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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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kommenden voran. Wenn ich mich nicht sckeuen möchte, dein ver
ehrten Leser Grobheiten ins Gesicht zu sagen, so würde ich alle diese
Schmeicheleien geradezu auf den Kopf stellen und behaupten, das denk
sche Publikum ist stumpfer und bei weitem kleinlich interessirter al^
jedes andere. Wenn der deutsche Schriftsteller über die Grausamkeit
des Censurbeilö in Klagen ausbricht und darüber jammert, daß es
seine edelsten und besten Gedanken köpfe und den blutenden Rumpf
ihm vor die Füße wirft, dann ist seine Klage doppelt rührend, den"
der Schriftsteller in Deutschland hat selten von seinem Berufe mehr
als Befriedigung seines innern moralischen Dranges. Wenn aber
das deutsche Publikum über Bevormundung durch die Censur klagt,
dann möchte man seinen Grimm gegen es selbst wende!?. Denn wer
ist an dem Allen Schuld als du selbst, du stumpft, schwerfällige
Masse, die sich Publikum nennt, ohne es zu sein? Ein Tory-Jour-
nal, ein Whig-Journal in England, ein cvnservativeS, ein radicaleö
Blatt in Frankreich kann immer daraufzählen, von der Partei, de-
ren Ausdruck es ist, getragen, gefördert und unterstützt zu werden.
Wie viele deutsche Privaten unterstützen eil? Tendenzblatt, weil es ihre
Meinung ausdrückt? Wie viele deutsche "Nationale" abonniren auf
die Oberdeutsche Zeitung? Wie viele "Liberale" halten die Königs"
berger, die Rheinische? Man' liest sie in den Lesezirkeln, ," man
dbonnirt auch für das eigene Haus darauf, wenn sie ein anderes
Neuigkeitsblatt ersparen. Nur die Journale mit religiösen Tenden¬
zen können auf Unterstützung rechnen; der politische Journalist
gleicht oft jenem ritterlichen Führer, der seiner Schaar voran¬
schreitet, im Gedränge des Gefechres aber mit Schrecken bemerkt,
daß seine Mannschaft nicht nachgefolgt ist.

Bei dem Allen könnten die Journale ihrerseits, trotz der Strenge
der Censurmaßregeln, bei weitem gewichtiger, freimüthiger und selb-
ständiger sein, wenn sie mehr Aufmerksamkeit auf die Form wenden
würden. Ein Mensch im Frack darf Manches sagen, wofür man
einen Menschen im Kittel zur Thüre hinauswerfen würde. Die
deutsche Sprache ist reich und biegsam, sie hat Spitz und Schneide
was nicht auf die eine Weise geht, das geht auf die andere. Dies
Zugeständnis; aber muß man dem deutschen Publikum immer ma¬
chen, daß es aufmerksamer liest als jedes andere, daß es Winke ver--
steht, wo es bei einem andern der Rippenstöße bedars.


kommenden voran. Wenn ich mich nicht sckeuen möchte, dein ver
ehrten Leser Grobheiten ins Gesicht zu sagen, so würde ich alle diese
Schmeicheleien geradezu auf den Kopf stellen und behaupten, das denk
sche Publikum ist stumpfer und bei weitem kleinlich interessirter al^
jedes andere. Wenn der deutsche Schriftsteller über die Grausamkeit
des Censurbeilö in Klagen ausbricht und darüber jammert, daß es
seine edelsten und besten Gedanken köpfe und den blutenden Rumpf
ihm vor die Füße wirft, dann ist seine Klage doppelt rührend, den»
der Schriftsteller in Deutschland hat selten von seinem Berufe mehr
als Befriedigung seines innern moralischen Dranges. Wenn aber
das deutsche Publikum über Bevormundung durch die Censur klagt,
dann möchte man seinen Grimm gegen es selbst wende!?. Denn wer
ist an dem Allen Schuld als du selbst, du stumpft, schwerfällige
Masse, die sich Publikum nennt, ohne es zu sein? Ein Tory-Jour-
nal, ein Whig-Journal in England, ein cvnservativeS, ein radicaleö
Blatt in Frankreich kann immer daraufzählen, von der Partei, de-
ren Ausdruck es ist, getragen, gefördert und unterstützt zu werden.
Wie viele deutsche Privaten unterstützen eil? Tendenzblatt, weil es ihre
Meinung ausdrückt? Wie viele deutsche „Nationale" abonniren auf
die Oberdeutsche Zeitung? Wie viele „Liberale" halten die Königs«
berger, die Rheinische? Man' liest sie in den Lesezirkeln, ,« man
dbonnirt auch für das eigene Haus darauf, wenn sie ein anderes
Neuigkeitsblatt ersparen. Nur die Journale mit religiösen Tenden¬
zen können auf Unterstützung rechnen; der politische Journalist
gleicht oft jenem ritterlichen Führer, der seiner Schaar voran¬
schreitet, im Gedränge des Gefechres aber mit Schrecken bemerkt,
daß seine Mannschaft nicht nachgefolgt ist.

