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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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hätte nicht oft mit freudigem Beifall nud mit Bewunderung die Bahnen ver¬
folgt, welche der deutsche Geist, im kräftigenden Gefühl eines frischen
Morgens der Geschichte, auch in den jüngern Vertretern der Hegel'schen
Philosophie genommen hat; -- dennoch liegt in jenem Bestreben ein
Abweichen von der ursprünglichen Regel, ein Aufgeben der ersten Prin¬
cipien. Denn nach der wohlbedachten Vorschrift des Lehrers, welche
die Grundform seines ganzen Systems auöspn'ehe, konnte die
Philosophie doch nichts anderes unternehmen, als betrachtend und ver¬
stehend die Dinge der Welt zu begleiten; dazu, und nicht zur Initia¬
tive in der Geschichte hatte jener große Denker, der gewiß cousequenter
war, als seine Anhänger, nach seiner Weise den Grund und Boden ge¬
legt. Hat er darin geirrt, so ist sein System in seiner ersten Anlage schadhaft,
und. man bedarf eines ganz neuen, denn in solchen Punkten läßt sich
ein System nicht verbessern. Aber so gewaltig, so sich selbst tragend
und treibend ist der Gedanke, der ringende Geist der Wahrheit, daß er,
selbst in den Fußfesscln, welche ihm der bezeichnete Widerspruch in der
jungen Schule, die doch hegelisch bleiben will, anlegt, nichts desto we¬
niger auf dem Kampfplatze des Lebens und der Wissenschaft die frucht¬
barsten Anregungen, die bedeutendsten Kräfte hervorruft. Denn wer wollte
es läugnen, daß die Hallisch-Deutschen Jahrbücher, in ihrer unermüd¬
lichen Streitbarkeit, an vielen wichtigen Punkten die dünnen und schwan¬
kenden Reihen der Wissenschaft ausgefüllt und gestärkt, daß sie uns, nicht
auf kleine'Schäden, sondern vielmehr auf manche Grundmängel unserer
Bildung mit lauter und beständiger Mahnung aufmerksam gemacht haben?--
Indessen scheint das Bedürfniß einer inneren Umwandlung ihnen nicht gänz¬
lich fremd zu sein. Las man doch neulich, daß sie nicht sowohl eine einzelne
Partei vertreten, als vielmehr einen freien Raum darbieten und den Zuschauer
abgeben wollten, während die verschiedenen Streitmächte ihre Linien ent¬
wickelten. Wir unseres Theils wünschen, daß ihre Philosophie sich so
gestalte, um mit der Deutschen zusammenzufallen, damit Gehalt
und Namen bei ihnen in Eintracht stehen. Allein bis dahin ist für die
kalte Speculation, der die Jahrbücher huldigen, noch ein weiter Weg.
Der deutsche Geist erhebt sich, wie der Geist selbst, auf dem Boden ,de,s
Gedankens; alle Völker erkennen ihm dies zu und sehen darin einen
weltgeschichtlichen Beruf; ob es der einzige ist, mag dahin gestellt
bleiben. Die Anlagen des Gemüthes bilden im deutschen Wesen einen
nicht minder festen, und gediegenen Kern. Der deutsche Geist ist in
seinen Tiefen der Geschichtlichkeit, der Natur und der Poesie zu sehr zuge-


hätte nicht oft mit freudigem Beifall nud mit Bewunderung die Bahnen ver¬
folgt, welche der deutsche Geist, im kräftigenden Gefühl eines frischen
Morgens der Geschichte, auch in den jüngern Vertretern der Hegel'schen
Philosophie genommen hat; — dennoch liegt in jenem Bestreben ein
Abweichen von der ursprünglichen Regel, ein Aufgeben der ersten Prin¬
cipien. Denn nach der wohlbedachten Vorschrift des Lehrers, welche
die Grundform seines ganzen Systems auöspn'ehe, konnte die
Philosophie doch nichts anderes unternehmen, als betrachtend und ver¬
stehend die Dinge der Welt zu begleiten; dazu, und nicht zur Initia¬
tive in der Geschichte hatte jener große Denker, der gewiß cousequenter
war, als seine Anhänger, nach seiner Weise den Grund und Boden ge¬
legt. Hat er darin geirrt, so ist sein System in seiner ersten Anlage schadhaft,
und. man bedarf eines ganz neuen, denn in solchen Punkten läßt sich
ein System nicht verbessern. Aber so gewaltig, so sich selbst tragend
und treibend ist der Gedanke, der ringende Geist der Wahrheit, daß er,
selbst in den Fußfesscln, welche ihm der bezeichnete Widerspruch in der
jungen Schule, die doch hegelisch bleiben will, anlegt, nichts desto we¬
niger auf dem Kampfplatze des Lebens und der Wissenschaft die frucht¬
barsten Anregungen, die bedeutendsten Kräfte hervorruft. Denn wer wollte
es läugnen, daß die Hallisch-Deutschen Jahrbücher, in ihrer unermüd¬
lichen Streitbarkeit, an vielen wichtigen Punkten die dünnen und schwan¬
kenden Reihen der Wissenschaft ausgefüllt und gestärkt, daß sie uns, nicht
auf kleine'Schäden, sondern vielmehr auf manche Grundmängel unserer
Bildung mit lauter und beständiger Mahnung aufmerksam gemacht haben?—
Indessen scheint das Bedürfniß einer inneren Umwandlung ihnen nicht gänz¬
lich fremd zu sein. Las man doch neulich, daß sie nicht sowohl eine einzelne
Partei vertreten, als vielmehr einen freien Raum darbieten und den Zuschauer
abgeben wollten, während die verschiedenen Streitmächte ihre Linien ent¬
wickelten. Wir unseres Theils wünschen, daß ihre Philosophie sich so
gestalte, um mit der Deutschen zusammenzufallen, damit Gehalt
und Namen bei ihnen in Eintracht stehen. Allein bis dahin ist für die
kalte Speculation, der die Jahrbücher huldigen, noch ein weiter Weg.
