitelkeit ihn nicht zu Uebertreibungen verleitet-, behandelt
er auch stets seine Rivale weit rücksichtsvoller und ziemender. Was man
an Gluck tadeln muß, ist die Verachtung, die er für einen Künstler cif-
fectirt, dessen Talent und Berühmtheit ihn: größere Umsicht zum Gesetz
machten. > Es ist ein sehr schlechtes Mittel, wenn man zum Zweck seiner
eigenen Erhebung seine Gegner herabsetzt; man ist im Gegentheil viel
stärker, wenn man durch die Macht seines Verdienstes furchtbare Neben¬
buhler besiegt hat. Man tadelte Gluck einstimmig wegen des Styls die¬
ses Briefs, von dem wir hier einige Fragmente mitgetheilt haben; es
war eine Herausforderung zum Kriege, deren Wirkungen nicht lange auf sich
warten ließen. Indem die Gluck'sehe Partei sich der Uebertreibung hin¬
gab,, bewirkte sie, daß diejenigen, die ihre Bewunderung nicht theilten,
die Sache im entgegengesetzten Sinne übertrieben, und bald herrschte auf
beiden Seiten die heftigste Erbitterung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/274>, abgerufen am 23.07.2024.