Bei dem Allen könnten die Journale ihrerseits, trotz der Strenge
der Censurmaßregeln, bei weitem gewichtiger, freimüthiger und selb-
ständiger sein, wenn sie mehr Aufmerksamkeit auf die Form wenden
würden. Ein Mensch im Frack darf Manches sagen, wofür man
einen Menschen im Kittel zur Thüre hinauswerfen würde. Die
deutsche Sprache ist reich und biegsam, sie hat Spitz und Schneide
was nicht auf die eine Weise geht, das geht auf die andere. Dies
Zugeständnis; aber muß man dem deutschen Publikum immer ma¬
chen, daß es aufmerksamer liest als jedes andere, daß es Winke ver--
steht, wo es bei einem andern der Rippenstöße bedars.


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[0091] kommenden voran. Wenn ich mich nicht sckeuen möchte, dein ver ehrten Leser Grobheiten ins Gesicht zu sagen, so würde ich alle diese Schmeicheleien geradezu auf den Kopf stellen und behaupten, das denk sche Publikum ist stumpfer und bei weitem kleinlich interessirter al^ jedes andere. Wenn der deutsche Schriftsteller über die Grausamkeit des Censurbeilö in Klagen ausbricht und darüber jammert, daß es seine edelsten und besten Gedanken köpfe und den blutenden Rumpf ihm vor die Füße wirft, dann ist seine Klage doppelt rührend, den» der Schriftsteller in Deutschland hat selten von seinem Berufe mehr als Befriedigung seines innern moralischen Dranges. Wenn aber das deutsche Publikum über Bevormundung durch die Censur klagt, dann möchte man seinen Grimm gegen es selbst wende!?. Denn wer ist an dem Allen Schuld als du selbst, du stumpft, schwerfällige Masse, die sich Publikum nennt, ohne es zu sein? Ein Tory-Jour- nal, ein Whig-Journal in England, ein cvnservativeS, ein radicaleö Blatt in Frankreich kann immer daraufzählen, von der Partei, de- ren Ausdruck es ist, getragen, gefördert und unterstützt zu werden. Wie viele deutsche Privaten unterstützen eil? Tendenzblatt, weil es ihre Meinung ausdrückt? Wie viele deutsche „Nationale" abonniren auf die Oberdeutsche Zeitung? Wie viele „Liberale" halten die Königs« berger, die Rheinische? Man' liest sie in den Lesezirkeln, ,« man dbonnirt auch für das eigene Haus darauf, wenn sie ein anderes Neuigkeitsblatt ersparen. Nur die Journale mit religiösen Tenden¬ zen können auf Unterstützung rechnen; der politische Journalist gleicht oft jenem ritterlichen Führer, der seiner Schaar voran¬ schreitet, im Gedränge des Gefechres aber mit Schrecken bemerkt, daß seine Mannschaft nicht nachgefolgt ist. Bei dem Allen könnten die Journale ihrerseits, trotz der Strenge der Censurmaßregeln, bei weitem gewichtiger, freimüthiger und selb- ständiger sein, wenn sie mehr Aufmerksamkeit auf die Form wenden würden. Ein Mensch im Frack darf Manches sagen, wofür man einen Menschen im Kittel zur Thüre hinauswerfen würde. Die deutsche Sprache ist reich und biegsam, sie hat Spitz und Schneide was nicht auf die eine Weise geht, das geht auf die andere. Dies Zugeständnis; aber muß man dem deutschen Publikum immer ma¬ chen, daß es aufmerksamer liest als jedes andere, daß es Winke ver-- steht, wo es bei einem andern der Rippenstöße bedars.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/91>, abgerufen am 23.07.2024.