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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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am 20. Januar, 1477, war sein Leben voll Unruhe und Aufregung.
Noch ungünstiger für das Gedeihen der Burgundischen Bibliothek war
die Negierung seiner Tochter Maria von Burgund. Maximilian von
Oesterreich, der Gemahl dieser Prinzessin, war nicht allzu reichlich mit
baarem Geld versehen, als er seine eigene Haushaltung anfing; er brachte
in die Gütergemeinschaft fast nichts als Schulden mit, und erhielt den
sehr bezeichnenden Beinamen des ,/Geldbedürftigen/,. Fast stets mit
seinen eigenen Unterthanen in Krieg begriffen, war er nie im' Stande,
seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Um Geld zu machen, verkaufte
er an Wucherer die schönsten Manuscripte, welchen prächtige mit kostba¬
ren Edelsteinen besetzte Einbände und goldene Spangen bedeutenden ma¬
teriellen Werth verliehen. Diese Manuscripte wanderten zum Theil nach
Deutschland, zum Theil nach Frankreich, und man kann sie in einzelnen
Bibliotheken dieser Länder noch heute an den unterscheidenden Merkma¬
len leicht finden und wiedererkennen. Ob die Jugendsünden dieser Bar¬
barei vielleicht von Mar in späteren Zeiten bereut worden und ein Ver¬
langen, den der literarischen Welt zugefügten Schaden wenigstens teil¬
weise wieder zu vergüten, den Kaiser zur Verfassung des Theuerdank
(wovon die Burgundische Bibliothek, beiläufig bemerkt, eine sehr schöne
Handschrift besitzt) und Weis Kunig bewogen, das mag hier unentschieden
bleiben, eben so wie die Frage, ob er damit den Schaden wirklich gut
gemacht hat.'

Wer der Fluch der Bibliophilen sollte nicht auf dem Hause Oe¬
sterreich haften; unsichtbar waltet Nemesis -- Adrasteia, die hehre Göttin,
und oft ist die Gutthat der Enkel nur die gerechte Sühne der Missethat
des Ahnen. So auch hier. Was der geldbedürftige Max der Bur¬
gundischen Bibliothek an Schaden zugefügt hatte, das suchte Margarethe
von Oesterreich mit weiblicher versöhnender Hand wieder gut zu machen
und sie hinterließ sogar, als sie starb, ihre ganze Privatsammlung von
Büchern zur Einverleibung an diese Bücherei. Philipp der Zweite sodanw
durch dieses edle Beispiel angeregt, fing auch an, einige Sorgfalt für
dieses reichste und edelste literarische Institut an den Tag zu legen, in¬
dem er ihm eine große Anzahl spanischer Bücher von Madrid aus zum
Geschenke sandte. Aber die blutigen Kämpfe, welche die Negierung des
Herzogs von Alba, traurigen Angedenkens, bezeichneten, waren auch auf
die Burgundische Bibliothek eine Veranlassung zu bedeutenden Verlusten.
Spanien reclamirte die Geschenke, die es gemacht hatte, und nahm --


am 20. Januar, 1477, war sein Leben voll Unruhe und Aufregung.
Noch ungünstiger für das Gedeihen der Burgundischen Bibliothek war
die Negierung seiner Tochter Maria von Burgund. Maximilian von
Oesterreich, der Gemahl dieser Prinzessin, war nicht allzu reichlich mit
baarem Geld versehen, als er seine eigene Haushaltung anfing; er brachte
in die Gütergemeinschaft fast nichts als Schulden mit, und erhielt den
sehr bezeichnenden Beinamen des ,/Geldbedürftigen/,. Fast stets mit
seinen eigenen Unterthanen in Krieg begriffen, war er nie im' Stande,
seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Um Geld zu machen, verkaufte
er an Wucherer die schönsten Manuscripte, welchen prächtige mit kostba¬
ren Edelsteinen besetzte Einbände und goldene Spangen bedeutenden ma¬
teriellen Werth verliehen. Diese Manuscripte wanderten zum Theil nach
Deutschland, zum Theil nach Frankreich, und man kann sie in einzelnen
Bibliotheken dieser Länder noch heute an den unterscheidenden Merkma¬
len leicht finden und wiedererkennen. Ob die Jugendsünden dieser Bar¬
barei vielleicht von Mar in späteren Zeiten bereut worden und ein Ver¬
langen, den der literarischen Welt zugefügten Schaden wenigstens teil¬
weise wieder zu vergüten, den Kaiser zur Verfassung des Theuerdank
(wovon die Burgundische Bibliothek, beiläufig bemerkt, eine sehr schöne
Handschrift besitzt) und Weis Kunig bewogen, das mag hier unentschieden
bleiben, eben so wie die Frage, ob er damit den Schaden wirklich gut
gemacht hat.'

Wer der Fluch der Bibliophilen sollte nicht auf dem Hause Oe¬
sterreich haften; unsichtbar waltet Nemesis — Adrasteia, die hehre Göttin,
und oft ist die Gutthat der Enkel nur die gerechte Sühne der Missethat
des Ahnen. So auch hier. Was der geldbedürftige Max der Bur¬
gundischen Bibliothek an Schaden zugefügt hatte, das suchte Margarethe
von Oesterreich mit weiblicher versöhnender Hand wieder gut zu machen
und sie hinterließ sogar, als sie starb, ihre ganze Privatsammlung von
Büchern zur Einverleibung an diese Bücherei. Philipp der Zweite sodanw
durch dieses edle Beispiel angeregt, fing auch an, einige Sorgfalt für
dieses reichste und edelste literarische Institut an den Tag zu legen, in¬
dem er ihm eine große Anzahl spanischer Bücher von Madrid aus zum
Geschenke sandte. Aber die blutigen Kämpfe, welche die Negierung des
Herzogs von Alba, traurigen Angedenkens, bezeichneten, waren auch auf
die Burgundische Bibliothek eine Veranlassung zu bedeutenden Verlusten.
Spanien reclamirte die Geschenke, die es gemacht hatte, und nahm —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/245>, abgerufen am 04.07.2024.