Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

rühmte Musiker verursachte Gluck mehr Unruhe, als der Schatten Lul-
u'ö und Nameau's.

Piccini, um einige Jahre jünger als Gluck, war 1723 in Bari,
im Königreich Neapel geboren. , Zuerst für den geistlichen Stand be¬
stimmt, mußte er seinen Geschmack für die Musik verheimlichen, und
im Verborgenen daran arbeiten, sich die ersten Elemente dieser Kunst
vertraut zu machen. Endlich aber brachte er es so weit, daß man ihm
die Freiheit gab, sich seiner Lieblingsbeschäftigung ganz zu widmen und
er fing an, unter der Leitung des berühmten Leo zu arbeiten. Nach
zwölfjährigen Studien verließ er das Conservatorium, Alles wissend,
was man in der Musik wissen kann) er debütirte mit einigen komischen
Opern, versuchte bald darauf den tragischen Styl, und zählte so .viel
Triumphe, als Opern von ihm aufgeführt worden waren. Kurz, er
war der erste Componist Italiens, als man daran dachte, ihn' nach
Frankreich kommen zu lassen, um ihn mit Gluck in Concurrenz zu
setzen. Piccini kam, in Begleitung seiner Familie, in den letzten Ta¬
gen des December 1773 in Paris an. Er fand nicht Alles, was er
erwartete, und was man ihm versprochen hatte. Sein Engagement lau¬
tete dahin, daß er außer einem Gehalt von MOV Livres' und seinen
Reisekosten von Seiten des Königs, freie Wohnung und freien Tisch
beim neapolitanischen Gesandten haben solle; dieser letztere aber war
nicht darauf vorbereitet, ihn zu empfangen; er sah sich also genöthigt,
ein anderes Obdach zu suchen. Er nahm eine Wohnung bei Marmon-
tel, einem der bedeutendsten Schriftsteller, denen allen er vorgestellt wurde
und einem derer, die ihn mit dem meisten Eifer aufnahmen. Marmon-
iel übernahm es, ihm Unterricht im Französischen zu geben, das er
kennen mußte, um in dieser Sprache geschriebene Operntcrte zu compo-
niren, und er nahm als Gegenstand seiner Studien die Opern von
Quinault, die er in 3 Akten anordnete, und in denen er viele Verse
änderte, indem er seinem berühmten Schüler die Gesetze der Poesie lehrte.
Roland war das erste Werk, das Piccini ganz auf einen französischen
Tert geschrieben, und das er für eine Aufführung an der Oper vorbe¬
reitete, deren Verwaltung es bei ihm bestellt hatte"

' Glück war in Wien, wo er seine Armida vollendete, als er er¬
fuhr, daß die Verwaltung der Oper daran denke, die Rollen von Pic-
cini's Roland zu vertheilen; ,er selbst hatte eine Partitur über diesen
Stoff angefangen; aber er ^gab sie plötzlich auf, und setzte seine Beweg¬
gründe zu diesem Einschluß in einem Briefe an den Battel de Rottet


88

rühmte Musiker verursachte Gluck mehr Unruhe, als der Schatten Lul-
u'ö und Nameau's.

