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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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Die letzten vier Wochen.

Welch' ein prächtiger Titel für ein Drama: Die letzten vier
Wochen! Man sollte glauben, wir seien bei Scribe in die Lehre
gegangen. Und warum nicht ein Drama? Kommen Sie Hieher, freund¬
licher Leser, gestrenger Kritiker, geehrtes Publikum, treten Sie näher,
urtheilen Sie über das Stück! Ein Verschwörungs - Proceß, ein in¬
kognito reisender König, ein Gesandter, dessen Bruder'correctionell ver¬
urtheilt wird und ein Kriegsminister, der sich entleibt -- nun, wenn
das nicht, Stoff genug sür ein Drama ist, dann errichtet einen Schei¬
terhaufen für Shakspeare, und Schiller und streut die Asche Victor Hu¬
go's in alle vier Winde!

Wahrlich wir leben in den Hundstagen der Poesie, die dramati¬
schen Figuren wachsen wie die Menschen des Dentalivm aus der Erde'
hervor, das Wasser rauscht Aristophanische Geheimnisse und in der Lust
zischelt und rieselt es wie spöttisches Weinen und betrübtes Gelächter.
Ach, wenn wir nur wüßten, ist es eine Tragödie? Ist es eine Co-
mödie?

Die letzten vier Wochen! Wollen Sie eine Analyse des
Drama's? Lassen "Sie uns originell-sein und mit dem letzten Akt
zuerst beginnen^ Folgendes ist die Scenerie.

Ein König sitzt an der Tafel;' um ihn herum seine Paladine, ge-
schmückte Herrn, geputzte Frauen. Die Speisen dampfen. Die Becher
klingen. Ein seltener Gast sitzt an seiner Seite; der Nachbarkönig, der
lange Zeit ernst und drohend dem Lande gegenüberstund, theilt heut





Die letzten vier Wochen.

Welch' ein prächtiger Titel für ein Drama: Die letzten vier
Wochen! Man sollte glauben, wir seien bei Scribe in die Lehre
gegangen. Und warum nicht ein Drama? Kommen Sie Hieher, freund¬
licher Leser, gestrenger Kritiker, geehrtes Publikum, treten Sie näher,
urtheilen Sie über das Stück! Ein Verschwörungs - Proceß, ein in¬
kognito reisender König, ein Gesandter, dessen Bruder'correctionell ver¬
urtheilt wird und ein Kriegsminister, der sich entleibt — nun, wenn
das nicht, Stoff genug sür ein Drama ist, dann errichtet einen Schei¬
terhaufen für Shakspeare, und Schiller und streut die Asche Victor Hu¬
go's in alle vier Winde!

Wahrlich wir leben in den Hundstagen der Poesie, die dramati¬
schen Figuren wachsen wie die Menschen des Dentalivm aus der Erde'
hervor, das Wasser rauscht Aristophanische Geheimnisse und in der Lust
zischelt und rieselt es wie spöttisches Weinen und betrübtes Gelächter.
Ach, wenn wir nur wüßten, ist es eine Tragödie? Ist es eine Co-
mödie?

Die letzten vier Wochen! Wollen Sie eine Analyse des
Drama's? Lassen "Sie uns originell-sein und mit dem letzten Akt
zuerst beginnen^ Folgendes ist die Scenerie.

Ein König sitzt an der Tafel;' um ihn herum seine Paladine, ge-
schmückte Herrn, geputzte Frauen. Die Speisen dampfen. Die Becher
klingen. Ein seltener Gast sitzt an seiner Seite; der Nachbarkönig, der
lange Zeit ernst und drohend dem Lande gegenüberstund, theilt heut


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[0191] Die letzten vier Wochen. Welch' ein prächtiger Titel für ein Drama: Die letzten vier Wochen! Man sollte glauben, wir seien bei Scribe in die Lehre gegangen. Und warum nicht ein Drama? Kommen Sie Hieher, freund¬ licher Leser, gestrenger Kritiker, geehrtes Publikum, treten Sie näher, urtheilen Sie über das Stück! Ein Verschwörungs - Proceß, ein in¬ kognito reisender König, ein Gesandter, dessen Bruder'correctionell ver¬ urtheilt wird und ein Kriegsminister, der sich entleibt — nun, wenn das nicht, Stoff genug sür ein Drama ist, dann errichtet einen Schei¬ terhaufen für Shakspeare, und Schiller und streut die Asche Victor Hu¬ go's in alle vier Winde! Wahrlich wir leben in den Hundstagen der Poesie, die dramati¬ schen Figuren wachsen wie die Menschen des Dentalivm aus der Erde' hervor, das Wasser rauscht Aristophanische Geheimnisse und in der Lust zischelt und rieselt es wie spöttisches Weinen und betrübtes Gelächter. Ach, wenn wir nur wüßten, ist es eine Tragödie? Ist es eine Co- mödie? Die letzten vier Wochen! Wollen Sie eine Analyse des Drama's? Lassen "Sie uns originell-sein und mit dem letzten Akt zuerst beginnen^ Folgendes ist die Scenerie. Ein König sitzt an der Tafel;' um ihn herum seine Paladine, ge- schmückte Herrn, geputzte Frauen. Die Speisen dampfen. Die Becher klingen. Ein seltener Gast sitzt an seiner Seite; der Nachbarkönig, der lange Zeit ernst und drohend dem Lande gegenüberstund, theilt heut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/191>, abgerufen am 22.12.2024.