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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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französischen! Sie dürfen dabei eine Hauptursache nicht vergessen: der
deutsche Buchhändler hat ein ständiges Publikum vor sich; der franzö¬
sische ein wechselndes, launenhaftes, veränderliches. Der französische
Schriftsteller ist bei Weitem mehr dem Wechsel der Mode unterworfen,
als der deutsche. Daraus ergiebt sich, daß im Buchhandel mehr als
in allen andern Geschäften, Glück und auch Geschicklichkeit in
Betracht kömmt; man muß eine literarische Reputation zu be¬
nutzen wissen, wenn sie crescendo, ist; allen Vortheil daraus ziehen,
so lange sie sich in ihren: Culminationspunkt ^ befindet, und sie
fahren lassen, Wenn'S mit ihr bergabwärts oder durcheinander gehet;
man muß überhaupt den Geschmack seines Publikums genau zuratheziehen
und allen seinen Phasen, mitunter auch seine Caprizen auf dem Fuße
folgen. -- Wollen Sie diesen Geschmackswechsel begreifen?--Wohlan!

Es gab eine Zeit, wo die kleinste Flugschrift zu tausend Exemplaren
in kurzer Zeit vergriffen wurde; heutigen Tags würde ich mich wohl
davor hüten, eine Broschüre zu verlegen, wenn sie auch von der Feder eines
Alphons Karr herrührt, es wäre denn, der Versasser nähme die Druck¬
kosten für seine Rechnung, denn das Publikum will setzt durchaus keine
Flugschriften mehr haben; politische Spekulationen sind ihm nicht weni¬
ger zuwider; gedruckte Theaterstücke kann man jetzt nicht mehr so gur
verkaufen wie vormals, weil man die Pracht der Decomtionen, den
Knalleffekt und alle jene Nebendinge, die bei den neuern Dramen zur
Hauptsache geworden, und den ganzen Werth der Stücke ausmachen,
im Drucke nicht vor Augen stellen kann; die historischen Denkschriften
oder Memoiren, die so hoch in Schwung waren, sind, jetzt gleichfalls-
im Sinken, da man in ihnen nichts anders mehr erobern will als einen
Roman unter einer andern Form, und zwar nach der Unzahl apocrppher
Denkschriften, mit denen der Buchhandel überschwemmt worden; man
war eine Zeit bis zUm, Rasendwerden auf mittelalterliche Werke er¬
picht, aber auch diese haben ihren ganzen Credit eingebüßt; die Apostel
der neuern literarischen Schule haben meistens selbst ihre vermeintlichen
Gottheiten abgeschworen; die amerikanische Schreibart, wie man sie nannte,
die so wunderlich, schön klang, aber-zugleich vor lauter Bombast und
Schwulst unverständlich war, hat ihren Ruhm .längst überlebt. , Das
eigensinnige Publikum endlich verlangt, nicht mehr die früher beliebten
hochtrabenden Worte; höchstens duldet es noch, daß drei Beiwörter einem
Hauptwort als Adjutanten zur Seite stehen; ja.es geht in seiner. Frech¬
heit so weit, daß es Iwrribile äietn Ideen in den Büchern verlangt!


französischen! Sie dürfen dabei eine Hauptursache nicht vergessen: der
deutsche Buchhändler hat ein ständiges Publikum vor sich; der franzö¬
sische ein wechselndes, launenhaftes, veränderliches. Der französische
Schriftsteller ist bei Weitem mehr dem Wechsel der Mode unterworfen,
als der deutsche. Daraus ergiebt sich, daß im Buchhandel mehr als
in allen andern Geschäften, Glück und auch Geschicklichkeit in
Betracht kömmt; man muß eine literarische Reputation zu be¬
nutzen wissen, wenn sie crescendo, ist; allen Vortheil daraus ziehen,
so lange sie sich in ihren: Culminationspunkt ^ befindet, und sie
fahren lassen, Wenn'S mit ihr bergabwärts oder durcheinander gehet;
man muß überhaupt den Geschmack seines Publikums genau zuratheziehen
und allen seinen Phasen, mitunter auch seine Caprizen auf dem Fuße
folgen. — Wollen Sie diesen Geschmackswechsel begreifen?—Wohlan!