Piccini, um einige Jahre jünger als Gluck, war 1723 in Bari,
im Königreich Neapel geboren. , Zuerst für den geistlichen Stand be¬
stimmt, mußte er seinen Geschmack für die Musik verheimlichen, und
im Verborgenen daran arbeiten, sich die ersten Elemente dieser Kunst
vertraut zu machen. Endlich aber brachte er es so weit, daß man ihm
die Freiheit gab, sich seiner Lieblingsbeschäftigung ganz zu widmen und
er fing an, unter der Leitung des berühmten Leo zu arbeiten. Nach
zwölfjährigen Studien verließ er das Conservatorium, Alles wissend,
was man in der Musik wissen kann) er debütirte mit einigen komischen
Opern, versuchte bald darauf den tragischen Styl, und zählte so .viel
Triumphe, als Opern von ihm aufgeführt worden waren. Kurz, er
war der erste Componist Italiens, als man daran dachte, ihn' nach
Frankreich kommen zu lassen, um ihn mit Gluck in Concurrenz zu
setzen. Piccini kam, in Begleitung seiner Familie, in den letzten Ta¬
gen des December 1773 in Paris an. Er fand nicht Alles, was er
erwartete, und was man ihm versprochen hatte. Sein Engagement lau¬
tete dahin, daß er außer einem Gehalt von MOV Livres' und seinen
Reisekosten von Seiten des Königs, freie Wohnung und freien Tisch
beim neapolitanischen Gesandten haben solle; dieser letztere aber war
nicht darauf vorbereitet, ihn zu empfangen; er sah sich also genöthigt,
ein anderes Obdach zu suchen. Er nahm eine Wohnung bei Marmon-
tel, einem der bedeutendsten Schriftsteller, denen allen er vorgestellt wurde
und einem derer, die ihn mit dem meisten Eifer aufnahmen. Marmon-
iel übernahm es, ihm Unterricht im Französischen zu geben, das er
kennen mußte, um in dieser Sprache geschriebene Operntcrte zu compo-
niren, und er nahm als Gegenstand seiner Studien die Opern von
Quinault, die er in 3 Akten anordnete, und in denen er viele Verse
änderte, indem er seinem berühmten Schüler die Gesetze der Poesie lehrte.
Roland war das erste Werk, das Piccini ganz auf einen französischen
Tert geschrieben, und das er für eine Aufführung an der Oper vorbe¬
reitete, deren Verwaltung es bei ihm bestellt hatte»

' Glück war in Wien, wo er seine Armida vollendete, als er er¬
fuhr, daß die Verwaltung der Oper daran denke, die Rollen von Pic-
cini's Roland zu vertheilen; ,er selbst hatte eine Partitur über diesen
Stoff angefangen; aber er ^gab sie plötzlich auf, und setzte seine Beweg¬
gründe zu diesem Einschluß in einem Briefe an den Battel de Rottet


