Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.,ein Absterben der gesammten Kunst. Die Romantik, wie sie in Tieck Wenn Gervinus am Schlüsse seiner Schrift den Satz wiederholt, ,ein Absterben der gesammten Kunst. Die Romantik, wie sie in Tieck Wenn Gervinus am Schlüsse seiner Schrift den Satz wiederholt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0104" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267319"/> <p xml:id="ID_648" prev="#ID_647"> ,ein Absterben der gesammten Kunst. Die Romantik, wie sie in Tieck<lb/> sich darstellt, bat eine glühende Begeisterung, einen Schwung des Ge¬<lb/> müthes und freier, ursprünglicher Imagination vor dem verflossenen Zeit¬<lb/> alter voraus. Sie strebt neue Arten des Gesanges, und schlägt Ton¬<lb/> verhältnisse an, welche die wieder flüssig gewordenen Massen des Lebens<lb/> zu, einer dichterisch idealen Welt ausbilden. Bei der Romantik begeg¬<lb/> net es unserm Historiker, die wirren, dunklen Genialitäten mit den wah¬<lb/> ren Dichtern zusammenzuwerfen und aus unruhigen, formten Einzel¬<lb/> kräften, welche um die Grenzen der Poesie herumschwamm, den allge¬<lb/> meinen Geist zu suchen. Für die praktische Ansicht werden in der Geschichte<lb/> der Po, esse viele Räthsel bleiben; hier hat sie dem Verfasser das Licht<lb/> des reinen poetischen Daseins gebrochen.—</p><lb/> <p xml:id="ID_649"> Wenn Gervinus am Schlüsse seiner Schrift den Satz wiederholt,<lb/> daß es das mangelnde Staatsleben sei, was unsere Literatur darnicder-<lb/> halte, so liegt darin eine in Deutschland tief gefühlte Wahrheit. Nur<lb/> im großen Leben des Volkes und Staates findet die Dichtkunst ihre<lb/> wahre Heimath. Dennoch dürfen wir daraus nicht folgern, daß //der<lb/> Wettkampf der Kunst vollendet// sei. Bei dem Bildungsstande der Ge¬<lb/> genwart, wo alle Häupter der Geschichte, die Wissenschaft, Kunst, Re¬<lb/> ligion, der Staat, nach Verständniß, Einheit und Gemeinschaft streben,<lb/> ist nicht anzunehmen, daß die politischen Verhältnisse, das wachsende<lb/> Volksleben, auf abstrakte Weise für sich allein gedeihen können. Wir<lb/> fordern für die gesellschaftlichen Formen einen Gehalt, ein inneres Bil¬<lb/> den und Schaffen, das sich selber Zweck ist; dies aber ist nichts ande¬<lb/> res, als die großen Werke des Geistes, Wissenschaft, Kunst, Kirche.<lb/> Sie alle bedingen und fördern sich untereinander und mit dem Staate,<lb/> sie tragen ihn, wie sie von ihm getragen werden, und wenn man in<lb/> den großen Fragen der Zeit die Denker und die Dichter in den Hinter¬<lb/> grund schieben Will, so hat man, — vorausgesetzt, daß Jenen Licht<lb/> und Gesang geschenkt seien, — den Staat und das Volk in seinem edel¬<lb/> sten Triebe gelähmt.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0104]
,ein Absterben der gesammten Kunst. Die Romantik, wie sie in Tieck
sich darstellt, bat eine glühende Begeisterung, einen Schwung des Ge¬
müthes und freier, ursprünglicher Imagination vor dem verflossenen Zeit¬
alter voraus. Sie strebt neue Arten des Gesanges, und schlägt Ton¬
verhältnisse an, welche die wieder flüssig gewordenen Massen des Lebens
zu, einer dichterisch idealen Welt ausbilden. Bei der Romantik begeg¬
net es unserm Historiker, die wirren, dunklen Genialitäten mit den wah¬
ren Dichtern zusammenzuwerfen und aus unruhigen, formten Einzel¬
kräften, welche um die Grenzen der Poesie herumschwamm, den allge¬
meinen Geist zu suchen. Für die praktische Ansicht werden in der Geschichte
der Po, esse viele Räthsel bleiben; hier hat sie dem Verfasser das Licht
des reinen poetischen Daseins gebrochen.—
Wenn Gervinus am Schlüsse seiner Schrift den Satz wiederholt,
daß es das mangelnde Staatsleben sei, was unsere Literatur darnicder-
halte, so liegt darin eine in Deutschland tief gefühlte Wahrheit. Nur
im großen Leben des Volkes und Staates findet die Dichtkunst ihre
wahre Heimath. Dennoch dürfen wir daraus nicht folgern, daß //der
Wettkampf der Kunst vollendet// sei. Bei dem Bildungsstande der Ge¬
genwart, wo alle Häupter der Geschichte, die Wissenschaft, Kunst, Re¬
ligion, der Staat, nach Verständniß, Einheit und Gemeinschaft streben,
ist nicht anzunehmen, daß die politischen Verhältnisse, das wachsende
Volksleben, auf abstrakte Weise für sich allein gedeihen können. Wir
fordern für die gesellschaftlichen Formen einen Gehalt, ein inneres Bil¬
den und Schaffen, das sich selber Zweck ist; dies aber ist nichts ande¬
res, als die großen Werke des Geistes, Wissenschaft, Kunst, Kirche.
Sie alle bedingen und fördern sich untereinander und mit dem Staate,
sie tragen ihn, wie sie von ihm getragen werden, und wenn man in
den großen Fragen der Zeit die Denker und die Dichter in den Hinter¬
grund schieben Will, so hat man, — vorausgesetzt, daß Jenen Licht
und Gesang geschenkt seien, — den Staat und das Volk in seinem edel¬
sten Triebe gelähmt.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |