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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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alle höheren Interessen 6er Menschheit, alles Ernstes und in der rein¬
sten Gestalt, in die Literatur einzuführen.

Das 16. Jahrhundert eröffnet sich mit dem Wiederaufleben der an¬
tiken Wissenschaft und Poesie, "jenes wunderbaren Phönix, der aus seiner
Asche erstand", bei dem Ruf der erwachenden Befreiung. Herr Baron'
giebt eine treffliche Würdigung der Reformation, die durch die classi¬
schen Studien bereitet und gefördert ward, besonders der Lutherischen/
Calvin ist sehr glücklich geschildert, sowie die Zustände unter Franz!,
den man den "Vater der Wissenschaft" benannte. "Der König sowohl, als
der Hof, und überhaupt die begabtesten Geister neigten damals zum Pro-'
restantismus." Daß diese Richtung verlassen wurde, lag theils in den
reformatorischen Lehren selbst, theils in Calvins dürrem, rigoristischem,
fast wildem Wesen. Der Einfluß der Philologie war vornehmlich in
Frankreich, Belgien und Deutschland von großen Folgen, wo, anders
als in Italien, der Clerus aller Wissenschaft ledig war. -- Wir heben
für die Folgezeit bei der Masse des Stoffes, nur einige Hauptfiguren
heraus. In: Bezug auf die erste bleibende Wirkung auf die französi¬
sche Sprache deutet der Verfasser auf die Verdienste von I. Amvot, dem
Bearbeiter Plutarch'ö, hin. 'Rabelais, an der Spitze der leichten
Prosts wird trefflich mit folgenden Zügen geschildert: "Ein originaler
Kopf, zugleich satirisch, keck, politisch, 'philosophisch, mit dem Ver¬
stände des Gelehrten und dem Styl der Imagination begabt," ein unver¬
gleichlicher Univcrsalwitz, tief in seiner Zeit wurzelnd, der am liebsten die
klerikalischen Thorheiten und Gebrechen geißelte, und, trotz so vieler Ge¬
gner, -- denn die gestimmte Mitwelt war seine Zielscheibe, -- unge¬
fährdet lebte. In Rabelais liegt, nach Baron', eine Fundgrube aller
modernen Umgestaltungen, der politischen und religiösen Freiheit, der Ab¬
schaffung der Privillgicn, des Ritterwesens :c. -- Die Poesie ward
durch Marot gehoben, den "Fürsten der Dichter an einem Hofe, wo
die Fürsten Dichter waren." Er ist eine lyrische Natur, leicht, graziös,
bei dein, nach La Harpe, "die Melancholie eben durch die Gedichte blitzt,
denn kaum dajMe Thräne quillt, so geht auch das Geschwätz wieder
an." Bei ihm veschwindcn die letzten Ueberbleibsel des Romanischen.

, Eine durchgreifende Reform führt Ronsard herbei; ein ernster
Mann, wie er den damaligen politischen und religiösen Zuständen ent¬
sprach. Er nahm die Poesie mit Gewalt in die classische Schule, und
sein Einfluß war entscheidend für den französischen Geschmack. Sein Ruhm
hat etwas ungeheuerliches; er ist ein despotischer Kopf, der die Syra^


alle höheren Interessen 6er Menschheit, alles Ernstes und in der rein¬
sten Gestalt, in die Literatur einzuführen.

Das 16. Jahrhundert eröffnet sich mit dem Wiederaufleben der an¬
tiken Wissenschaft und Poesie, „jenes wunderbaren Phönix, der aus seiner
Asche erstand", bei dem Ruf der erwachenden Befreiung. Herr Baron'
giebt eine treffliche Würdigung der Reformation, die durch die classi¬
schen Studien bereitet und gefördert ward, besonders der Lutherischen/
Calvin ist sehr glücklich geschildert, sowie die Zustände unter Franz!,
den man den „Vater der Wissenschaft" benannte. „Der König sowohl, als
der Hof, und überhaupt die begabtesten Geister neigten damals zum Pro-'
restantismus." Daß diese Richtung verlassen wurde, lag theils in den
reformatorischen Lehren selbst, theils in Calvins dürrem, rigoristischem,
fast wildem Wesen. Der Einfluß der Philologie war vornehmlich in
Frankreich, Belgien und Deutschland von großen Folgen, wo, anders
als in Italien, der Clerus aller Wissenschaft ledig war. — Wir heben
für die Folgezeit bei der Masse des Stoffes, nur einige Hauptfiguren
heraus. In: Bezug auf die erste bleibende Wirkung auf die französi¬
sche Sprache deutet der Verfasser auf die Verdienste von I. Amvot, dem
Bearbeiter Plutarch'ö, hin. 'Rabelais, an der Spitze der leichten
Prosts wird trefflich mit folgenden Zügen geschildert: „Ein originaler
Kopf, zugleich satirisch, keck, politisch, 'philosophisch, mit dem Ver¬
stände des Gelehrten und dem Styl der Imagination begabt," ein unver¬
gleichlicher Univcrsalwitz, tief in seiner Zeit wurzelnd, der am liebsten die
klerikalischen Thorheiten und Gebrechen geißelte, und, trotz so vieler Ge¬
gner, — denn die gestimmte Mitwelt war seine Zielscheibe, — unge¬
fährdet lebte. In Rabelais liegt, nach Baron', eine Fundgrube aller
modernen Umgestaltungen, der politischen und religiösen Freiheit, der Ab¬
schaffung der Privillgicn, des Ritterwesens :c. — Die Poesie ward
durch Marot gehoben, den „Fürsten der Dichter an einem Hofe, wo
die Fürsten Dichter waren." Er ist eine lyrische Natur, leicht, graziös,
bei dein, nach La Harpe, „die Melancholie eben durch die Gedichte blitzt,
denn kaum dajMe Thräne quillt, so geht auch das Geschwätz wieder
an." Bei ihm veschwindcn die letzten Ueberbleibsel des Romanischen.