88
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0272" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267486"/>
          <p xml:id="ID_1088" prev="#ID_1087"> rühmte Musiker verursachte Gluck mehr Unruhe, als der Schatten Lul-<lb/>
u'ö und Nameau's.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1089"> Piccini, um einige Jahre jünger als Gluck, war 1723 in Bari,<lb/>
im Königreich Neapel geboren. , Zuerst für den geistlichen Stand be¬<lb/>
stimmt, mußte er seinen Geschmack für die Musik verheimlichen, und<lb/>
im Verborgenen daran arbeiten, sich die ersten Elemente dieser Kunst<lb/>
vertraut zu machen. Endlich aber brachte er es so weit, daß man ihm<lb/>
die Freiheit gab, sich seiner Lieblingsbeschäftigung ganz zu widmen und<lb/>
er fing an, unter der Leitung des berühmten Leo zu arbeiten. Nach<lb/>
zwölfjährigen Studien verließ er das Conservatorium, Alles wissend,<lb/>
was man in der Musik wissen kann) er debütirte mit einigen komischen<lb/>
Opern, versuchte bald darauf den tragischen Styl, und zählte so .viel<lb/>
Triumphe, als Opern von ihm aufgeführt worden waren. Kurz, er<lb/>
war der erste Componist Italiens, als man daran dachte, ihn' nach<lb/>
Frankreich kommen zu lassen, um ihn mit Gluck in Concurrenz zu<lb/>
setzen. Piccini kam, in Begleitung seiner Familie, in den letzten Ta¬<lb/>
gen des December 1773 in Paris an. Er fand nicht Alles, was er<lb/>
erwartete, und was man ihm versprochen hatte. Sein Engagement lau¬<lb/>
tete dahin, daß er außer einem Gehalt von MOV Livres' und seinen<lb/>
Reisekosten von Seiten des Königs, freie Wohnung und freien Tisch<lb/>
beim neapolitanischen Gesandten haben solle; dieser letztere aber war<lb/>
nicht darauf vorbereitet, ihn zu empfangen; er sah sich also genöthigt,<lb/>
ein anderes Obdach zu suchen. Er nahm eine Wohnung bei Marmon-<lb/>
tel, einem der bedeutendsten Schriftsteller, denen allen er vorgestellt wurde<lb/>
und einem derer, die ihn mit dem meisten Eifer aufnahmen. Marmon-<lb/>
iel übernahm es, ihm Unterricht im Französischen zu geben, das er<lb/>
kennen mußte, um in dieser Sprache geschriebene Operntcrte zu compo-<lb/>
niren, und er nahm als Gegenstand seiner Studien die Opern von<lb/>
Quinault, die er in 3 Akten anordnete, und in denen er viele Verse<lb/>
änderte, indem er seinem berühmten Schüler die Gesetze der Poesie lehrte.<lb/>
Roland war das erste Werk, das Piccini ganz auf einen französischen<lb/>
Tert geschrieben, und das er für eine Aufführung an der Oper vorbe¬<lb/>
reitete, deren Verwaltung es bei ihm bestellt hatte»</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" next="#ID_1091"> ' Glück war in Wien, wo er seine Armida vollendete, als er er¬<lb/>
fuhr, daß die Verwaltung der Oper daran denke, die Rollen von Pic-<lb/>
cini's Roland zu vertheilen; ,er selbst hatte eine Partitur über diesen<lb/>
Stoff angefangen; aber er ^gab sie plötzlich auf, und setzte seine Beweg¬<lb/>
gründe zu diesem Einschluß in einem Briefe an den Battel de Rottet</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 88</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0272] rühmte Musiker verursachte Gluck mehr Unruhe, als der Schatten Lul- u'ö und Nameau's. Piccini, um einige Jahre jünger als Gluck, war 1723 in Bari, im Königreich Neapel geboren. , Zuerst für den geistlichen Stand be¬ stimmt, mußte er seinen Geschmack für die Musik verheimlichen, und im Verborgenen daran arbeiten, sich die ersten Elemente dieser Kunst vertraut zu machen. Endlich aber brachte er es so weit, daß man ihm die Freiheit gab, sich seiner Lieblingsbeschäftigung ganz zu widmen und er fing an, unter der Leitung des berühmten Leo zu arbeiten. Nach zwölfjährigen Studien verließ er das Conservatorium, Alles wissend, was man in der Musik wissen kann) er debütirte mit einigen komischen Opern, versuchte bald darauf den tragischen Styl, und zählte so .viel Triumphe, als Opern von ihm aufgeführt worden waren. Kurz, er war der erste Componist Italiens, als man daran dachte, ihn' nach Frankreich kommen zu lassen, um ihn mit Gluck in Concurrenz zu setzen. Piccini kam, in Begleitung seiner Familie, in den letzten Ta¬ gen des December 1773 in Paris an. Er fand nicht Alles, was er erwartete, und was man ihm versprochen hatte. Sein Engagement lau¬ tete dahin, daß er außer einem Gehalt von MOV Livres' und seinen Reisekosten von Seiten des Königs, freie Wohnung und freien Tisch beim neapolitanischen Gesandten haben solle; dieser letztere aber war nicht darauf vorbereitet, ihn zu empfangen; er sah sich also genöthigt, ein anderes Obdach zu suchen. Er nahm eine Wohnung bei Marmon- tel, einem der bedeutendsten Schriftsteller, denen allen er vorgestellt wurde und einem derer, die ihn mit dem meisten Eifer aufnahmen. Marmon- iel übernahm es, ihm Unterricht im Französischen zu geben, das er kennen mußte, um in dieser Sprache geschriebene Operntcrte zu compo- niren, und er nahm als Gegenstand seiner Studien die Opern von Quinault, die er in 3 Akten anordnete, und in denen er viele Verse änderte, indem er seinem berühmten Schüler die Gesetze der Poesie lehrte. Roland war das erste Werk, das Piccini ganz auf einen französischen Tert geschrieben, und das er für eine Aufführung an der Oper vorbe¬ reitete, deren Verwaltung es bei ihm bestellt hatte» ' Glück war in Wien, wo er seine Armida vollendete, als er er¬ fuhr, daß die Verwaltung der Oper daran denke, die Rollen von Pic- cini's Roland zu vertheilen; ,er selbst hatte eine Partitur über diesen Stoff angefangen; aber er ^gab sie plötzlich auf, und setzte seine Beweg¬ gründe zu diesem Einschluß in einem Briefe an den Battel de Rottet 88

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/272
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/272>, abgerufen am 23.07.2024.