Der deutsche Geist erhebt sich, wie der Geist selbst, auf dem Boden ,de,s
Gedankens; alle Völker erkennen ihm dies zu und sehen darin einen
weltgeschichtlichen Beruf; ob es der einzige ist, mag dahin gestellt
bleiben. Die Anlagen des Gemüthes bilden im deutschen Wesen einen
nicht minder festen, und gediegenen Kern. Der deutsche Geist ist in
seinen Tiefen der Geschichtlichkeit, der Natur und der Poesie zu sehr zuge-


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[0154] hätte nicht oft mit freudigem Beifall nud mit Bewunderung die Bahnen ver¬ folgt, welche der deutsche Geist, im kräftigenden Gefühl eines frischen Morgens der Geschichte, auch in den jüngern Vertretern der Hegel'schen Philosophie genommen hat; — dennoch liegt in jenem Bestreben ein Abweichen von der ursprünglichen Regel, ein Aufgeben der ersten Prin¬ cipien. Denn nach der wohlbedachten Vorschrift des Lehrers, welche die Grundform seines ganzen Systems auöspn'ehe, konnte die Philosophie doch nichts anderes unternehmen, als betrachtend und ver¬ stehend die Dinge der Welt zu begleiten; dazu, und nicht zur Initia¬ tive in der Geschichte hatte jener große Denker, der gewiß cousequenter war, als seine Anhänger, nach seiner Weise den Grund und Boden ge¬ legt. Hat er darin geirrt, so ist sein System in seiner ersten Anlage schadhaft, und. man bedarf eines ganz neuen, denn in solchen Punkten läßt sich ein System nicht verbessern. Aber so gewaltig, so sich selbst tragend und treibend ist der Gedanke, der ringende Geist der Wahrheit, daß er, selbst in den Fußfesscln, welche ihm der bezeichnete Widerspruch in der jungen Schule, die doch hegelisch bleiben will, anlegt, nichts desto we¬ niger auf dem Kampfplatze des Lebens und der Wissenschaft die frucht¬ barsten Anregungen, die bedeutendsten Kräfte hervorruft. Denn wer wollte es läugnen, daß die Hallisch-Deutschen Jahrbücher, in ihrer unermüd¬ lichen Streitbarkeit, an vielen wichtigen Punkten die dünnen und schwan¬ kenden Reihen der Wissenschaft ausgefüllt und gestärkt, daß sie uns, nicht auf kleine'Schäden, sondern vielmehr auf manche Grundmängel unserer Bildung mit lauter und beständiger Mahnung aufmerksam gemacht haben?— Indessen scheint das Bedürfniß einer inneren Umwandlung ihnen nicht gänz¬ lich fremd zu sein. Las man doch neulich, daß sie nicht sowohl eine einzelne Partei vertreten, als vielmehr einen freien Raum darbieten und den Zuschauer abgeben wollten, während die verschiedenen Streitmächte ihre Linien ent¬ wickelten. Wir unseres Theils wünschen, daß ihre Philosophie sich so gestalte, um mit der Deutschen zusammenzufallen, damit Gehalt und Namen bei ihnen in Eintracht stehen. Allein bis dahin ist für die kalte Speculation, der die Jahrbücher huldigen, noch ein weiter Weg. Der deutsche Geist erhebt sich, wie der Geist selbst, auf dem Boden ,de,s Gedankens; alle Völker erkennen ihm dies zu und sehen darin einen weltgeschichtlichen Beruf; ob es der einzige ist, mag dahin gestellt bleiben. Die Anlagen des Gemüthes bilden im deutschen Wesen einen nicht minder festen, und gediegenen Kern. Der deutsche Geist ist in seinen Tiefen der Geschichtlichkeit, der Natur und der Poesie zu sehr zuge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/154>, abgerufen am 23.07.2024.