, Eine durchgreifende Reform führt Ronsard herbei; ein ernster
Mann, wie er den damaligen politischen und religiösen Zuständen ent¬
sprach. Er nahm die Poesie mit Gewalt in die classische Schule, und
sein Einfluß war entscheidend für den französischen Geschmack. Sein Ruhm
hat etwas ungeheuerliches; er ist ein despotischer Kopf, der die Syra^


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[0224] alle höheren Interessen 6er Menschheit, alles Ernstes und in der rein¬ sten Gestalt, in die Literatur einzuführen. Das 16. Jahrhundert eröffnet sich mit dem Wiederaufleben der an¬ tiken Wissenschaft und Poesie, „jenes wunderbaren Phönix, der aus seiner Asche erstand", bei dem Ruf der erwachenden Befreiung. Herr Baron' giebt eine treffliche Würdigung der Reformation, die durch die classi¬ schen Studien bereitet und gefördert ward, besonders der Lutherischen/ Calvin ist sehr glücklich geschildert, sowie die Zustände unter Franz!, den man den „Vater der Wissenschaft" benannte. „Der König sowohl, als der Hof, und überhaupt die begabtesten Geister neigten damals zum Pro-' restantismus." Daß diese Richtung verlassen wurde, lag theils in den reformatorischen Lehren selbst, theils in Calvins dürrem, rigoristischem, fast wildem Wesen. Der Einfluß der Philologie war vornehmlich in Frankreich, Belgien und Deutschland von großen Folgen, wo, anders als in Italien, der Clerus aller Wissenschaft ledig war. — Wir heben für die Folgezeit bei der Masse des Stoffes, nur einige Hauptfiguren heraus. In: Bezug auf die erste bleibende Wirkung auf die französi¬ sche Sprache deutet der Verfasser auf die Verdienste von I. Amvot, dem Bearbeiter Plutarch'ö, hin. 'Rabelais, an der Spitze der leichten Prosts wird trefflich mit folgenden Zügen geschildert: „Ein originaler Kopf, zugleich satirisch, keck, politisch, 'philosophisch, mit dem Ver¬ stände des Gelehrten und dem Styl der Imagination begabt," ein unver¬ gleichlicher Univcrsalwitz, tief in seiner Zeit wurzelnd, der am liebsten die klerikalischen Thorheiten und Gebrechen geißelte, und, trotz so vieler Ge¬ gner, — denn die gestimmte Mitwelt war seine Zielscheibe, — unge¬ fährdet lebte. In Rabelais liegt, nach Baron', eine Fundgrube aller modernen Umgestaltungen, der politischen und religiösen Freiheit, der Ab¬ schaffung der Privillgicn, des Ritterwesens :c. — Die Poesie ward durch Marot gehoben, den „Fürsten der Dichter an einem Hofe, wo die Fürsten Dichter waren." Er ist eine lyrische Natur, leicht, graziös, bei dein, nach La Harpe, „die Melancholie eben durch die Gedichte blitzt, denn kaum dajMe Thräne quillt, so geht auch das Geschwätz wieder an." Bei ihm veschwindcn die letzten Ueberbleibsel des Romanischen. , Eine durchgreifende Reform führt Ronsard herbei; ein ernster Mann, wie er den damaligen politischen und religiösen Zuständen ent¬ sprach. Er nahm die Poesie mit Gewalt in die classische Schule, und sein Einfluß war entscheidend für den französischen Geschmack. Sein Ruhm hat etwas ungeheuerliches; er ist ein despotischer Kopf, der die Syra^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/224>, abgerufen am 01.07.2024.