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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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In Spanien, wo der Krieg jeden Handel tödtete, konnte der Buchhan¬
del keine Ausnahme machen, und mit ihm liegt auch die Literatur zu
Boden. Und will man hieran nicht glauben, so sehe man auf Belgien,
wo trotz allen Denkmälern der Geschichte, trotz dem Fleiße und dem
besten Willen der Gelehrten, dennoch keine Literatur zu Stande kommt,
weil der Buchhandel da in seinen Kinderschuhen ist. Die großen Nach¬
drucketablissements arbeiten sür das Ausland; der einheimische Schrift¬
steller findet weder Verleger noch Käufer. Wer wird es wagen, dem
jungen einheimischen Talente Kosten und Aufmerksamkeit zu widmen, wo
die großen Renommees einer fertigen Nachbarliteratur so bequem und
wohlfeil den Säckel und die Lesetische füllen? Und bleiben wir bei der
französischen Literatur stehen, so finden wir einen Hauptgrund ihrer Un¬
terscheidung von der deutschen in dem Unterschied zwischen der Art, wie
der Buchhandel bei beiden Nationen betrieben wird. Der deutsche Buch¬
handel ist ein Föderativstaat; da dominirt keine Stadt, keine Firma.
Es ist ganz gleich, ob ein Buch in Berlin oder in Pforzheim, in Wien
oder in Grima, in Hamburg oder in Altenburg gedruckt wird. Alle
Wege führen nach Rom, alle Wege führen nach Leipzig. Der Gelehrte,
der in dem Archive irgend eines kleinen, uralten, vergessenen Städtchens
wichtige Forschungen gemacht hat, findet in seiner- Nähe immer einen
unternchmungölustigen Buchhändler, der ihm Aufmunterung und Miihe-
entschädigung bietet, und zur Meßzeit nach Leipzig seinen Namen und
sein Werk auf den großen Markt der Berühmtheit führt. Es ist in
Deutschland völlig gleich, wo der Dichter lebt. Sehen wir nur unsere
lebenden Berühmtheiten; Uhland wohnt in Tübingen, Strauß in Stutt¬
gart, Arndt in Bonn, Gcrvirms in Heidelberg, Grillpartzer in Wien,
und Ranke und Mittermaier, und Görres und Neander, und Carus
und Freiligrath und Rückert! In wie' vielen Himmelsgegenden zerstreut
lebt die deutsche Literatur! Und die Mannigfaltigkeit ihres Aufenthaltes
bringt auch die Mannigfaltigkeit ihrer Dichtungen und Produktionsgat¬
tungen hervor.' In Frankreich dagegen sind Literatur und-Buchhandel
centralisirte Staaten. ' Der Gelehrte und Schriftsteller der Departement
talstadt oder gar des Provinzstädtchenö, trotz seiner seltenen Kenntnisse,
seines seltenen Talentes, zerarbeitet sich während seines ganzen Lebens
umsonst, um zur Anerkennung bei seiner Nation zu gelangen, oder auch
nur ihr bekannt zu werden. Der französische Schriftsteller, der zu ganz
Frankreich sprechen-will, bedarf .eines Pariser Verlegers. Der Stempel
//Paris" muß einem Buch aufgedrückt, wie der Stempel der Könige


In Spanien, wo der Krieg jeden Handel tödtete, konnte der Buchhan¬
del keine Ausnahme machen, und mit ihm liegt auch die Literatur zu
Boden. Und will man hieran nicht glauben, so sehe man auf Belgien,
wo trotz allen Denkmälern der Geschichte, trotz dem Fleiße und dem
besten Willen der Gelehrten, dennoch keine Literatur zu Stande kommt,
weil der Buchhandel da in seinen Kinderschuhen ist. Die großen Nach¬
drucketablissements arbeiten sür das Ausland; der einheimische Schrift¬
steller findet weder Verleger noch Käufer. Wer wird es wagen, dem
jungen einheimischen Talente Kosten und Aufmerksamkeit zu widmen, wo
die großen Renommees einer fertigen Nachbarliteratur so bequem und
wohlfeil den Säckel und die Lesetische füllen? Und bleiben wir bei der
französischen Literatur stehen, so finden wir einen Hauptgrund ihrer Un¬
terscheidung von der deutschen in dem Unterschied zwischen der Art, wie
der Buchhandel bei beiden Nationen betrieben wird. Der deutsche Buch¬
handel ist ein Föderativstaat; da dominirt keine Stadt, keine Firma.
