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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Er will die Republikaner Carrel's überzeugen; aber nicht die Königlich-
gesinnten von heut! Diese letzteren verachtet und verlnumdtt er. Dies
ist eben so komisch als ungerecht! Wie beschaffen die factische Macht
auch sei, muß sie dem, der eine neue Gesellschaft gründen will, stets
ein Gegenstand von Bedeutung scheinen: denn sie bat vor der Macht,
deren Zeit erst.kommen soll (wir geben hier nur die Voraussetzung des
Herri? Leronx) den ungeheuren Vortheil voraus, daß man ihr und durch
sie den Massen eine unmittelbare Richtung mittheilen kann, während die
andre'nicht weiß, wohin die Folgen rein hypothetischer Ereignisse sie und
die Gesellschaft mit ihr stürzen könne. Welche schwache Grundlage für
eine Theorie!

Dieser zweite an die Staatsmänner, oder sagen wir lieber, an die
Republikaner gerichtete Aufruf datirt noch von 1832, da Armand Car-
rel noch lebte. Herr Pierre Lerour findet, daß seit den 10 Jahren, da
er diese Schrift an dem National gerichtet, die Fehler der Herrschaft
von 1830, dem Aussatze seine Geltung erhalten haben. Uns ist eine
ganz eigene Betrachtung überkommen, als wir am Frontispiz dieses phi¬
losophischen Werkes den Namen jenes gerühmten Volkstribunen lasen, der
gleich Romulus mitten im Sturme Plötzlich von der Erde verschwand.
ES schien uns, daß Herr Pierre Lcrour, indem er den National von
1832 unter Armand Carrel's Leitung bei Seite nahm, nur noch mit
einem Phantom sprach. Carrel ist ganz todt; er hat keine Erben hin¬
terlassen; seine geträumte Republik ist mit ihm in sein Grab hinabge¬
stiegen. Denn er war ein gläubiger Republikaner, der vor allen Din¬
gen den Triumph seiner Ideen wollte; die aber, die sein Werk fortzu¬
führen behaupten, sind nur gewöhnliche Ehrgeizige, die nur den That¬
sachen nachrennen, ohne sich um die Principien zu kümmern; ein Factum
hat Carrel getödtet; deun er war aus jenem seltenen Geschlecht muthi¬
ger Männer, die Blut um Blut, Leben um Leben geben. Warum
spricht Herr Lerour nicht lieber mit Jedem seine Sprache: alle gehören
ja zu dieser Gesellschaft, deren Reform er herbeiruft; und wie kann er
verlangen, daß seine Glaubenssätze auf die ganze Menschheit einen wohl¬
thätigen Einfluß ausüben, wenn er selbst von vorn herein die Einen
verdammt und von allem Heil ausschließt. Der Apostel lehrte die Hei¬
den, und vor den Augen seines Glaubens gab es keine unbekannten
Götter, deren Verehrer er ganz ausgeschlossen hatte.




Er will die Republikaner Carrel's überzeugen; aber nicht die Königlich-
gesinnten von heut! Diese letzteren verachtet und verlnumdtt er. Dies
ist eben so komisch als ungerecht! Wie beschaffen die factische Macht
auch sei, muß sie dem, der eine neue Gesellschaft gründen will, stets
ein Gegenstand von Bedeutung scheinen: denn sie bat vor der Macht,
deren Zeit erst.kommen soll (wir geben hier nur die Voraussetzung des
Herri? Leronx) den ungeheuren Vortheil voraus, daß man ihr und durch
sie den Massen eine unmittelbare Richtung mittheilen kann, während die
andre'nicht weiß, wohin die Folgen rein hypothetischer Ereignisse sie und
die Gesellschaft mit ihr stürzen könne. Welche schwache Grundlage für
eine Theorie!

