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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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zogen, und dadurch eine Pflanzschule des reinen Geschmacks gründeten,,
die noch jetzt für das Bessere, für die Poesie im Theater nachwirkt In
der Geschichte der deutschen Bühne, seit der Zeit, wo die wandernden
Truppen sich in stehende verwandelten, giebt uns der Verfasser eine
Folge gewichtiger Ideen über eine Anstalt, die jetzt zu isolirt vom Staate
dasteht, die zu sehr der Festlichkeit, welche ihr bei den Alten eine sittli¬
che Unterlage gab, beraubt ist, um den nationalen Zweck zu erfüllen,
den unsere großen Dichter, und vornehmlich Schiller, dabei im Auge
hatten. Es gelang damals in Weimar die //gemein naturalistische Ma¬
nier des Vorträgst abzuthun, die poetische Rede, -ein gehalteneres Pa¬
thos einzuführen; das Vortrefflichste der einheimischen sowie der fremden
Poesie suchte man zur Darstellung zu bringen, und auch darin ließen
sich unsere Dichter von dem Sinn sür Universalität leiten, der inGöthe
die bekannte Idee der Weltliteratur hervorrief, und Schillern antrieb,'
aus allen Völkergeschichten tragische Stoffe zu wählen. Es erschienen,
in den wenigen Jahren seines Weimarer Aufenthalts, von Schiller die
Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans, die Braut von Messina
und zuletzt Tell; und so abermals die Seele seiner Dichtung, den Frei¬
heitsgedanken, in Rede setzend, schien Schiller den Kampf um Befrei¬
ung vorzuleben , den das deutsche Volk nach seinem Tode auskämpfen
sollte. Schiller schwebt als ein Genius über den: Vaterlande und am
Himmel der Menschheit, und wie er mitten in der Kraft und Blüthe
des Wirkens dahinschied, so weckt sein Angedenken bei Allen, die sein
Geist berührt, den begeisterten Ausschwung des Gedankens und der That,
das Gefühl, eines, sittlichen Daseins, des Strebens für alles Menschliche --

Der letzte Abschnitt behandelt die romantische Schule, doch mur-
ia Umrisse. Auch Göthe dichtete in den letzten Jahrzehnten unter dem
Einflüsse der Romantik; er, dessen Leben in so seltenem Grade abgerun¬
det ist, kehrte auch noch in die orientalische Gesangcswclt-ein, und schloß
mit dem symbolischen, um so an dem Ausgangspunkte der Künste und
Wissenschaften anzulanden. In der romantischen Poesie- war es vor Allen
Tieck, der ganz neue Formen schuf und eine bisher ungekannte Dich¬
tung offenbarte. Wir folgen in diesem Theile unserm Verfasser um so"
weniger, als sein Urtheil über diese ganze poetische Entwicklung dem
Gefühle widerspricht, womit die deutsche Nation dieselbe aufgenommen '
hat. Gervinus setzt die Romantik als den Verfall der deutschen Dich¬
tung. Ich erkenne darin den Umsturz der bisherigen Göthe-Schillerschen
Epoche, welcher mit der Wissenschastsbcwegung zusmnmenffel, nicht aber,


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zogen, und dadurch eine Pflanzschule des reinen Geschmacks gründeten,,
die noch jetzt für das Bessere, für die Poesie im Theater nachwirkt In
der Geschichte der deutschen Bühne, seit der Zeit, wo die wandernden
Truppen sich in stehende verwandelten, giebt uns der Verfasser eine
Folge gewichtiger Ideen über eine Anstalt, die jetzt zu isolirt vom Staate
dasteht, die zu sehr der Festlichkeit, welche ihr bei den Alten eine sittli¬
che Unterlage gab, beraubt ist, um den nationalen Zweck zu erfüllen,
den unsere großen Dichter, und vornehmlich Schiller, dabei im Auge
hatten. Es gelang damals in Weimar die //gemein naturalistische Ma¬
nier des Vorträgst abzuthun, die poetische Rede, -ein gehalteneres Pa¬
thos einzuführen; das Vortrefflichste der einheimischen sowie der fremden
Poesie suchte man zur Darstellung zu bringen, und auch darin ließen
sich unsere Dichter von dem Sinn sür Universalität leiten, der inGöthe
die bekannte Idee der Weltliteratur hervorrief, und Schillern antrieb,'
aus allen Völkergeschichten tragische Stoffe zu wählen. Es erschienen,
in den wenigen Jahren seines Weimarer Aufenthalts, von Schiller die
Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans, die Braut von Messina
und zuletzt Tell; und so abermals die Seele seiner Dichtung, den Frei¬
heitsgedanken, in Rede setzend, schien Schiller den Kampf um Befrei¬
ung vorzuleben , den das deutsche Volk nach seinem Tode auskämpfen
sollte. Schiller schwebt als ein Genius über den: Vaterlande und am
Himmel der Menschheit, und wie er mitten in der Kraft und Blüthe
des Wirkens dahinschied, so weckt sein Angedenken bei Allen, die sein
Geist berührt, den begeisterten Ausschwung des Gedankens und der That,
das Gefühl, eines, sittlichen Daseins, des Strebens für alles Menschliche —

Der letzte Abschnitt behandelt die romantische Schule, doch mur-
ia Umrisse. Auch Göthe dichtete in den letzten Jahrzehnten unter dem
Einflüsse der Romantik; er, dessen Leben in so seltenem Grade abgerun¬
det ist, kehrte auch noch in die orientalische Gesangcswclt-ein, und schloß
mit dem symbolischen, um so an dem Ausgangspunkte der Künste und
Wissenschaften anzulanden. In der romantischen Poesie- war es vor Allen
Tieck, der ganz neue Formen schuf und eine bisher ungekannte Dich¬
tung offenbarte. Wir folgen in diesem Theile unserm Verfasser um so„
weniger, als sein Urtheil über diese ganze poetische Entwicklung dem
Gefühle widerspricht, womit die deutsche Nation dieselbe aufgenommen '
hat. Gervinus setzt die Romantik als den Verfall der deutschen Dich¬
tung. Ich erkenne darin den Umsturz der bisherigen Göthe-Schillerschen
Epoche, welcher mit der Wissenschastsbcwegung zusmnmenffel, nicht aber,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/103>, abgerufen am 23.07.2024.