Es ist ganz gleich, ob ein Buch in Berlin oder in Pforzheim, in Wien
oder in Grima, in Hamburg oder in Altenburg gedruckt wird. Alle
Wege führen nach Rom, alle Wege führen nach Leipzig. Der Gelehrte,
der in dem Archive irgend eines kleinen, uralten, vergessenen Städtchens
wichtige Forschungen gemacht hat, findet in seiner- Nähe immer einen
unternchmungölustigen Buchhändler, der ihm Aufmunterung und Miihe-
entschädigung bietet, und zur Meßzeit nach Leipzig seinen Namen und
sein Werk auf den großen Markt der Berühmtheit führt. Es ist in
Deutschland völlig gleich, wo der Dichter lebt. Sehen wir nur unsere
lebenden Berühmtheiten; Uhland wohnt in Tübingen, Strauß in Stutt¬
gart, Arndt in Bonn, Gcrvirms in Heidelberg, Grillpartzer in Wien,
und Ranke und Mittermaier, und Görres und Neander, und Carus
und Freiligrath und Rückert! In wie' vielen Himmelsgegenden zerstreut
lebt die deutsche Literatur! Und die Mannigfaltigkeit ihres Aufenthaltes
bringt auch die Mannigfaltigkeit ihrer Dichtungen und Produktionsgat¬
tungen hervor.' In Frankreich dagegen sind Literatur und-Buchhandel
centralisirte Staaten. ' Der Gelehrte und Schriftsteller der Departement
talstadt oder gar des Provinzstädtchenö, trotz seiner seltenen Kenntnisse,
seines seltenen Talentes, zerarbeitet sich während seines ganzen Lebens
umsonst, um zur Anerkennung bei seiner Nation zu gelangen, oder auch
nur ihr bekannt zu werden. Der französische Schriftsteller, der zu ganz
Frankreich sprechen-will, bedarf .eines Pariser Verlegers. Der Stempel
//Paris» muß einem Buch aufgedrückt, wie der Stempel der Könige


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[0110] In Spanien, wo der Krieg jeden Handel tödtete, konnte der Buchhan¬ del keine Ausnahme machen, und mit ihm liegt auch die Literatur zu Boden. Und will man hieran nicht glauben, so sehe man auf Belgien, wo trotz allen Denkmälern der Geschichte, trotz dem Fleiße und dem besten Willen der Gelehrten, dennoch keine Literatur zu Stande kommt, weil der Buchhandel da in seinen Kinderschuhen ist. Die großen Nach¬ drucketablissements arbeiten sür das Ausland; der einheimische Schrift¬ steller findet weder Verleger noch Käufer. Wer wird es wagen, dem jungen einheimischen Talente Kosten und Aufmerksamkeit zu widmen, wo die großen Renommees einer fertigen Nachbarliteratur so bequem und wohlfeil den Säckel und die Lesetische füllen? Und bleiben wir bei der französischen Literatur stehen, so finden wir einen Hauptgrund ihrer Un¬ terscheidung von der deutschen in dem Unterschied zwischen der Art, wie der Buchhandel bei beiden Nationen betrieben wird. Der deutsche Buch¬ handel ist ein Föderativstaat; da dominirt keine Stadt, keine Firma. Es ist ganz gleich, ob ein Buch in Berlin oder in Pforzheim, in Wien oder in Grima, in Hamburg oder in Altenburg gedruckt wird. Alle Wege führen nach Rom, alle Wege führen nach Leipzig. Der Gelehrte, der in dem Archive irgend eines kleinen, uralten, vergessenen Städtchens wichtige Forschungen gemacht hat, findet in seiner- Nähe immer einen unternchmungölustigen Buchhändler, der ihm Aufmunterung und Miihe- entschädigung bietet, und zur Meßzeit nach Leipzig seinen Namen und sein Werk auf den großen Markt der Berühmtheit führt. Es ist in Deutschland völlig gleich, wo der Dichter lebt. Sehen wir nur unsere lebenden Berühmtheiten; Uhland wohnt in Tübingen, Strauß in Stutt¬ gart, Arndt in Bonn, Gcrvirms in Heidelberg, Grillpartzer in Wien, und Ranke und Mittermaier, und Görres und Neander, und Carus und Freiligrath und Rückert! In wie' vielen Himmelsgegenden zerstreut lebt die deutsche Literatur! Und die Mannigfaltigkeit ihres Aufenthaltes bringt auch die Mannigfaltigkeit ihrer Dichtungen und Produktionsgat¬ tungen hervor.' In Frankreich dagegen sind Literatur und-Buchhandel centralisirte Staaten. ' Der Gelehrte und Schriftsteller der Departement talstadt oder gar des Provinzstädtchenö, trotz seiner seltenen Kenntnisse, seines seltenen Talentes, zerarbeitet sich während seines ganzen Lebens umsonst, um zur Anerkennung bei seiner Nation zu gelangen, oder auch nur ihr bekannt zu werden. Der französische Schriftsteller, der zu ganz Frankreich sprechen-will, bedarf .eines Pariser Verlegers. Der Stempel //Paris» muß einem Buch aufgedrückt, wie der Stempel der Könige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/110>, abgerufen am 02.07.2024.