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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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welche die Tagesblätter in ihrer Hast und im Mangel an der für eine
diplomatischere und freiere Form nöthigen Zeit fallen lassen müssen.
Die bellettristischen Journale könnten, wenn sie auch die Politik in
ihr Bereich zögen, weit freisinniger sein als die politischen, weil
der Tag sie nicht drängt, weil sie die ganze Woche Zeit haben, die
ganze Form zu ersinnen und das verschleiernde Wort zu wähle".




!l.
Französische Urtheile über deutsche Kunst.

Wenn die französische Unkenntnis; deutscher Zustände poetisch
wird, wenn Marinier und seine Nachfolger von den großartigen Rui¬
nen Augsburgs und anderer süddeutscher Städte erzählen, so kann
man sich dies gefallen lassen; und die Augsburger Allgemeine, die
dergleichen Phantasiestücke zuweilen mittheilt, verbreitet damit in ganz
Teutschland große Heiterkeit. Es funkelt in solchem Unsinn oft ein
gewisser Esprit, es zeigt sich eine Art von Germanomanie darin, wie
man sie sonst an unsern selbstgefälligen Nachbarn nicht bemerken konnte.
Man sieht, wie der französische Reisende überall die pi-oloiulem- "I-
Il'M-mu'e ergründen will, wie er in jedem Heuschober die urgothischc
Bauart und K la Don Quüote in jedem Wirthshaus ein verfalle
mes Raubschloß entdecken möchte; dabei laufen ihm Naturphilosophie,
Jakob Böhme und Hoffmann'sche Romantik in den wunderbarsten
Verkörperungen auf allen Gassen durch einander vor der Nase her¬
um. Der deutsche Eulenspiegel rächt sich an dem eitlen Franzmann,
der so oft geglaubt hat, an dem ehrwürdigen, schlichten Wesen un¬
seres Volkes sein Müthchen kühlen zu dürfen. Kehrt er dann in
seine klare, nüchterne tickte krimce zurück, so redet er von nichts als
Schlemihlsschatten, Siebenmeilenstiefeln, Seherinnen von Prevvrst
und anderen Ungeheuerlichkeiten, läßt darüber einige Faustische
Blitze leuchten, macht Novalis zu einer Thräne Spinoza's, gefalle"
bei Mondschein in den Kelch einer pantheistischen Lilie, kurz, der
verständige, spottende Franzose bekommt das deutsche Wesen und wird
vor lauter Tiefsinn unsinnig. Wir brauche" das Bild nicht weiter
auszuführen.. Solche Unwissenheit, wiederholen wir, ist ergötzlich,
obgleich es zu verwundern ist, daß sie gerade in einem Blatt, w?e die


welche die Tagesblätter in ihrer Hast und im Mangel an der für eine
diplomatischere und freiere Form nöthigen Zeit fallen lassen müssen.
Die bellettristischen Journale könnten, wenn sie auch die Politik in
ihr Bereich zögen, weit freisinniger sein als die politischen, weil
der Tag sie nicht drängt, weil sie die ganze Woche Zeit haben, die
ganze Form zu ersinnen und das verschleiernde Wort zu wähle».




!l.
Französische Urtheile über deutsche Kunst.

Wenn die französische Unkenntnis; deutscher Zustände poetisch
wird, wenn Marinier und seine Nachfolger von den großartigen Rui¬
nen Augsburgs und anderer süddeutscher Städte erzählen, so kann
man sich dies gefallen lassen; und die Augsburger Allgemeine, die
dergleichen Phantasiestücke zuweilen mittheilt, verbreitet damit in ganz
Teutschland große Heiterkeit. Es funkelt in solchem Unsinn oft ein
gewisser Esprit, es zeigt sich eine Art von Germanomanie darin, wie
man sie sonst an unsern selbstgefälligen Nachbarn nicht bemerken konnte.
Man sieht, wie der französische Reisende überall die pi-oloiulem- »I-
Il'M-mu'e ergründen will, wie er in jedem Heuschober die urgothischc
Bauart und K la Don Quüote in jedem Wirthshaus ein verfalle
mes Raubschloß entdecken möchte; dabei laufen ihm Naturphilosophie,
Jakob Böhme und Hoffmann'sche Romantik in den wunderbarsten
Verkörperungen auf allen Gassen durch einander vor der Nase her¬
um. Der deutsche Eulenspiegel rächt sich an dem eitlen Franzmann,
der so oft geglaubt hat, an dem ehrwürdigen, schlichten Wesen un¬
seres Volkes sein Müthchen kühlen zu dürfen. Kehrt er dann in
seine klare, nüchterne tickte krimce zurück, so redet er von nichts als
Schlemihlsschatten, Siebenmeilenstiefeln, Seherinnen von Prevvrst
und anderen Ungeheuerlichkeiten, läßt darüber einige Faustische
Blitze leuchten, macht Novalis zu einer Thräne Spinoza's, gefalle»
bei Mondschein in den Kelch einer pantheistischen Lilie, kurz, der
verständige, spottende Franzose bekommt das deutsche Wesen und wird
vor lauter Tiefsinn unsinnig. Wir brauche» das Bild nicht weiter
auszuführen.. Solche Unwissenheit, wiederholen wir, ist ergötzlich,
obgleich es zu verwundern ist, daß sie gerade in einem Blatt, w?e die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/93>, abgerufen am 23.07.2024.