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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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wir gar nicht sprechen, wohl aber von Kotzebue und Schröder. -- Wie
kömmt es, daß die meisten Talente, die auf das deutsche Theater einen
nachhaltigen Einfluß ausübten , nicht aus dem Boden jener beiden Gro߬
städte herauswuchsen, sondern höchstens erst als .sie in voller Blüthe wa¬
rm, dahin versetzt wurden? Wie kömmt es, daß .die neueste Zeit kaum
eine Ausnahme hiervon macht, und daß z. B. das kleine Stuttgart ein
bei Weitem freundlicheres Asyl für diejenigen unserer jungen Schriftsteller
geworden ist, die den stoischen Muth haben, dem Theater einen Theil
ihrer Thätigkeit zu opfern. Eine erste Bühne nenne man diejenige.
Welche dem Dichter die leichtesten Mittel zur Verkörperung seiner Gebilde
darbietet. Dieses ist weder in Wien noch in Berlin der Fall. Wir
wollen hier nicht die alte Lever über die Censur aborgeln; wohl aber
dürfen wir fordern, daß ein großartiges Institut in großartigem Geiste
geleitet werde. Wie aber wollt Ihr eine frische ursprüngliche dramati¬
sche Poesie erstehen sehen, wo Ihr so viele Rücksichten beobachtet, als
die Juden Verwahrungsgcsetze aufzuweisen haben? Der Staat, die Kirche,
die Bureaukratie, die Politik, die Chrom'que scandaleuse! Nun wohl,
hütet, hütet! Aber alle diese Körperschaften bestehen schon so lange, sind
schon so hübsch groß'; sollte wirklich ihre Haut so zart sein, daß der
leiseste Stich ein Geschrei auspreßt? Wie soll ein junger kecker Poet
sich Eurer Bühne nähern, wenn die Wärterin ihm gleich beim Ein¬
tritt befiehlt die Schuhe auszuziehen, um nicht das mindeste Geräusch zu
machen? -- Rechne man hinzu die privilegirten Poeten, die jede dieser
beiden Bühnen besitzt, die einheimischen Fabriksarbeiter und Uebersetzer,
welche alle Thüren mit ihren Manuscn'pten verammeln und dein Neu¬
ling kaum den Weg durch's Schlüsselloch', frei lassen, dann wird man
leicht begreifen, warum die junge Saat des Dramas dort so schwer auf¬
geht. Aber Gutzkow -- wird man sagen, haben wir ihm nicht in Ber¬
lin und Wien sogleich die Thüren geöffnet? Hand auf's Herz! Wenn
Gutzkownichtder feuerlärmende Journalist, der schlagfertige, heißblutige Kri¬
tiker wäre, der die öffentliche Meinung zu allarmiren und Euch auf den
Hals zu Hetzen weiß -- Hand auf's Herz, hättet Ihr Euch dann gleich¬
falls so rasch beeilt, ihm entgegen zu kommen? Warum zögert Ihr bei
Laube? Warum bei Mosen? , Warum habt Ihr den seeligen Immer-
mann verkümmern lassen?

Eine Hofbühne, d. h. eine solche, die zu ihrer Existenz nicht auf die
bloße Laune des Publikums verwiesen ist, sondern die vom Hofe- oder
dem Staate ein Subsid erhält, welches ihre Hauptbedürfnisse deckt, einer


wir gar nicht sprechen, wohl aber von Kotzebue und Schröder. — Wie
kömmt es, daß die meisten Talente, die auf das deutsche Theater einen
nachhaltigen Einfluß ausübten , nicht aus dem Boden jener beiden Gro߬
städte herauswuchsen, sondern höchstens erst als .sie in voller Blüthe wa¬
rm, dahin versetzt wurden? Wie kömmt es, daß .die neueste Zeit kaum
eine Ausnahme hiervon macht, und daß z. B. das kleine Stuttgart ein
bei Weitem freundlicheres Asyl für diejenigen unserer jungen Schriftsteller
geworden ist, die den stoischen Muth haben, dem Theater einen Theil
ihrer Thätigkeit zu opfern. Eine erste Bühne nenne man diejenige.
Welche dem Dichter die leichtesten Mittel zur Verkörperung seiner Gebilde
darbietet. Dieses ist weder in Wien noch in Berlin der Fall. Wir
wollen hier nicht die alte Lever über die Censur aborgeln; wohl aber
dürfen wir fordern, daß ein großartiges Institut in großartigem Geiste
geleitet werde. Wie aber wollt Ihr eine frische ursprüngliche dramati¬
sche Poesie erstehen sehen, wo Ihr so viele Rücksichten beobachtet, als
die Juden Verwahrungsgcsetze aufzuweisen haben? Der Staat, die Kirche,
die Bureaukratie, die Politik, die Chrom'que scandaleuse! Nun wohl,
hütet, hütet! Aber alle diese Körperschaften bestehen schon so lange, sind
schon so hübsch groß'; sollte wirklich ihre Haut so zart sein, daß der
leiseste Stich ein Geschrei auspreßt? Wie soll ein junger kecker Poet
sich Eurer Bühne nähern, wenn die Wärterin ihm gleich beim Ein¬
tritt befiehlt die Schuhe auszuziehen, um nicht das mindeste Geräusch zu
machen? — Rechne man hinzu die privilegirten Poeten, die jede dieser
beiden Bühnen besitzt, die einheimischen Fabriksarbeiter und Uebersetzer,
welche alle Thüren mit ihren Manuscn'pten verammeln und dein Neu¬
ling kaum den Weg durch's Schlüsselloch', frei lassen, dann wird man
leicht begreifen, warum die junge Saat des Dramas dort so schwer auf¬
geht. Aber Gutzkow — wird man sagen, haben wir ihm nicht in Ber¬
lin und Wien sogleich die Thüren geöffnet? Hand auf's Herz! Wenn
Gutzkownichtder feuerlärmende Journalist, der schlagfertige, heißblutige Kri¬
tiker wäre, der die öffentliche Meinung zu allarmiren und Euch auf den
Hals zu Hetzen weiß — Hand auf's Herz, hättet Ihr Euch dann gleich¬
falls so rasch beeilt, ihm entgegen zu kommen? Warum zögert Ihr bei
Laube? Warum bei Mosen? , Warum habt Ihr den seeligen Immer-
mann verkümmern lassen?

