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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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deren Stückes (Baßarie Nro. 4 ?ro priv"dis) scheint eins Nach¬
ahmung des Karl Maria von Weber'schen sein zu sollen. Eins
der schönsten Stücke des Werkes ist Nro. 5, für Baß mit Chören. Es
hat im Concerte einen bedeutenden Eindruck hervorgebracht. In dem
Quartett Nro. 6 (K-in^ta mater Istum AgAs) bemerkt man ein Ge¬
misch von religiösem Gefühl und theatralischen Styl. Letzterer ist be¬
sonders in den Modulationen und Endungen der Phrasen bemerklich.
Die Cavatine des Contrealto ist hier in Brüssel nicht gesungen
worden, was durchaus nicht zu bedauern ist; denn es ist ein reines
Opernstück, worin die Musik die Höhe des sujets nicht erreicht hat.
Dagegen ist die Sopranane mit Chor- und Orchester-Begleitung eine
großartige Composition, die einen ergreifenden Effekt macht, und worin
man Rossini's Genie in seinem ganzen Glänze wiederfindet. Vor dieser
schönen Arie hatte man das Quartett ohne Begleitung Nro. 9 Hu-malo
corpus inoriewr eingeschoben, das auch ein ausgezeichnetes Stück ist,
mit dem man aber nicht schließen konnte. Der Grund dieser Versetzung
war, weil man nicht das Finale wollte hören lassen, einen
Fugensatz, den Sachkenner als eine schwache Arbeit ansehen, worin man
bemerkt, wie fremd dem Verfasser die streng wissenschaftlichen Formen
sind. -- Wenn man auf die so nothwendige und doch so wenig beob¬
achtete Scheidung der verschiedenen Musikstyle Rücksicht nimmt, so
kann man nicht umhin, in vielen Stellen des Nossinischen Stäben einen
gänzlichen Mangel jener ernsten und feierlichen Färbung zu bemerken,
welche der Charakter aller religiösen Musik sein muß; ja man kann den
fast uyablcißigen Fehler Rossini's nicht verkennen, jene oftgebrauchten
Formeln wiederzufinden, die er in seiner so langen und so thätigen Lauf¬
bahn so häufig angewandt hat. Betrachtet man aber diese seine letzte
Schöpfung nur von rein musikalischen Gesichtspunkte aus, und abstra¬
hlt man dabei von jedem andern Standpunkte der Betrachtung, so
muß man eingestehen, daß man die gewaltige Hand des Meisters da¬
rin erkennt.




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deren Stückes (Baßarie Nro. 4 ?ro priv«dis) scheint eins Nach¬
ahmung des Karl Maria von Weber'schen sein zu sollen. Eins
der schönsten Stücke des Werkes ist Nro. 5, für Baß mit Chören. Es
hat im Concerte einen bedeutenden Eindruck hervorgebracht. In dem
Quartett Nro. 6 (K-in^ta mater Istum AgAs) bemerkt man ein Ge¬
misch von religiösem Gefühl und theatralischen Styl. Letzterer ist be¬
sonders in den Modulationen und Endungen der Phrasen bemerklich.
Die Cavatine des Contrealto ist hier in Brüssel nicht gesungen
worden, was durchaus nicht zu bedauern ist; denn es ist ein reines
Opernstück, worin die Musik die Höhe des sujets nicht erreicht hat.
Dagegen ist die Sopranane mit Chor- und Orchester-Begleitung eine
großartige Composition, die einen ergreifenden Effekt macht, und worin
man Rossini's Genie in seinem ganzen Glänze wiederfindet. Vor dieser
schönen Arie hatte man das Quartett ohne Begleitung Nro. 9 Hu-malo
corpus inoriewr eingeschoben, das auch ein ausgezeichnetes Stück ist,
mit dem man aber nicht schließen konnte. Der Grund dieser Versetzung
war, weil man nicht das Finale wollte hören lassen, einen
Fugensatz, den Sachkenner als eine schwache Arbeit ansehen, worin man
bemerkt, wie fremd dem Verfasser die streng wissenschaftlichen Formen
sind. — Wenn man auf die so nothwendige und doch so wenig beob¬
achtete Scheidung der verschiedenen Musikstyle Rücksicht nimmt, so
kann man nicht umhin, in vielen Stellen des Nossinischen Stäben einen
gänzlichen Mangel jener ernsten und feierlichen Färbung zu bemerken,
welche der Charakter aller religiösen Musik sein muß; ja man kann den
fast uyablcißigen Fehler Rossini's nicht verkennen, jene oftgebrauchten
Formeln wiederzufinden, die er in seiner so langen und so thätigen Lauf¬
bahn so häufig angewandt hat. Betrachtet man aber diese seine letzte
Schöpfung nur von rein musikalischen Gesichtspunkte aus, und abstra¬
hlt man dabei von jedem andern Standpunkte der Betrachtung, so
muß man eingestehen, daß man die gewaltige Hand des Meisters da¬
rin erkennt.




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[0260] deren Stückes (Baßarie Nro. 4 ?ro priv«dis) scheint eins Nach¬ ahmung des Karl Maria von Weber'schen sein zu sollen. Eins der schönsten Stücke des Werkes ist Nro. 5, für Baß mit Chören. Es hat im Concerte einen bedeutenden Eindruck hervorgebracht. In dem Quartett Nro. 6 (K-in^ta mater Istum AgAs) bemerkt man ein Ge¬ misch von religiösem Gefühl und theatralischen Styl. Letzterer ist be¬ sonders in den Modulationen und Endungen der Phrasen bemerklich. Die Cavatine des Contrealto ist hier in Brüssel nicht gesungen worden, was durchaus nicht zu bedauern ist; denn es ist ein reines Opernstück, worin die Musik die Höhe des sujets nicht erreicht hat. Dagegen ist die Sopranane mit Chor- und Orchester-Begleitung eine großartige Composition, die einen ergreifenden Effekt macht, und worin man Rossini's Genie in seinem ganzen Glänze wiederfindet. Vor dieser schönen Arie hatte man das Quartett ohne Begleitung Nro. 9 Hu-malo corpus inoriewr eingeschoben, das auch ein ausgezeichnetes Stück ist, mit dem man aber nicht schließen konnte. Der Grund dieser Versetzung war, weil man nicht das Finale wollte hören lassen, einen Fugensatz, den Sachkenner als eine schwache Arbeit ansehen, worin man bemerkt, wie fremd dem Verfasser die streng wissenschaftlichen Formen sind. — Wenn man auf die so nothwendige und doch so wenig beob¬ achtete Scheidung der verschiedenen Musikstyle Rücksicht nimmt, so kann man nicht umhin, in vielen Stellen des Nossinischen Stäben einen gänzlichen Mangel jener ernsten und feierlichen Färbung zu bemerken, welche der Charakter aller religiösen Musik sein muß; ja man kann den fast uyablcißigen Fehler Rossini's nicht verkennen, jene oftgebrauchten Formeln wiederzufinden, die er in seiner so langen und so thätigen Lauf¬ bahn so häufig angewandt hat. Betrachtet man aber diese seine letzte Schöpfung nur von rein musikalischen Gesichtspunkte aus, und abstra¬ hlt man dabei von jedem andern Standpunkte der Betrachtung, so muß man eingestehen, daß man die gewaltige Hand des Meisters da¬ rin erkennt. 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/260>, abgerufen am 02.07.2024.