Es gab eine Zeit, wo die kleinste Flugschrift zu tausend Exemplaren
in kurzer Zeit vergriffen wurde; heutigen Tags würde ich mich wohl
davor hüten, eine Broschüre zu verlegen, wenn sie auch von der Feder eines
Alphons Karr herrührt, es wäre denn, der Versasser nähme die Druck¬
kosten für seine Rechnung, denn das Publikum will setzt durchaus keine
Flugschriften mehr haben; politische Spekulationen sind ihm nicht weni¬
ger zuwider; gedruckte Theaterstücke kann man jetzt nicht mehr so gur
verkaufen wie vormals, weil man die Pracht der Decomtionen, den
Knalleffekt und alle jene Nebendinge, die bei den neuern Dramen zur
Hauptsache geworden, und den ganzen Werth der Stücke ausmachen,
im Drucke nicht vor Augen stellen kann; die historischen Denkschriften
oder Memoiren, die so hoch in Schwung waren, sind, jetzt gleichfalls-
im Sinken, da man in ihnen nichts anders mehr erobern will als einen
Roman unter einer andern Form, und zwar nach der Unzahl apocrppher
Denkschriften, mit denen der Buchhandel überschwemmt worden; man
war eine Zeit bis zUm, Rasendwerden auf mittelalterliche Werke er¬
picht, aber auch diese haben ihren ganzen Credit eingebüßt; die Apostel
der neuern literarischen Schule haben meistens selbst ihre vermeintlichen
Gottheiten abgeschworen; die amerikanische Schreibart, wie man sie nannte,
die so wunderlich, schön klang, aber-zugleich vor lauter Bombast und
Schwulst unverständlich war, hat ihren Ruhm .längst überlebt. , Das
eigensinnige Publikum endlich verlangt, nicht mehr die früher beliebten
hochtrabenden Worte; höchstens duldet es noch, daß drei Beiwörter einem
Hauptwort als Adjutanten zur Seite stehen; ja.es geht in seiner. Frech¬
heit so weit, daß es Iwrribile äietn Ideen in den Büchern verlangt!


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[0115] französischen! Sie dürfen dabei eine Hauptursache nicht vergessen: der deutsche Buchhändler hat ein ständiges Publikum vor sich; der franzö¬ sische ein wechselndes, launenhaftes, veränderliches. Der französische Schriftsteller ist bei Weitem mehr dem Wechsel der Mode unterworfen, als der deutsche. Daraus ergiebt sich, daß im Buchhandel mehr als in allen andern Geschäften, Glück und auch Geschicklichkeit in Betracht kömmt; man muß eine literarische Reputation zu be¬ nutzen wissen, wenn sie crescendo, ist; allen Vortheil daraus ziehen, so lange sie sich in ihren: Culminationspunkt ^ befindet, und sie fahren lassen, Wenn'S mit ihr bergabwärts oder durcheinander gehet; man muß überhaupt den Geschmack seines Publikums genau zuratheziehen und allen seinen Phasen, mitunter auch seine Caprizen auf dem Fuße folgen. — Wollen Sie diesen Geschmackswechsel begreifen?—Wohlan! Es gab eine Zeit, wo die kleinste Flugschrift zu tausend Exemplaren in kurzer Zeit vergriffen wurde; heutigen Tags würde ich mich wohl davor hüten, eine Broschüre zu verlegen, wenn sie auch von der Feder eines Alphons Karr herrührt, es wäre denn, der Versasser nähme die Druck¬ kosten für seine Rechnung, denn das Publikum will setzt durchaus keine Flugschriften mehr haben; politische Spekulationen sind ihm nicht weni¬ ger zuwider; gedruckte Theaterstücke kann man jetzt nicht mehr so gur verkaufen wie vormals, weil man die Pracht der Decomtionen, den Knalleffekt und alle jene Nebendinge, die bei den neuern Dramen zur Hauptsache geworden, und den ganzen Werth der Stücke ausmachen, im Drucke nicht vor Augen stellen kann; die historischen Denkschriften oder Memoiren, die so hoch in Schwung waren, sind, jetzt gleichfalls- im Sinken, da man in ihnen nichts anders mehr erobern will als einen Roman unter einer andern Form, und zwar nach der Unzahl apocrppher Denkschriften, mit denen der Buchhandel überschwemmt worden; man war eine Zeit bis zUm, Rasendwerden auf mittelalterliche Werke er¬ picht, aber auch diese haben ihren ganzen Credit eingebüßt; die Apostel der neuern literarischen Schule haben meistens selbst ihre vermeintlichen Gottheiten abgeschworen; die amerikanische Schreibart, wie man sie nannte, die so wunderlich, schön klang, aber-zugleich vor lauter Bombast und Schwulst unverständlich war, hat ihren Ruhm .längst überlebt. , Das eigensinnige Publikum endlich verlangt, nicht mehr die früher beliebten hochtrabenden Worte; höchstens duldet es noch, daß drei Beiwörter einem Hauptwort als Adjutanten zur Seite stehen; ja.es geht in seiner. Frech¬ heit so weit, daß es Iwrribile äietn Ideen in den Büchern verlangt!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/115>, abgerufen am 23.07.2024.