Eine Hofbühne, d. h. eine solche, die zu ihrer Existenz nicht auf die
bloße Laune des Publikums verwiesen ist, sondern die vom Hofe- oder
dem Staate ein Subsid erhält, welches ihre Hauptbedürfnisse deckt, einer


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[0147] wir gar nicht sprechen, wohl aber von Kotzebue und Schröder. — Wie kömmt es, daß die meisten Talente, die auf das deutsche Theater einen nachhaltigen Einfluß ausübten , nicht aus dem Boden jener beiden Gro߬ städte herauswuchsen, sondern höchstens erst als .sie in voller Blüthe wa¬ rm, dahin versetzt wurden? Wie kömmt es, daß .die neueste Zeit kaum eine Ausnahme hiervon macht, und daß z. B. das kleine Stuttgart ein bei Weitem freundlicheres Asyl für diejenigen unserer jungen Schriftsteller geworden ist, die den stoischen Muth haben, dem Theater einen Theil ihrer Thätigkeit zu opfern. Eine erste Bühne nenne man diejenige. Welche dem Dichter die leichtesten Mittel zur Verkörperung seiner Gebilde darbietet. Dieses ist weder in Wien noch in Berlin der Fall. Wir wollen hier nicht die alte Lever über die Censur aborgeln; wohl aber dürfen wir fordern, daß ein großartiges Institut in großartigem Geiste geleitet werde. Wie aber wollt Ihr eine frische ursprüngliche dramati¬ sche Poesie erstehen sehen, wo Ihr so viele Rücksichten beobachtet, als die Juden Verwahrungsgcsetze aufzuweisen haben? Der Staat, die Kirche, die Bureaukratie, die Politik, die Chrom'que scandaleuse! Nun wohl, hütet, hütet! Aber alle diese Körperschaften bestehen schon so lange, sind schon so hübsch groß'; sollte wirklich ihre Haut so zart sein, daß der leiseste Stich ein Geschrei auspreßt? Wie soll ein junger kecker Poet sich Eurer Bühne nähern, wenn die Wärterin ihm gleich beim Ein¬ tritt befiehlt die Schuhe auszuziehen, um nicht das mindeste Geräusch zu machen? — Rechne man hinzu die privilegirten Poeten, die jede dieser beiden Bühnen besitzt, die einheimischen Fabriksarbeiter und Uebersetzer, welche alle Thüren mit ihren Manuscn'pten verammeln und dein Neu¬ ling kaum den Weg durch's Schlüsselloch', frei lassen, dann wird man leicht begreifen, warum die junge Saat des Dramas dort so schwer auf¬ geht. Aber Gutzkow — wird man sagen, haben wir ihm nicht in Ber¬ lin und Wien sogleich die Thüren geöffnet? Hand auf's Herz! Wenn Gutzkownichtder feuerlärmende Journalist, der schlagfertige, heißblutige Kri¬ tiker wäre, der die öffentliche Meinung zu allarmiren und Euch auf den Hals zu Hetzen weiß — Hand auf's Herz, hättet Ihr Euch dann gleich¬ falls so rasch beeilt, ihm entgegen zu kommen? Warum zögert Ihr bei Laube? Warum bei Mosen? , Warum habt Ihr den seeligen Immer- mann verkümmern lassen? Eine Hofbühne, d. h. eine solche, die zu ihrer Existenz nicht auf die bloße Laune des Publikums verwiesen ist, sondern die vom Hofe- oder dem Staate ein Subsid erhält, welches ihre Hauptbedürfnisse deckt, einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/147>, abgerufen am 23.07.2024.