Dieser zweite an die Staatsmänner, oder sagen wir lieber, an die
Republikaner gerichtete Aufruf datirt noch von 1832, da Armand Car-
rel noch lebte. Herr Pierre Lerour findet, daß seit den 10 Jahren, da
er diese Schrift an dem National gerichtet, die Fehler der Herrschaft
von 1830, dem Aussatze seine Geltung erhalten haben. Uns ist eine
ganz eigene Betrachtung überkommen, als wir am Frontispiz dieses phi¬
losophischen Werkes den Namen jenes gerühmten Volkstribunen lasen, der
gleich Romulus mitten im Sturme Plötzlich von der Erde verschwand.
ES schien uns, daß Herr Pierre Lcrour, indem er den National von
1832 unter Armand Carrel's Leitung bei Seite nahm, nur noch mit
einem Phantom sprach. Carrel ist ganz todt; er hat keine Erben hin¬
terlassen; seine geträumte Republik ist mit ihm in sein Grab hinabge¬
stiegen. Denn er war ein gläubiger Republikaner, der vor allen Din¬
gen den Triumph seiner Ideen wollte; die aber, die sein Werk fortzu¬
führen behaupten, sind nur gewöhnliche Ehrgeizige, die nur den That¬
sachen nachrennen, ohne sich um die Principien zu kümmern; ein Factum
hat Carrel getödtet; deun er war aus jenem seltenen Geschlecht muthi¬
ger Männer, die Blut um Blut, Leben um Leben geben. Warum
spricht Herr Lerour nicht lieber mit Jedem seine Sprache: alle gehören
ja zu dieser Gesellschaft, deren Reform er herbeiruft; und wie kann er
verlangen, daß seine Glaubenssätze auf die ganze Menschheit einen wohl¬
thätigen Einfluß ausüben, wenn er selbst von vorn herein die Einen
verdammt und von allem Heil ausschließt. Der Apostel lehrte die Hei¬
den, und vor den Augen seines Glaubens gab es keine unbekannten
Götter, deren Verehrer er ganz ausgeschlossen hatte.




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[0241] Er will die Republikaner Carrel's überzeugen; aber nicht die Königlich- gesinnten von heut! Diese letzteren verachtet und verlnumdtt er. Dies ist eben so komisch als ungerecht! Wie beschaffen die factische Macht auch sei, muß sie dem, der eine neue Gesellschaft gründen will, stets ein Gegenstand von Bedeutung scheinen: denn sie bat vor der Macht, deren Zeit erst.kommen soll (wir geben hier nur die Voraussetzung des Herri? Leronx) den ungeheuren Vortheil voraus, daß man ihr und durch sie den Massen eine unmittelbare Richtung mittheilen kann, während die andre'nicht weiß, wohin die Folgen rein hypothetischer Ereignisse sie und die Gesellschaft mit ihr stürzen könne. Welche schwache Grundlage für eine Theorie! Dieser zweite an die Staatsmänner, oder sagen wir lieber, an die Republikaner gerichtete Aufruf datirt noch von 1832, da Armand Car- rel noch lebte. Herr Pierre Lerour findet, daß seit den 10 Jahren, da er diese Schrift an dem National gerichtet, die Fehler der Herrschaft von 1830, dem Aussatze seine Geltung erhalten haben. Uns ist eine ganz eigene Betrachtung überkommen, als wir am Frontispiz dieses phi¬ losophischen Werkes den Namen jenes gerühmten Volkstribunen lasen, der gleich Romulus mitten im Sturme Plötzlich von der Erde verschwand. ES schien uns, daß Herr Pierre Lcrour, indem er den National von 1832 unter Armand Carrel's Leitung bei Seite nahm, nur noch mit einem Phantom sprach. Carrel ist ganz todt; er hat keine Erben hin¬ terlassen; seine geträumte Republik ist mit ihm in sein Grab hinabge¬ stiegen. Denn er war ein gläubiger Republikaner, der vor allen Din¬ gen den Triumph seiner Ideen wollte; die aber, die sein Werk fortzu¬ führen behaupten, sind nur gewöhnliche Ehrgeizige, die nur den That¬ sachen nachrennen, ohne sich um die Principien zu kümmern; ein Factum hat Carrel getödtet; deun er war aus jenem seltenen Geschlecht muthi¬ ger Männer, die Blut um Blut, Leben um Leben geben. Warum spricht Herr Lerour nicht lieber mit Jedem seine Sprache: alle gehören ja zu dieser Gesellschaft, deren Reform er herbeiruft; und wie kann er verlangen, daß seine Glaubenssätze auf die ganze Menschheit einen wohl¬ thätigen Einfluß ausüben, wenn er selbst von vorn herein die Einen verdammt und von allem Heil ausschließt. Der Apostel lehrte die Hei¬ den, und vor den Augen seines Glaubens gab es keine unbekannten Götter, deren Verehrer er ganz ausgeschlossen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/241>, abgerufen am 30.06.2024.