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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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, Der russische Hof verabscheut die Revolutionen und die aus ihnen
hervorgegangenen Regierungen. Nun, Paul Z. hatte Anfangs auch die
französische Revolution verabscheut; er hat seinen Haß aber wenigstens
anders bewiesen, als durch unbedeutenden Schabernack. Als Probe sei¬
nes Hasses bat er eine Armee von 30000 Mann nnter dem Besehl sei¬
nes besten Generals, des alten Suwarow, nach Italien geschickt. Die
Armee des alten Suwarow ist zwar geschlagen worden; aber darum hat
doch Paul !., sich selbst getreu bleibend, seinen Haß nicht minder nur
durch solche Mittel an den Tag gelegt, die des Oberhaupts eines gro¬
ßen Volks würdig sind.

Die russische Negierung gehört zu den eifrigsten Paladinen der Le¬
gitimität. Warum? Wenn Oesterreich ein warmer Verfechter der
Legitimität ist, so finden wir dieß natürlich: in dem Familienkreise der
Habsburger hat nie ein blutiger Steins den'Familienfaden durchschnitten:
nie hat eine Frau ihren Gatten ermordet; nie hat ein Sohn einen Va¬
ter, nie ein Bruder den andern gewaltsam verdrängt: dort, wo das pa¬
triarchalische Recht der Familie seine heiligen Gesetze von Enkel auf Ur¬
enkel vererbt, dort finden wir die Idee der Legitimität in Einklang mit
der Geschichte. Aber in Nußland? Wenn dessen Geschichtschreiber nicht
an Gedächtnißschwäche leiden, müßen sie wohl an gewisse Data denken,
als da find, 1762 der 30. Juli, 1764 der 16. Juli, oder 1301 der
12. März. Oder, wenn auch die Jahreszahlen, sicherlich doch sind
folgende Namen nicht vergessen: Peter M., Iwan VI., Paul !. Die
Ehrfurcht vor der Legitimität ist also in Nußland nicht immer die strengste
gewesen. Höchst wahrscheinlich aber geht man in Nußland von der An¬
sicht ans, daß die blutigen Umwälzungen von 1762, 1764 und 1301
Niemanden etwas angehen: man hält das für kleine innere Streitigkei¬
ten, für Familienangelegenheiten. Man läßt feinen Gemahl, feinen Sohn
umbringen, man wohnt der Ermordung seines Vaters bei; was liegt
daran? Was hat sich das Volk um diese Einzelnheiten zu kümmern?
Anstatt eines Kaisers giebt man ihm eine Kaiserin oder einen andern,
Kaiser; was will es mehr?... Die Revolutionen, für die der russische
Kaiser seine stolze Verachtung, seine hochmüthige Geringschätzung und in
Ermangelung eines Besseren seinen kleinlichen Zorn aufbewahrt, das sind
die Revolutionen, mit denen das Volk etwas zu thun hat. Zu den aus
solchen Umwälzungen hervorgegangenen Regierungen sagt die russische
Regierung nicht etwa: "Krieg bis zur Vernichtung" sondern: '/Nie, nie
Visitenkarten.'//


, Der russische Hof verabscheut die Revolutionen und die aus ihnen
hervorgegangenen Regierungen. Nun, Paul Z. hatte Anfangs auch die
französische Revolution verabscheut; er hat seinen Haß aber wenigstens
anders bewiesen, als durch unbedeutenden Schabernack. Als Probe sei¬
nes Hasses bat er eine Armee von 30000 Mann nnter dem Besehl sei¬
nes besten Generals, des alten Suwarow, nach Italien geschickt. Die
Armee des alten Suwarow ist zwar geschlagen worden; aber darum hat
doch Paul !., sich selbst getreu bleibend, seinen Haß nicht minder nur
durch solche Mittel an den Tag gelegt, die des Oberhaupts eines gro¬
ßen Volks würdig sind.

Die russische Negierung gehört zu den eifrigsten Paladinen der Le¬
gitimität. Warum? Wenn Oesterreich ein warmer Verfechter der
Legitimität ist, so finden wir dieß natürlich: in dem Familienkreise der
Habsburger hat nie ein blutiger Steins den'Familienfaden durchschnitten:
nie hat eine Frau ihren Gatten ermordet; nie hat ein Sohn einen Va¬
ter, nie ein Bruder den andern gewaltsam verdrängt: dort, wo das pa¬
triarchalische Recht der Familie seine heiligen Gesetze von Enkel auf Ur¬
enkel vererbt, dort finden wir die Idee der Legitimität in Einklang mit
der Geschichte. Aber in Nußland? Wenn dessen Geschichtschreiber nicht
an Gedächtnißschwäche leiden, müßen sie wohl an gewisse Data denken,
als da find, 1762 der 30. Juli, 1764 der 16. Juli, oder 1301 der
12. März. Oder, wenn auch die Jahreszahlen, sicherlich doch sind
folgende Namen nicht vergessen: Peter M., Iwan VI., Paul !. Die
Ehrfurcht vor der Legitimität ist also in Nußland nicht immer die strengste
gewesen. Höchst wahrscheinlich aber geht man in Nußland von der An¬
sicht ans, daß die blutigen Umwälzungen von 1762, 1764 und 1301
Niemanden etwas angehen: man hält das für kleine innere Streitigkei¬
ten, für Familienangelegenheiten. Man läßt feinen Gemahl, feinen Sohn
umbringen, man wohnt der Ermordung seines Vaters bei; was liegt
daran? Was hat sich das Volk um diese Einzelnheiten zu kümmern?
Anstatt eines Kaisers giebt man ihm eine Kaiserin oder einen andern,
Kaiser; was will es mehr?... Die Revolutionen, für die der russische
Kaiser seine stolze Verachtung, seine hochmüthige Geringschätzung und in
Ermangelung eines Besseren seinen kleinlichen Zorn aufbewahrt, das sind
die Revolutionen, mit denen das Volk etwas zu thun hat. Zu den aus
solchen Umwälzungen hervorgegangenen Regierungen sagt die russische
Regierung nicht etwa: „Krieg bis zur Vernichtung« sondern: '/Nie, nie
Visitenkarten.'//


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/122>, abgerufen am 25.08.2024.